Wer etwas über das Verhältnis Österreichs zu der Familie Habsburg-Lothringen erfahren möchte, muß nur das in Wien erscheinende Nachrichtenmagazin Profil vom 19. Mai 2003 aufblättern. Seitenlange Artikel über „Die Rache der Enterbten“, in denen die Problematik einer Restitution des Habsburger Vermögens erörtert wird, triefen nur so von gehässigen und zynischen Formulierungen. Jedem Außenstehenden wird sofort klar: Hier will eine von Minderwertigkeitskomplexen und Schuldgefühlen geplagte Nation ihrem eigenen Über-Ich entkommen. „Habsburg-Kannibalismus“ wird das in der Republik der so völlig unrepublikanischen Hofräte treffend genannt. Dabei sollte man meinen, daß der Rechtsstaat – auf den die Republikaner ja so stolz sind – keinen Unterschied macht zwischen unrechtmäßigen Enteignungen, wenn die Rechtsnorm, auf die sich die Geschädigten berufen, die gleiche ist. In dem vorliegenden Fall handelt es sich um das Entschädigungsfondsgesetz aus dem Jahre 2001, das zwischen den USA und Österreich ausgehandelt wurde. Habsburger – Opfer des Nationalsozialismus? Das Gesetz soll den Menschen, die nach dem „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 aus politischen Gründen enteignet wurden – die also dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen -, eine gerechte Wiedergutmachung garantieren. Aus seinem maßlosen Haß gegen die Monarchie und das Haus Habsburg-Lothringen hat Adolf Hitler nie einen Hehl gemacht. Insofern mußten selbst Altlinke wie der einstige Vorsitzende der Sozialistischen Jugend und heutige SPÖ-Klubchef Josef Cap zähneknirschend zugeben, daß von einer „moralischen Verstrickung“ der Familie mit der nationalen Variante des Sozialismus keine Rede sein kann. So war wohl kein Zufall, daß Carl-Christian von Habsburg-Lothringen, Enkel des letzten österreichischen Kaisers und Königs von Ungarn und Sohn von Carl-Ludwig, gerade am 8. Mai zu einer Pressekonferenz nach Wien lud, um den Anspruch auf Restitution des entwendeten Familienvermögens seiner weitverzweigten Familie zu erläutern. Das Pikante an seinem Aufritt: Der 48jährige kam in Begleitung des ehemaligen US-Vizefinanzministers Stuart Eizenstat, der auch in Deutschland bestens bekannt ist, leitete er doch die Verhandlungen über den Entschädigunsgfonds für Zwangsarbeiter. Daß sich Eizenstat dabei als knallharter Verhandler profilierte, dürfte auch in der Wiener Hofburg kein Geheimnis geblieben sein. Auch in der „Causa Habsburg“ wird man nicht mit Glacéhandschuhen zur Sache gehen, denn die Liste der Forderungen umfaßt 10.000 Hektar Wald bei Mattighofen, die Domäne Orth samt Schloß Eckartsau mit 7.000 Hektar Wald, Pöggstall in der Wachau mit 5.500 Hektar Wald, Mannersdorf mit Gut Scharfenegg (2.500 Hektar), weitere Domänen in Klein-Krampen und Vösendorf bei Wien, außerdem Mietshäuser in Wien und eine angemessene Entschädigung für Schloß Laxenburg und den Philipphof in bester Wiener Lage. Der Gesamtwert der Forderungen beläuft sich auf rund 200 Millionen Euro – ein Witz im Vergleich zu den tatsächlichen Vermögensverlusten, die die Familie Habsburg-Lothringen seit 1918 hinnehmen mußte. Denn natürlich geht es nicht darum, die Hofburg oder Schloß Schönbrunn wieder in Besitz zu nehmen, sondern der kaiserliche Clan kämpft ausschließlich um Teile der einstigen Privatschatulle. Die Einrichtung eines Familienfonds wurde schon von dem Ehegatten Kaiserin Maria Teresias, Franz Stephan von Lothringen alias Kaiser Franz I., betrieben. Er nahm am 16. Oktober 1765 mit sechs Millionen Gulden seinen Betrieb auf. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Abschaffung der Monarchie wurde das „Habsburger-Gesetz“ erlassen, das die Familie nicht nur enteignete, sondern auch des Landes verwies. Mit den Fondserträgen der „Täter“ seien Kriegsinvaliden und Hinterbliebene versorgt worden, argumentieren die Habsburg-Gegner. Warum dann aber – um nur ein Beispiel zu nennen – die Sommerresidenz des österreichischen Bundespräsidenten das ebenfalls enteignete Schloß Mürzsteg ist, kann man mit republikanischen Tugenden nicht erklären. Eine großzügige Wohnung im 23. Stock eines Plattenbaus würde schließlich genauso einen schönen Ausblick und frische Luft garantieren. Besitztümer auch in allen k.u.k-Nachfolgestaaten Nach 1918 gab es noch ein weiteres Problem: Da Ungarn de jure eine Monarchie geblieben war, der noch 1916 in Budapest gekrönte Karl IV. aber auf Druck der Westmächte im Exil bleiben mußte, konnten nur die Familienmitglieder ihr Vermögen nutzen, die in der „anderen Reichshälfte“ geblieben waren. Zu ihnen gehörte der 1872 geborene Herzog József Ágost, der nach 1919 noch knappe zwei Wochen das Königreich verwaltete und kurze Zeit als König gehandelt wurde. Zwischen 1936 und 1945 war er Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Von den rund 50.000 Hektar Landbesitz befanden sich vier Fünftel außerhalb der ungarischen Trianon-Grenzen, die Besitztümer fielen größtenteils an das neu geschaffene Königreich (Groß-)Rumänien und waren somit verloren. Der Teschener Zweig der Habsburger, der sich von dem Bruder Franz‘ I. (1792-1835), Karl, ableitet und von Erzherzog Friedrich (Frigyes) repräsentiert wurde, hatte ebenfalls Pech, denn 20.000 Hektar Landbesitz im Komitat Moson fielen an die 1918 neugeschaffene Tschechoslowakei. Weitere Besitzungen lagen im ebenfalls 1918 proklamierten „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, das 1929 in Jugoslawien umbenannt wurde. Zwar kamen diese Ländereien nach der Rückeroberung 1941 wieder unter ungarische Verwaltung, aber Ministerpräsident László von Bárdossy gab das Land nicht an die ursprünglichen Eigentümer zurück. Vielleicht suchte Erzherzog Friedrichs Sohn Albrecht deswegen den Kontakt zu den ungarischen Pfeilkreuzlern, die ihn sogar als neuen König Béla V. ins Spiel brachten. Bekanntlich beendete das Getöse der „Stalinorgeln“ diese Gedankenspielereien abrupt. Nach der totalen Enteignung durch die Kommunisten 1945 konnten die ungarischen Nebenlinien der Habsburger erst nach 1990 wieder Besitz erwerben. Auch sie bekamen „Entschädigungscoupons“ (Kárpótlási jegy) zugeteilt, mit denen sie inzwischen eine nicht bekannte Menge Land ersteigert haben. Nicht auszuschließen ist, daß noch weitere Forderungen auf den Tisch kommen, denn auch in Ungarn wurden diverse Entschädigungsansprüche neu verhandelt, und wenn das Land 2004 Mitglied der EU wird, könnten die Kläger bis vor den Europäischen Gerichtshof in Straßburg ziehen. Der „theoretische“ Thronfolger Kaiser Karl I., der 90jährige CSU-Europapolitiker Otto von Habsburg-Lothringen, konnte sich schon vor 1945 drei Jahre lang am Besitz des Familienvermögens erfreuen. Denn der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg änderte 1935 das Habsburger-Gesetz und machte einen Teil der Enteignungen rückgängig, so daß in den Grundbüchern die Namen der rechtmäßigen Eigentümer wieder eingetragen wurden. Die zahlreichen Kunstschätze, die inzwischen in Museen und anderswohin verbracht wurden, blieben von dieser Regelung ausgenommen. Otto wurde Vorsitzender des 1936 gegründeten „Familienversorgungsfonds“ – bis 1938 die Nationalsozialisten die sofortige Beschlagnahmung des Vermögens veranlaßten. So wurde die Familie zum zweiten Mal beraubt. Die dritte Enteignung erfolgte 1945 bzw. 1955 nach Abzug der Russen, als durch zahlreiche Gesetze veranlaßt wurde, daß das Habsburger Privatvermögen ohne Entschädigung im Besitz der Republik bleibt. Im Vergleich dazu bekamen zum Beispiel die Fürsten Esterházy, die im Burgenland zahlreiche Besitzungen hatten, ihr Vermögen nebst Stammsitz Burg Forchtenstein schon 1955 mit der Neutralität Österreichs zurück. Die Esterházy-Latifundien sind inzwischen in einer Privatstiftung mit einem geschätzten Wert von 1,1 Milliarden Euro geparkt. Restitution nach dem Entschädigungsgesetz Die Historikerkommission der ersten schwarz-blauen Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) stellte 2000 folgerichtig fest, daß die entschädigungslose Enteignung nicht rechtens ist bzw. daß nach 1945 eine neuerliche Enteignung stattgefunden hat, da die Teilrestitution von 1935 nicht verfassungswidrig war. Zwar hat Otto 1961 schriftlich auf Thron und Vermögen verzichtet, aber seine beiden Brüder Felix (Jahrgang 1916) und Carl-Ludwig (Jahrgang 1918) sind ihm nicht gefolgt – und durften deshalb erst 1996 wieder nach Österreich einreisen. Nach dem Entschädigungsgesetz kann der Finanzminister ohne Konsultation des Ministerrates dem Schiedsgericht folgen und die Restitution veranlassen. Damit könnte sich theoretisch schnell eine Lösung abzeichnen. Aber es gilt als ausgeschlossen, daß Karl-Heinz Grasser in Zeiten des einstürzenden Sozialstaates 200 Millionen Euro „verschenken“ wird, zumal sich die Freiheitlichen gerade wieder als Interessenvertreter der „einfachen Leut'“ zu profilieren versuchen. Wahrscheinlich wird der Nationalrat mit seinen 183 Abgeordneten entscheiden – falls vorher nicht schon ein US-Gericht das Urteil verkündet hat. Blick auf Spitz/Wachau: Im nahegelegenen Pöggstall fordern die Habsburger 5.500 Hektar Wald zurück