Wenn die Kuh gestohlen ist, sperrt der Bauer den Stall zu.“ An diese ländliche Weis-heit erinnert sich, wer die jüngsten Zwischenfälle im Kosovo (Amselfeld) kritisch Revue passieren läßt. Die formell immer noch zu Serbien gehörende Provinz war nach dem Nato-Angriff auf Serbien 1999 unter Uno-Verwaltung (Unmik) gestellt worden und dann allmählich aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden. Amerikaner und Westeuropäer sahen schon ihren Traum von einer multikulturellen und multiethnischen Kosovo-Idylle zum Greifen nahe, in der erstmals in der jüngeren Geschichte Albaner und Serben friedlich zusammenlebten. Unsanft aufgeweckt wurden Nato-Offiziere und Uno-Bürokraten, als es letzte Woche in der umstrittenen Provinz zu schwersten ethnischen Unruhen zwischen der albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit kam. Albaner zündeten vor allem in der gemischt besiedelten Stadt Kosovska Mitrovica serbische Häuser und serbisch-orthodoxe Kirchen an, darunter mehrere mittelalterliche Heiligtümer. Die Serben wiederum revanchierten sich auf ihre Weise: In Belgrad brannte die einzige Moschee, welche die große Moscheenzerstörung zu Beginn der serbischen Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert überstanden hatte. Auch in der Stadt Nisch (Nis) und anderen serbischen Zentren brannten moslemische Einrichtungen – über 30 Menschen kamen dabei um. Auf beiden Seiten brach ein archaischer, religiös und national verbrämter Haß sich Bahn. Wer begonnen hatte, ließ sich wie zumeist bei solchen Zwischenfällen schwer rekonstruieren. Die Albaner bestatteten zwei Kinder, die angeblich von Serben in den Fluß Ibar getrieben und dort ertränkt wurden. Die Republik Serbien proklamierte Volkstrauer für die Opfer aus ihren Reihen. Nur der internationale „Balkan-Koordinator“, der Österreicher Erhard Busek (Ex-ÖVP-Vizekanzler) beging einen unverzeihlichen Fehler: Er beschuldigte öffentlich die Albaner, die Zwischenfälle angezettelt zu haben – womit er sich als Vermittler und Unparteiischer zwischen den Volksgruppen disqualifiziert haben dürfte. Überhaupt muß man sich fragen, ob nicht die gesamte „Friedensmission“ von Uno, Nato und EU im Kosovo ein Mißerfolg war. Eines der sichtbarsten Resultate manifestiert sich in der blühenden Sexindustrie, die mit den internationalen Soldaten und Beamten ins Land gekommen ist. In der Kosovo-Hauptstadt Pristina gibt es über hundert Etablissements mit zwangsweise angeheuerten Frauen – meist aus Osteuropa. Heute arbeiten etwa 4.500 „Internationale“ für die Uno-Mission im Kosovo, (Uno, EU und OSZE). Dazu kommen noch 25.000 Soldaten der Nato-Truppe – das alles auf einem Gebiet, das halb so groß ist wie Hessen. Zwischen dem Lebensstandard der „Internationalen“ und der einheimischen Bevölkerung klafft ein Abgrund. Außerdem gibt es Gegensätze zwischen dem patriarchalisch-prüden Lebensstil der Kosovaren und dem als ausschweifend empfundenen Benehmen vieler „Westler“. „Es gibt viele Internationale, die auch die Dienste gehandelter Frauen in Anspruch nehmen“, klagte der Kosovo-Ministerpräsident Bajram Rexhepi über das herausfordernde Benehmen der internationalen Friedensstifter. „Manche werden meinen, ich sage das, weil ich politisch frustriert bin. Aber das ist es nicht. Ich habe genug. Vor über einem Jahr habe ich in New York um eine Untersuchungskommission angesucht und bisher keine Antwort bekommen.“ Die kosovo-albanische Zeitung Koha Ditore schrieb unlängst, das Problem des Menschenhandels habe im Kosovo „beängstigende Ausmaße“ angenommen. Überhaupt „menschelt“ es sehr unter den internationalen Friedenswächtern. Zahlreiche Bars und Nachtklubs gelten als Aufreiß-Lokale, wo ausländische Soldaten oder Zivilisten nach one-night-stands Ausschau halten. Es gibt also auch eine sexuelle Komponente internationaler Präsenz. Hinzu tritt auch die legale Seite der Liebesbeziehungen: So verfiel der auch in der Bundesrepublik aufgefallene, bis Juli 2003 amtierende deutsche Unmik-Chef Michael Steiner den Reizen der kosovo-albanischen Übersetzerin Bukurije Gjonbalaj. Danach galt sein Ruf als unparteiischer Vermittler zumindest als angekratzt. Ihm ging es nicht anders als seinerzeit dem schwedischen Sondervermittler für Bosnien-Herzegowina, Carl Bildt (1995-97), der sich durch ein – mutmaßliches – Verhältnis zu einer serbischen Dolmetscherin aus der Republika Srpska (der Serben-Republik in Bosnien) kompromittierte. Auffallend ist, daß die – fast gleichgeschaltete – Sicht der internationalen Medien sich oft gegen die Albaner richtet. Nun haben letztere gewiß selber einiges dazu beigetragen, um ihren Ruf – wegen mafiotischer Verbindungen – zu ramponieren. Dennoch sollte man einige Tatsachen nicht vergessen: die Kosovo-Albaner waren trotz relativ hoher Schulbildung schon immer die ärmsten Teufel des Balkans, an denen sich jeder serbische Dorfgendarm oder später KP-Funktionär seine Stiefel abputzen konnte. Es war der sprichwörtliche albanische Stolz, der sie immer wieder in den Widerstand trieb. Im Zweiten Weltkrieg traten sie auf die deutsche Seite – und zwar 1943 nach der Kapitulation Italiens, als das bereits geschwächte Dritte Reich den Albanern weitgehende Selbstverwaltung gewährte. Dem Verfasser dieser Zeilen sagte Azem Vllasi (bis 1988 KP-Chef im Kosovo) noch vor dem Zerfall Jugoslawiens: „Die Deutschen genießen unter den Kosovaren einen sagenhaften Ruf, denn die deutsche Armee, die nach der Kapitulation Italiens das Land besetzte, war die erste fremde Streitmacht in unserer Geschichte, die nicht plünderte, nicht vergewaltigte und für alles, was sie aus dem Land bezog, auch bezahlte.“ Gegenüber der sich 1945 nach Norden zurückziehenden deutschen Armee verhielten sich die Nord-Albaner ritterlich. Dazu das Zeugnis des langjährigen späteren österreichischen Botschafters Walter Peinsipp: „Viele (deutsche) Frauen und Mütter verdankten die Rückkehr ihres Gatten, Vaters, Sohnes nur dem Ehrgefühl der Skipetaren.“ Es ist bis heute bedeutsam, daß sich die albanische Nation in zwei Stämme teilt – Tosken und Ghegen. Trennungslinie ist der Fluß Shkumbini in Mittelalbanien. Die kommunistische Diktatur wurde hauptsächlich von Tosken installiert. Noch heute sind die Anhänger der Sozialistischen Partei Albaniens vorwiegend Tosken, die Bewohner Nordalbaniens und des Kosovo aber großenteils Ghegen – und damit Gefolgsleute der Antikommunisten des Ex-Präsidenten Sali Berisha (Demokratische Partei). Schon deshalb ist eine „großalbanische Lösung“ (die Vereinigung aller Albaner in einem Staat) – im Gegensatz zu westlichen Prognosen – im Augenblick wenig wahrscheinlich. Die Kosovaren könnten dank reicher Bodenschätze auch auf eigenen Beinen stehen – und sie wissen das auch. Nur eines ist so gut wie ausgeschlossen: daß sie sich jemals wieder den Serben unterwerfen. Wer das von den Albanern verlangt, löst ein neues Blutbad auf dem Balkan aus. Das um 600 auf insgesamt 3.800 Soldaten aufgestockte Bundeswehr-Kontingent könnte dies nicht verhindern. Die Deutschen waren nicht einmal in der Lage, den 1865 wiedererbauten serbisch-orthodoxen Bischofssitz im Herzen von Prizren zu schützen – er ging letzte Woche in Flammen auf. Foto: Imam Hamdija Jusufspahic vor der zerstörten Belgrader Barjakli-Moschee: Ein neues Blutbad auf dem Balkan ist nicht ausgeschlossen