Wir bekämpfen einen weltwei- ten islamischen Aufstand – nicht Kriminalität und Terrorismus -, und unsere Politik hat es nicht geschafft, den feindlichen Kräften mehr als eine bescheidene Beule zuzufügen“, schreibt ein ranghoher CIA-Mitarbeiter, der in den USA gerade ein mehr als 300 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel „Imperial Hubris“ („Imperialer Übermut“) anonym veröffentlicht hat. An diesem Buch sind mehrere Aspekte bemerkenswert. So beispielsweise die schonungslose Art und Weise, mit der die Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung von George W. Bush kritisiert wird. Der Autor konstatiert, daß die Militäroperationen in Afghanistan und im Irak zur Hälfte gescheitert seien. Sie hätten nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung des Terrornetzwerkes al-Qaida geführt. Insbesondere der Feldzug gegen den Irak sei ein „gieriger, vorsätzlich geplanter, unprovozierter Krieg“ gegen einen Gegner gewesen, der „keine unmittelbare Bedrohung“ darstellte. Darüber hinaus habe dieser Krieg Bin Laden in die Hände gearbeitet, weil er dessen Position in der islamischen Welt aufgewertet habe. Diese lehne nicht die „amerikanischen Werte“ ab, so der Autor, sondern die Politik der Bush-Regierung. Er geht deshalb davon aus, daß es weitere Anschläge in den USA geben werde, womöglich auch mit Massenvernichtungswaffen. Ungewöhnlich ist, daß sich ein CIA-Mitarbeiter in dieser Art und Weise in der Öffentlichkeit, noch dazu zu einem hochbrisanten Thema, zu Wort meldet. Dessen Anonymität wird mit einer entsprechenden Bitte des Auslandsgeheimdienstes CIA begründet, die angeblich Racheakte der al-Qaida gegen den Autor befürchten soll. Ein Argument, das nicht besonders überzeugt. Wahrscheinlicher ist, daß die CIA selbst, der in den letzten Monaten mehr und mehr die Verantwortung für die außen- und sicherheitspolitischen Debakel der US-Regierung zugeschoben worden ist, hinter diesem Buch stehen könnte. Vor diesem Hintergrund kann „Imperial Hubris“ als Apologie der CIA gelesen werden, die angesichts eines offensichtlich beratungsresistenten Präsidenten den Weg in die Öffentlichkeit sucht, um ihren Ruf zu retten. Man kann davon ausgehen, daß dieses Buch in den nächsten Wochen noch für genügend Zündstoff sorgen wird. Daß die Regierung Bush derzeit keine leichte Zeit durchlebt, zeigt auch die Initiative von 48 Nobelpreisträgern, die in einem „Offenen Brief an das amerikanische Volk“ zur Wahl des demokratischen Bush-Herausforderers John Kerry aufgerufen haben. Die Wissenschaftler sind allesamt Nobelpreisträger in den Disziplinen Chemie, Physik und Medizin. Ihnen geht es einmal darum, daß der Wissenschaft wieder ein „angemessener Platz“ in der Regierung verschafft wird. Dafür soll der Name John Kerry stehen. In der Tat hat Kerry versprochen, das Land wieder „an die vorderste Front wissenschaftlicher Entdeckungen“ zu bringen. Woher diese Wissenschaftler allerdings ihre Kenntnisse darüber haben, daß der „Zuzug talentierter Wissenschaftler“ in die USA behindert werde, bleibt unklar. Diese Initiative scheint sich wohl mehr dem Mißmut über die Anti-Terror-Gesetzgebung im Gefolge des 11. September 2001 zu verdanken, die zu einer intensiven Überwachung der Forschung, verbunden mit drakonischen Strafen bei Gesetzesverstößen, geführt hat und angeblich „ein Klima der Angst“ geschaffen haben soll. Bereits im Februar dieses Jahres hatten sich 60 namhafte Wissenschaftler gegen den „Mißbrauch der Forschung durch die Regierung Bush“ gewandt. Von dem Demokraten John Kerry – dessen Großvater Fritz Kohn 1873 im schlesischen Benisch zur Welt kam, 1901 vom jüdischen zum katholischen Glauben konvertierte und 1904 in den USA auswanderte, wo er sich dann Frederick Kerry nannte -, ist inzwischen bekannt, daß er wie sein Kontrahent Bush der 1832 gegründeten elitären Studentenverbindung „Skull and Bones“ (Totenschädel) angehört. Von dieser „Bruderschaft“ wird kolportiert, daß sie ihre Mitglieder in exponierte gesellschaftliche Positionen zu bringen vermag. Auffällig ist, daß gleich vier Kandidaten der diesjährigen Präsidentschaftswahlen Mitglieder eben dieser Bruderschaft sind: neben Bush und Kerry auch die in den Vorwahlen gescheiterten demokratischen Kandidaten Joseph Lieberman und Howard Dean. Diese Häufung von Kandidaten wirft ein bezeichnendes Licht auf die Seilschaften hinter den Kulissen des US-Präsidentschaftswahlkampfes. Kerry zumindest ist es offensichtlich unangenehm, auf seine „Skull and Bones“-Mitgliedschaft angesprochen zu werden. Auf die Frage in einem Fernsehinterview, was denn diese Mitgliedschaft zu bedeuten habe, reagierte er nervös und ausweichend. Er wird wissen, warum. Auch in der schier unendlichen Geschichte der US-Folterpraktiken kommt die Regierung Bush nicht zur Ruhe. Der US-Präsident konnte letzte Woche eine Notiz vom 7. Februar 2002 vorlegen, aus der hervorgeht, daß auch mutmaßliche Terroristen gemäß der Genfer Konventionen zu behandeln seien, obwohl sie keinen Anspruch darauf hätten. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat dann aber offensichtlich seine eigenen Vorstellungen darüber entwickelt, wie mit Häftlingen umzugehen sei. Nach dem jetzigen Kenntnisstand billigte er über Monate hinweg deren Mißhandlung. Anfang dieses Jahres soll Rumsfeld seine Zustimmung wieder zurückgezogen und Mitte April dazu aufgefordert haben, die Genfer Konvention einzuhalten. Die selektive Offenlegung einschlägiger Akten durch die Regierung Bush möchten die Demokraten beendet sehen. Sie fordern, daß der Öffentlichkeit endlich alle Dokumente zugänglich gemacht werden, die Aufschluß über den Umgang mit Häftlingen verschaffen. Die Regierung Bush ist ganz offensichtlich bemüht, in dieser für ihr Renommee so schädlichen Auseinandersetzung Zeit zu gewinnen, damit langsam Gras über die Sache wachsen kann. Es wird sich zeigen, inwieweit diese Strategie bis zur Präsidentschaftswahl im November aufgehen wird. Foto: Kandidat Kerry im Wahlkampf: Seilschaften hinter den Kulissen