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Die ungesteuerte Rakete

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Friedrich Merz wird zum Seehofer der CDU. Genau wie der stellvertretende CSU-Vorsitzende Horst Seehofer zur „ungesteuerten Rakete“ der Bayern geworden ist, entwickelt sich sein CDU-Kollege Friedrich Merz zum Problem der Christdemokraten. Scheint die Ursache der Ausfälle des Bayern in einer nur schwer überwundenen Herzkrankheit zu liegen, so handelt es sich bei dem Westfalen um verletzte Eitelkeit. Dennoch: Mit seinen Attacken gegen die Unionsführung hat Merz einige Wahrheiten in das Stammbuch der Opposition geschrieben. Der Zeitpunkt für den Angriff gegen die Führung war gut gewählt: Kurz vor Ostern, in den Parteizentralen arbeiteten nur noch Notbesetzungen, meldete sich Merz per Interview mit dem Spiegel zu Wort. Die Rivalität zwischen CSU-Chef Edmund Stoiber und CDU-Chefin Angela Merkel lähme zunehmend die Handlungsfähigkeit der Union, beklagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende. „Die beiden Parteivorsitzenden paralysieren sich zu oft gegenseitig“, so der Vorwurf. Stoiber trete auf die Reformbremse. Der zentrale Satz der Kritik. „Wir haben ein echtes Strukturproblem mit diesen beiden Parteien und der ungelösten Machtfrage an der Spitze.“ Die Organisation in einer Bundestagsfraktion stoße an ihre Grenzen. Nur wer Merz nicht kennt, wird vielleicht die Frage gestellt haben, ob hier das 1976 von der CSU schnell wieder aufgegebene Abenteuer der „Vierten Partei“ (Kreuther Trennungsbeschluß) fröhliche Auferstehung feiert – allerdings dieses Mal von der CDU kommend. In Wirklichkeit dürfte Merz seine immer noch nicht verheilten Wunden geleckt haben. Zur Erinnerung: Nach der verlorenen Bundestagswahl hatte Angela Merkel den damaligen Fraktionsvorsitzenden Merz gestürzt und sich selbst zur Oppositionsführerin küren lassen. Die Zeit der Doppelspitze in der CDU war damit vorbei. Merz hatte bis zum Tag der Bundestagswahl gehofft, daß Stoiber ihm helfen würde, im Amt zu bleiben. Doch der Bayer konnte sich an frühere Zusagen nicht mehr erinnern. Es gab offenbar eine jüngere Vereinbarung zwischen Stoiber und Merkel, nach der die CDU-Chefin im Falle einer Niederlage bei der Bundestagswahl auch den Fraktionsvorsitz übernehmen solle. Dafür hatte sie bei der Kanzlerkandidatur Stoiber kampflos den Platz überlassen. Seitdem grollt Merz, mal öffentlich, mal in kleinem Kreise. Entweder beschimpft er die CDU-Vorsitzende öffentlich, oder er droht mit Rücktritt. Neu war diesmal, daß er Stoiber öffentlich kritisierte. Der Hintergrund dürfte einfach sein: Stoiber und die CSU zerschossen das Steuerkonzept von Merz, das den heutigen linear-progressiven Tarif durch einen Stufentarif ersetzen will. Außerdem wollte Merz fast alle bisher steuerfreien Einnahmen (Kindergeld, Pflegegeld, Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit) steuerpflichtig machen. Stoiber sorgte dafür, daß das noch auf dem CDU Parteitag in Leipzig bejubelte Merz-Konzept in einer gemeinsamen Präsidiumssitzung zu den Akten gelegt wurde. Offizielle Begründung: zu teuer. Für Merz war damit ein Lebenstraum geplatzt: Er hatte offenbar gehofft, sich mit seinem Steuerkonzept Ruhm zu erwerben und damit wieder in die erste Reihe der Union zurückzukehren. Der Traum entpuppte sich als Seifenblase. Wenn man die Schichten an verletzter Eitelkeit beiseite räumt, tritt ein wahrer Keim an Merz‘ Äußerungen zutage. Tatsächlich kann sich die Union derzeit alles wünschen, nur nicht die sofortige Regierungsübernahme. Trotz zahlreicher Kommissionen und Parteitage liegen CDU und CSU in fast allen Sachfragen auseinander. Das betrifft besonders die Steuer- und Sozialpolitik. Die CSU hat bei allen Reformthemen ein Ziel im Blick: ihre absolute Mehrheit in Bayern zu bewahren. Deshalb wird sie nie ein Merz-Konzept mittragen, das der großen Arbeitnehmermehrheit alle Vergünstigungen wegstreicht und den wenigen Reichen durch Senkung der Spitzensteuersätze das Geld hinterherwirft. Genauso verhält es sich in der Sozialpolitik: Für die CSU ist nicht hinnehmbar, daß eine Krankenschwester und ein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens gleich hohe Beiträge zur Krankenversicherung tragen sollen. Daher stößt das CDU-Kopfprämienmodell in Bayern auf keine Gegenliebe. Die CSU wirft der CDU vielmehr vor, die Mehrheitsfähigkeit der Union zu verspielen, wenn sie Rezepte aus der Zeit des Manchester-Kapitalismus aus der Schublade zieht. CDU-Politiker wie Merz interpretieren den jüngsten Wahlerfolg in Hamburg und die guten Umfragewerte als Ergebnis der eigenen Stärke und der guten Parteitagsbeschlüsse. Entsprechend vorlaut treten sie auf, statt das Wahlergebnis mit Demut entgegenzunehmen. Das ist ein Fehler: Die CDU steht nicht aus eigener Kraft so gut da, sondern nur aufgrund der Schwäche der Sozialdemokratie. In Wirklichkeit haben die Christdemokraten ein Führungsproblem: Merkel steht zwar an der Spitze, aber Stoiber und der hessische Ministerpräsident Roland Koch haben ihre Hoffnungen auf die nächste Kanzlerkandidatur nicht aufgegeben. Dieser Machtkampf muß erst noch entschieden werden. Da hat Merz recht. Foto: Friedrich Merz, Edmund Stoiber: „Wir haben ein echtes Strukturproblem mit diesen beiden Parteien“

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