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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Hinein ins geopolitische Pulverfaß

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Letzte Woche berichtete eine Reihe von deutschen Zeitungen darüber, daß die USA an einem „Zu-kunftssicherungsprogramm“ für die Nato arbeiteten. Im Zentrum dieses „Greater Middle East“-Konzepts stünde die Idee, die Nato als Ordnungsmacht im ganzen Nahen und Mittleren Osten einzusetzen. Bereits zum Nato-Gipfel im Juni diesen Jahres in Istanbul sollen die Vertreter von mindestens sechs Mittelmeer-Staaten, darunter Israel und Ägypten, eingeladen werden. Der Begriff „Greater Middle East“ ist eine genuin US-amerikanische Schöpfung. Verwendet wurde dieser Begriff bereits von den US-Politologen Samuel Huntington und Zbigniew Brzezinski. Geographisch präzisiert wurde er vor allem von Kenneth Pollack und Ronald Asmus in einem Beitrag für die Zeitschrift Policy Review (115/2002). Gemäß Pollack und Asmus reicht der „Greater Middle East“ von Marrakesch bis Bangladesh. Er umfaßt die kaukasischen und zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion genauso wie die Staaten am Nil oder am Horn von Afrika. Aufschlußreich sind die Attribute, mit denen die beiden Ex-Berater diese Region belegten. Da ist von einem „geopolitischen Pulverfaß“ einem „Hexenkessel“ oder einem „Rechteck der Gewalt“ die Rede. Die USA erhofften sich von diesem umfassenden Strategiewechsel eine „erhebliche politische und militärische Entlastung im Irak-Konflikt“, berichtete beispielsweise die Financial Times Deutschland. Die Nato und auch die Uno müßten sich aus Sicht der USA stärker im Irak engagieren. Der Nato sei dabei eine Rolle wie in Afghanistan zugedacht. Sie soll, geht es nach den Plänen der USA, das Kommando über eine internationale Stabilisierungstruppe übernehmen. Frankreich hat bereits signalisiert, daß es sich vorstellen könne, französische Truppen im Rahmen von Nato-Einheiten in den Irak zu schicken, falls dies von der Uno gebilligt würde. Nicht zuletzt dieses Pariser Signal dürfte auch die rot-grüne Bundesregierung bewogen haben, über eine mögliche „humanitäre Hilfe“ im Irak nachzudenken. Große Geschäftigkeit wegen des kommenden Nato-Gipfels legt die Türkei an den Tag, die letztes Jahr wegen des Streits um die militärische Unterstützung im Hinblick auf einen möglichen Irak-Konflikt bei den USA in Ungnade fiel. Der mögliche Strategiewechsel der Nato eröffnet der Türkei die Möglichkeit, sich als regionale Vormacht zu positionieren und entsprechenden Einfluß auf die Gestaltung des Nachkriegs-Irakes zu gewinnen. Den USA geht es aber nicht nur um den Irak. Sie wollen mit der geostrategischen Neuorientierung der Nato deren Einflußsphäre über den Nahen Osten bis hin nach Afghanistan ausdehnen. Diese Neuorientierung trägt der Tatsache Rechnung, daß ein großer Teil der früheren Mitglieder des Warschauer Paktes demnächst Nato-Mitglieder sein werden. Der Wegfall des früheren Feindgebietes könnte die Existenzberechtigung der Nato in Frage stellen, wenn diese keinen neuen Bedrohungsszenarien definiert. Während EU-Diplomaten im Hinblick auf die neuen US-Pläne noch abwiegelnd von einer „provisorischen Idee“ sprechen, hat die „neokonservative“ Regierung von US-Präsident George W. Bush einmal mehr die Richtung vorgegeben. Dieses Vorgehen wird seit längerem als „Unilateralismus“ oder „Unipolarität“ bezeichnet. Was hinter diesem Begriff genau steht, definierte Charles Krauthammer, Kolumnist der Washington Post, bereits Anfang der neunziger Jahre – als noch der Vater des jetzigen Präsidenten regierte – in einem Beitrag für die Zeitschrift Foreign Affairs (01/91) sinngemäß wie folgt: Als Unipolarität könne eine Periode bezeichnet werden, in der die einzige Supermacht die Welt nach ihren Interessen und Ideen gestaltet. An den USA sei es, eine unipolare Welt zu führen und die Regeln der Weltordnung festzulegen und durchzusetzen. Krauthammer hat diese Position im übrigen in einem Beitrag für die Zeitschrift National Interest (70/02-03) noch einmal unterstrichen und aktualisiert. Ganz in diesem Sinne antwortete der als „Neokonservativer“ bekannte Richard Perle, Ex-Berater des US-Verteidigungsministers und profilierter Befürworter eines Krieges gegen den Irak, kürzlich in einem Interview für die Berliner Welt am Sonntag: „Wir führen die Welt …“. Festzuhalten ist, daß sich unter der Regierung Bush junior der bereits von der Clinton-Administration praktizierte Unilateralismus erheblich beschleunigt hat. Aus ihrer Sicht könnte der Feind in jeder Ecke der Erde sitzen und die Sicherheit der USA mit Massenvernichtungswaffen bedrohen. Der Publizist Rudolf Maresch bezeichnete diese Haltung vollkommen zutreffend als Ausdehnung des „Interventionsverbotes raumfremder Mächte auf den gesamten Planeten“ und verweist darauf, daß in Europa eine geopolitische Analyse, die den Hintergrund des Unilateralismus der USA bildet, „nicht stattgefunden“ hätte. Statt dessen sonne sich Europa aus Sicht der USA „im Pazifismus und Anti-Militarismus“ und weigere sich, „soziale Ressourcen in militärische Programme umzuleiten“ und die „Armeen zu modernisieren“. Die Europäer lebten, so spitzte der US-Politologe Robert Kagan in einem Beitrag für Policy Review (114/02) das Verhalten der Europäer zu, eben auf der Venus und die Amerikaner auf dem Mars. Die Ausdehnung der Nato-Einflußsphäre und damit der pax americana auf den „Greater Middle East“ ist also aus US-Sicht konsequent. Vor diesem Hintergrund dürfte die gerade verkündete Umstruktierung der Bundeswehr in „Eingreif- und Stabilisierungskräfte“ kein Zufall sein. Deutschland und Frankreich sind längst dabei, sich mit der US-Regierung zu arrangieren. Bei Treffen der Finanzminister der sieben führenden Industriestaaten (G-7) am 6. und 7. Februar in Boca Raton (Florida) werden die Irak-Kriegsgegner den USA zumindest finanziell noch weiter entgegenkommen. Realpolitisch gesehen gibt es zu diesem transatlantischen Arrangement auch keine Alternative. Die EU wird durch die Osterweiterung über Jahre hinaus ökonomisch und politisch gelähmt sein. Die Nato sucht nach einer neuen Existenzberechtigung. Und die Uno ist in der Vergangenheit nur dann in Erscheinung getreten, wenn der Schutt von Kriegen beiseite geräumt werden mußte oder „humanitäre Hilfe“ benötigt wurde. Weder die EU noch die Uno oder die Nato werden – wie Maresch zu Recht feststellte – in der künftigen „Welt- und Friedensordnung“ unter US-Vorzeichen noch gebraucht. Die Ausdehnung der Nato-Einflußsphäre ist eine weitere Etappe hin zu dieser „Welt- und Friedensordnung“.

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