Es scheint, wir leben in einer absurden Welt. Über den Bür-gerkrieg im fernen Haiti werden wir mit Nachrichten überschüttet. Zugleich erfahren wir über dramatische Dinge in unserer Nachbarschaft relativ wenig. Die Meldung, daß es im künftigen EU-Land Slowakei zu schweren Krawallen und Plünderungen durch dort lebende Zigeuner gekommen war, wurde in den westlichen Medien heruntergespielt. Dabei spielte sich in Mitteleuropa letzten Monat ein Drama ab: In mehreren Ortschaften der Ost- und Mittelslowakei haben aufgebrachte Roma Geschäfte geplündert und die Polizei mit Steinwürfen attackiert. Die Ordnungskräfte wurden von den meist jungen Zigeunern mit dem Ruf „Faschisten“ und „Wir wollen was zu essen“ begrüßt. Tränengas wurde eingesetzt, auch Warnschüsse fielen. Ein Roma-Führer brachte sogar das Wort vom „bewaffneten Aufstand“ ins Spiel. Selbst wenn offizielle Roma-Vertreter diese Drohung dementierten – sie steht im Raum. Alles begann ganz harmlos. Die christliberale Regierung von Premier Mikulás Dzurinda hatte die Sozialhilfe für alle Bürger um die Hälfte reduziert. Das traf die meist arbeitslosen Zigeuner besonders hart – es war zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. So überfielen etwa achtzig Roma zunächst den Supermarkt in Leutschau (Levoca). Die gewaltsamen Proteste breiteten sich in Windeseile aus, die Regierung mußte zum ersten Mal massiv Polizeikräfte und sogar reguläre Soldaten zur Niederschlagung des Aufruhrs in Bewegung setzen. Plötzlich stand im „Traumland für Investoren“ – nur 19 Prozent Steuersatz – das Gespenst einer ungelösten ethnischen Frage im Raum. Die Roma haben sich schon in kommunistischen Zeiten nicht „integrieren“ lassen, sondern unter elenden Verhältnissen abseits der übrigen Bewohner gelebt. Die Kommunisten haben sie einfach weggesperrt – in die heruntergekommenen Zigeunersiedlungen am Rande der Städte. Die EU glaubt, das Problem mit mehr Geld in den Griff zu bekommen. Doch hier stoßen zwei Lebensformen oder Weltanschauungen aufeinander. Noch so große Zuwendungen nutzen nichts, wenn die Roma die EU-Regeln einfach nicht akzeptieren. Dabei ist die Slowakei nur die Spitze des Eisberges: In Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Ukraine befinden sich Millionen von Roma in Wartestellung in ihren Elendsquartieren – die Zigeuner aus Ex-Jugoslawien sind zum Teil schon hier, die Kölner Polizei kann ein Lied davon singen. Aber auch unzähligen anderen Bürgern in Osteuropa geht es sehr schlecht. Wird sich diese Volksmasse eines Tages in Bewegung gegen Westen setzen – und wird dabei vielleicht sogar Blut fließen? Die slowakischen Ereignisse sind nur ein Vorspiel. Dahinter wird sichtbar, daß das westliche Konzept des „Sozialstaats“ – gesellschaftliche und nationale Probleme per Scheckbuch zu lösen – hier nicht wirkt. Ich erinnere mich an eine Konferenz, welche die Hanns-Seidel-Stiftung Anfang der neunziger Jahre in Preßburg (Bratislava) abhielt. Da erhob sich eine Dame, die sich als Professorin von der Universität Kaschau (Kosice/Kassa) auswies und den CSU-Leuten sagte: „Was Sie hier sagen, ist alles schön und gut – aber wie sollen wir mit dem unlösbaren Problem der Zigeuner fertig werden?“ Die Reaktion der bayerischen Gäste: Empörung über den angeblichen „Rassismus“ der Professorin. So begann das große Mißverständnis – die Folgen sind jetzt sichtbar.
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