Das ovale Emailleschild mit dem Bundesadler ist endlich in Königsberg. Es soll das künftige deutsche Generalkonsulat von Königsberg ausweisen. Angebracht ist es freilich noch nicht, da das Auswärtige Amt noch immer nach einem geeigneten Amtssitz in der Königsberger Ruinen- und Plattenbaulandschaft sucht. Doch immerhin, die deutsche Vertretung im russischen Oblast Kaliningrad (so die offizielle Bezeichnung seit 1947) ist beschlossene Sache, und der Generalkonsul heiß Cornelius Sommer. Er hat vorübergehend mit seinen Mitstreitern im Hotel „Albertina“ Quartier bezogen. Lange haben die deutschen Touristen, vornehmlich vertriebene Ostpreußen, risikofreundliche deutsche Unternehmer und die im nördlichen Ostpreußen angesiedelten Deutschen aus Rußland auf das Generalkonsulat warten müssen. Schon 1991 hatte Moskau das militärische Sperrgebiet für Touristen geöffnet. Bis Ende der neunziger Jahre herrschte im Königsberger Gebiet eine regelrechte Gründerzeit-Stimmung. Immer mehr Deutsche aus Rußland übersiedelten in das Gebiet, um Deutschland, dem Land der Ahnen, näherzukommen. Über 20.000 sollen es zwischenzeitlich gewesen sein. 1996 erklärte die Moskauer Zentralregierung den Oblast Kaliningrad zur Sonderwirtschaftszone, in die sich deutsche Unternehmer des Mittelstandes, aber auch BMW mit einem Montagewerk wagten. Ansprechpartner der Investoren ist – ganz in hanseatischer Tradition – die Außenstelle der Handelskammer Hamburg. Vertriebene besuchten ihre Heimat gleich scharenweise. Die Bronzestatue Immanuel Kants, eine deutsche Stiftung, fand einen Platz vor der altehrwürdigen Universität Albertina. Russen wie die hierzulande sehr bekannten Professoren Wladimir Gilmanow und Anatolij Bachtin entdeckten in der an Ruinen reichen Region die preußische Kulturlandschaft und begeisterten andere intellektuelle Russen für eine neue deutsch-russische Freundschaft. Bald waren verschiedene russische Initiativen zur Rückbenennung der Stadt Kaliningrad in Königsberg aktiv, auch der Kompromißvorschlag „Kantstadt“ wurde diskutiert. Die großen Kirchen in Deutschland, insbesondere die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), organisierten die Glaubensgemeinschaften in der Region. Humanitär engagierte Vereine, vorneweg die vor allem über die ostpreußischen Kreisgemeinschaften wirkende Bruderhilfe der Landsmannschaft Ostpreußen, organisierten ihre gemeinnützige Arbeit flächendeckend in dem ärmsten Armenhaus des europäischen Kontinents. Die Initiative zum Wiederaufbau von kleineren Kirchen, wie etwa der Kirche von Arnau, bis hin zum Wiederaufbau des Königsberger Doms zeugte von einem schier grenzenlosen Optimismus. Mit jedem dieser kleinen und größeren Erfolge wuchs die Euphorie um eine Region, deren Zukunft weit in der Vergangenweit zu liegen schien. Doch die Hoffnungen auf eine deutsch-russische Zukunft in Königsberg wurden auch begleitet von politischen und sozialen Fakten, die dieser Aufbruchsstimmung abträglich waren. Die Nato- und EU-Osterweiterung beseitigten die geopolitischen Pufferländer zwischen West und Ost. Das Schengen-Abkommen bedroht mit dem Beitritt Litauens und Polens das Königsberger Gebiet in seinem Enklavendasein. Rußlands Antwort auf die neuen Verhältnisse ist eine nationalistische Politik. Das neue Königsberger Denkmal für den – von den Sowjets wegen seines unsozialistischen Lebensstils ungeliebten – Versenker des deutschen Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff“, den U-Boot-Kapitän Alexander Marinesko, ist dabei nur ein äußeres Zeichen der Machtdemonstration. Deutschen Unternehmern werden willkürlich Visa entzogen, und anderen Deutschen wird neuerdings die Einreise verwehrt. Königsberg ist russisch und soll auch russisch bleiben, so das Moskauer Diktum. Auch die heftige Debatte um die 2005 anstehende 750-Jahr-Feier Königsbergs (oder das Feiern von 60 Jahren Kaliningrad) weist diesen Weg. Doch auch die Mafia hat dem neuen Aufschwung nicht zugesehen. Gerade Moskauer Seilschaften haben sich in Königsberg und Umgebung eingerichtet. Wer in Königsberg einen Euro investieren will, der muß drei Euro zahlen. Zahlt er nicht, droht Ungemach. Längst sind in Königsberg die vielen Bernsteinhändler, die kleinen Cafés, Lokale und Geschäfte gewichen. Heute beherrschen Spielcasinos und andere dubiose Etablissements das Stadtbild. Die Einrichtung des deutschen Generalkonsulats kommt für Königsberg und die deutsch-russischen Beziehungen zu spät, viel zu spät. Deutschland hatte es durchaus in der Hand, den neuen Aufbruch Königsbergs in den neunziger Jahren für den Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen zu nutzen. Doch auch die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl, die sich um die Einrichtung einer deutschen Vertretung bereits 1994 bemüht hatte, war, nachdem der damalige russische Präsident Boris Jelzin Bedenken Moskauer Nationalisten und Kommunisten angezeigt hatte, sofort auf Distanz gegangen, statt die Bedenken durch Vertiefung der Beziehungen zu beseitigen. Ein deutsch-russischer Reibungspunkt „Königsberg“ hätte bei gleichzeitigen vertrauenbildenden Maßnahmen für die bilateralen Beziehungen durchaus fruchtbar sein können. Die deutsche Politik war und ist aber auch heute noch von der Zielvorgabe geprägt: Es gibt kein wie auch immer geartetes deutsches Interesse an Königsberg. Noch vor zwei Jahren berichtete fast jede deutsche Tageszeitung auf den Reiseseiten über die besonderen Reize der Königsberger Region. Im Jahr 2004 ist Königsberg die Problemzone Europas schlechthin. Auch das offizielle deutsche Desinteresse an der Königsberger Zukunft ist schuld an der Misere. Letzten Freitag, da das deutsche Generalkonsulat zum 200. Todestag Immanuel Kants seine Arbeit aufgenommen hat, haben deutsche Investoren alle Hoffnung auf eine Königsberger Zukunft aufgegeben. Die Vertriebenen reisen – sei es nun touristisch oder humanitär veranlaßt – nur noch selten in die Region, da die längste Besuchszeit den russischen Grenzschranken gilt. Die Rußlanddeutschen zieht es in die Bundesrepublik oder zurück nach Kasachstan oder Sibirien. Noch 7.000 Deutsche sollen in Königsberg leben, doch mehrheitlich haben auch sie schon die Koffer gepackt. In Königsberg, wo Armut, Aids und die Mafia herrschen, sagen sie, da gibt es keine Zukunft. Foto: Minister Fischer am Kant-Grab in Königsberg: Unklare Zukunft