Wie kann der Opfer der kommunistischen Diktatur angemessen gedacht werden? Diese Frage ist der Kernpunkt eines aktuellen Streites um drei Fototafeln im Zentrum Berlins, die an den Volksaufstand in Mitteldeutschland am und im Umfeld des 17. Juni 1953 erinnern. Bei den damaligen Ereignissen kam einer Protestversammlung am 16. Juni an der Ecke Leipziger Straße/Ecke Wilhelmstraße eine besondere Bedeutung zu. In dem ehemaligen 1935/36 errichteten Reichsluftfahrtministerium befand sich seit 1950 das sogenannte „Haus der Ministerien“, in dem u.a. das Ministerium der Finanzen sowie mehrere Industrieministerien ihren Sitz hatten. Dorthin waren am 16. Juni die ersten 100 Arbeiter aus der Stalinallee gezogen, denen sich auf ihrem Protestzug aber rasch mehrere tausend weitere Teilnehmer angeschlossen hatten. An dieser Stelle, an der sich die Massen versammelten, wurden neben der Forderung nach Rücknahme der Arbeitsnormen auch Forderungen nach dem Rücktritt der Regierung und freien Wahlen laut. Mutige Redner aus der Arbeiterschaft boten einigen Funktionären, darunter dem Minister für Hüttenwesen und Bergbau, Fritz Selbmann, die Stirn und forderten am Ende der Kundgebung zum Generalstreik am 17. Juni auf. Vollkommen zu Recht kann man also sagen, daß hier der wesentliche Kulminationspunkt der Ereignisse überhaupt lag. Nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes war es aus leicht nachvollziehbaren Gründen über viele Jahre – bis zum Ende der kommunistischen Diktatur in Deutschland – nicht möglich, an diesem authentischen Ort eine Erinnerungsstätte an den Volksaufstand sowie für die Opfer einzurichten. So mußte für die jährlichen Gedenkveranstaltungen ersatzweise auf Stätten wie den Friedhof Seestraße im Stadtbezirk Wedding zurückgegriffen werden, auf dem am 23. Juni 1953 acht Opfer des Aufstandes beigesetzt worden waren, die in West-Berliner Krankenhäusern ihren schweren Verletzungen erlagen. Um so mehr richteten die Verbände der Verfolgten der kommunistischen Gewaltherrschaft nach den Umwälzungen von 1989/90 ihr Augenmerk darauf, diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Dem Druck dieser Organisationen war es in erster Linie zu verdanken, daß am 17. Juni 1993 am authentischen Versammlungsort eine Gedenktafel für die Opfer des Volksaufstandes eingeweiht werden konnte. Sie trägt die Inschrift: „An dieser Stelle / vor dem Haus der / Ministerien der DDR / forderten am 16. Juni 1953 / die Bauarbeiter der / Stalinallee / im Bezirk Friedrichshain / die Senkung der / Arbeitsnormen / den Rücktritt der Regierung /die Freilassung aller / politischen Gefangenen / sowie freie und geheime / Wahlen. / Diese Protestversammlung / war Ausgangspunkt / des Volksaufstandes / am 17. Juni 1953. /Wir gedenken der Opfer / 17. Juni 1993“. Bundesvermögensamt will die Tafeln entfernen Da die Tafel jedoch gegenüber einem 25 Meter langen Propagandafries der DDR-Ära von Max Lingner kaum sichtbar war, forderten insbesondere der Arbeitskreis 17. Juni und das Mauermuseum am ehemaligen Übergang Checkpoint Charlie zusätzlich eine der Bedeutung des historischen Datums angemessene Gedenkstätte am gleichen Ort. Um Passanten auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, ließen sie daher im Oktober 1994 drei knapp 18 Meter hohe Fototafeln am Gebäudekomplex anbringen, auf denen u.a. die sowjetischen Panzer zu sehen sind, die ab dem Mittag des 17. Juni gegen die Aufständischen eingesetzt wurden. Ende 1995 mußten die Tafeln allerdings im Zuge der Sanierung des Gebäudekomplexes entfernt werden. Am 16. Juni 2000 konnte nach jahrelangem Streit ein vom Berliner Senat und dem Bund finanziertes Bodendenkmal enthüllt werden, das ein stark vergrößertes Foto mit Arbeitern unterschiedlichen Alters zeigt, welche die erste Reihe des historischen Demonstrationszuges bildeten. Dieses vom Berliner Künstler Wolfgang Ruppel geschaffene Objekt hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Aus der Ferne betrachtet ist es nahezu unsichtbar. Ein uneingeweihter Interessent oder Tourist muß daher ein spezielles Interesse an diesem Ort besitzen, um überhaupt darauf zu stoßen. Aus diesem Grunde sprachen bereits kurz nach der Einweihung mehrere Opferverbände von einem „Denkmal für Wissende“. Anläßlich des 50. Jahrestags des Volksaufstands im vergangenen Jahr konnte die Vorsitzende des Mauermuseums, Alexandra Hildebrandt, das Bundesfinanzministerium nach längeren Diskussionen überzeugen, für 14 Tage der erneuten Aufhängung der Tafeln aus den Jahren 1994/95 zuzustimmen. Seither wurden diese nicht mehr entfernt. Einer Aufforderung des Finanzministeriums, die Tafeln wieder abzuhängen, entsprach Hildebrandt bislang nicht. Nunmehr hat sich das Bundesvermögensamt, welches die bundeseigenen Liegenschaften in der deutschen Hauptstadt verwaltet, entschlossen, die Arbeitsgemeinschaft auf Abnahme der Fototafeln zu verklagen. Den Streitwert von 180.000 Euro begründet das Amt mit den hohen Einnahmen, die von Werbekunden für die Mietung vergleichbarer Flächen anstandslos gezahlt würden. Das Bundesvermögensamt will die Tafeln nicht selbst entfernen lassen, da man sich nicht dem „Hauch eines Unrechts“ aussetzen lassen wolle. Ob es Alexandra Hildebrandt, Chefin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, tatsächlich auf einen solchen Kraftakt vor Gericht ankommen lassen wird, ist noch offen. Unterstützung erhält sie auch vom Schwesterverband des Arbeitskreis 17. Juni, der Vereinigung 17. Juni 1953. Unabhängig „von der rein juristisch-formalen Seite“ könne die Politik nicht einerseits diesen Standort als einen historisch wichtigen Ort des Aufstandes würdigen, um sich kurze Zeit nach dem Jubiläum mit Hinweis auf den Denkmalschutz „aus der historischen Verantwortung“ zu stehlen, kritisiert dessen Vorsitzender Carl-Wolfgang Holzapfel. Foto: Gebäude des Bundesfinanzministeriums in Berlin-Mitte: Die DDR-Opferverbände bezeichnen die Bildtafeln als „Denkmal für Wissende“