Das Asylantenlager Traiskirchen vor den Toren Wiens ist die größte Einrichtung dieser Art in Österreich. In der alten k.u.k.-Kadettenanstalt, die 1945 Kaserne der Roten Armee wurde und in der 1956 die Flüchtlinge nach dem gescheiterten Ungarn-Aufstand untergebracht wurden, leben derzeit etwa 800 Asylsuchende aus aller Welt. Inmitten dieser ethnischen Gemengelage gerieten vor einigen Tagen zwei Gruppen aneinander – auf der einen Seite Russen (mit moldawischem Paß), auf der anderen Seite Tschetschenen. Der Anlaß war auf den ersten Blick nichtig: Es ging um Kindergeschrei, an dem man sich störte. Der Zusammenstoß artete in eine Schlägerei aus, bei der beide Seiten mit Eisenstangen aufeinander prügelten. Das Resultat war blutig – mehrere Verletzte und ein Toter: Ein 24jähriger Tschetschene wurde von einer Eisenstange so schwer am Kopf getroffen, daß er bald darauf starb. Es mußte jedem halbwegs nachdenklichen Zeitgenossen klar sein, daß zwischen Russen und Tschetschenen eine Art Kriegszustand herrscht – siehe die ständigen Kämpfe in Tschetschenien und die nicht abreißenden tschetschenischen Selbstmordattentate. Wer auf die glorreiche Idee verfiel, Angehörige beider Nationen nebeneinander im Lager unterzubringen, hat damit die Büchse der Pandora geöffnet. Selbst der verspätete Versuch österreichischer Behörden, die Streithähne voneinander zu trennen, führte zu problematischen Resultaten. Als eine Gruppe von Russen/Moldawiern aus Traiskirchen in das oberösterreichische Lager Thalham verlegt wurde, drohten dort untergebrachte Tschetschenen, an den Neuankömmlingen Blutrache für den Tod ihres Landsmanns zu üben. Von den vierzig nach Thalham überstellten Moldawiern sind inzwischen sieben spurlos untergetaucht. Vier Moldawier kamen in Untersuchungshaft. Ein Machtkampf der organisierten Kriminalität? Erst im Zuge ihrer Untersuchungen stieß die österreichische Polizei auf eine ganz neue Variante: Der angebliche Familienstreit ist in Wahrheit ein Machtkampf der organisierten Kriminalität gewesen. Innerhalb kurzer Zeit waren im Lager mehrere Gruppen offensichtlich gewaltbereiter Moldawier/Russen erschienen, die nicht zu den Lagerbewohnern gehörten. Diese seien zahlenmäßig weit überlegen gewesen und hätten alle Tschetschenen, darunter Frauen und Kinder, angegriffen. Das österreichische Bundeskriminalamt untersucht jetzt, ob es in der Wiener Asylantenszene eine Kriminalität mit „organisierten Strukturen“ gibt. Auch sollen Schutzgelderpressungen im Asylantenmilieu keine Seltenheit sein. Sollten sich diese oder ähnliche Verdachtsmomente bewahrheiten, dann wäre damit offensichtlich, daß das großzügige Gastland Österreich als Sprungbrett für kriminelle Karrieren mißbraucht wird. Die österreichischen Nachbarn des Lagers – etwa Traiskirchener Geschäftsleute, aber auch Familien – erklären, sie fühlten sich nicht mehr sicher. Rund um das Lager hielten sich „ständig irgendwelche mehr oder weniger exotischen Typen“ auf. Man wisse nicht, „was diese alles noch anstellen“ würden. Die gesamte österreichische Asylpolitik ist nun ins Visier der Kritik geraten. So stellt sich die Frage, ob es klug war, die Betreuung der Asylsuchenden zu „entstaatlichen“ und zu privatisieren. Zum Beispiel war die Flüchtlingsbetreuung in Traiskirchen vor nicht langer Zeit der deutschen Privatfirma European Homecare übergeben worden. Der sozialdemokratische Bürgermeister Fritz Knotzer monierte jetzt, Home-care hätte zu wenig und jedenfalls nicht genügend qualifiziertes Personal eingesetzt. Zum Zeitpunkt der Schlägerei habe sich nur ein Sozialarbeiter auf dem Gelände befunden. Einige der Homecare-Mitarbeiter seien selber Ausländer und folglich mit den örtlichen österreichischen und europäischen Gegebenheiten möglicherweise nicht genügend vertraut. Der SPÖ-Sicherheitssprecher Rudolf Parnigoni kam gar zu dem Schluß, European Homecare sei nicht in der Lage, die Sicherheit der Asylbewerber zu garantieren. Homecare ihrerseits droht mit Klagen. Caritas-Funktionäre, die bei der Privatisierung nicht zum Zuge kamen, betrachten die neue Lage nicht ohne Schadenfreude. In der Anonymität der Großstadt abtauchen Hinter dem Fall Traiskirchen aber öffnet sich das gesamte Szenario österreichischer Asylpolitik. So erschienen vor wenigen Tagen vor der Wiener SPÖ-Zentrale 21 Flüchtlinge, die in einem Gasthaus einer steirischen Kleinstadt untergebracht waren, und protestierten wegen „unhaltbarer Zustände“ bei ihrer Unterbringung. Das erwies sich zumindest als übertrieben: In dem Gasthaus, dessen Einrichtung sich auf dem Niveau der sechziger Jahre befindet, hatte es bisher keine Reklamationen gegeben. Bald stellte sich heraus: Die Asylsuchenden wollten in die Nähe einer Großstadt – wie zum Beispiel Wien. Das aber wirft die Frage auf, ob es nicht darum geht, in der Großstadt-Anonymität abtauchen zu können. 1998 gab es 13.793 Asylanträge in Österreich, 2002 waren es schon 39.354. Die meisten Antragsteller kommen übrigens inzwischen aus dem Nato-Partnerstaat Rußland – gefolgt vom EU-Bewerber Türkei und der „größten Demokratie der Welt“: Indien. Natürlich sind nicht alle Asylanten und Ausländer kriminell – aber es fällt auf, daß die (süd)-osteuropäische Bandenkriminalität in Wien und anderen Großstädten stark zugenommen hat. Innenminister Strasser schließt nicht mehr aus, die visafreie Einreise rumänischer Staatsbürger – eine EU-Errungenschaft – zu stoppen. Der Minister will den für 2007 geplanten EU-Beitritt Rumäniens davon abhängig machen, daß sich die Sicherheitslage dort entscheidend verbessert. Neuerdings wird auch in jenen österreichischen Medien, die ein „politisch korrektes“ Vokabular pflegen, offen von einem „steigenden Kriminaltourismus“ aus östlicher Richtung gesprochen. Auch die Herkunft der Täter wird nicht mehr schamhaft verschwiegen.