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„Gemeinsam sind wir unschlagbar“

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„Gemeinsam sind wir unschlagbar“

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In der politischen Welt gehört die Heuchelei zum guten Ton. Geschmeidiger Konformismus und leere Rhetorik beherrschen besonders die EU-Szene, die kaum originelle Positionen zuläßt. Eine exzentrische Figur wie Umberto Bossi, Gründer und Führer der Lega Nord, muß daher zwangsläufig Abwehr und Mißbilligung erregen. Seine Sprache ist volkstümlich, manchmal brutal und verletzend. Ohne diplomatisch-feine Verpackung, in oft roher Form wirft der 60jährige Reformenminister im Kabinett von Forza Italia-Chef Silvio Berlusconi seine Ideen in die politische Arena. Bossis Kleidung ist stil- und formlos; neben dem eleganten Aufzug Berlsuconis, dem „Cavaliere“, wirkt Bossi mit seinem wirren Haar und den grob gewürfelten Hemden in schiefen Sackos wie ein modischer Witz. Nichts in dem Verhalten und den Worten des Norditalieners ist angetan, die hochgestochenen Zirkel der Intellektuellen und Mächtigen anzuziehen. Und doch ist Bossi nicht nur, wie oft behauptet wird, ein ideenloser, von typisch kleinbürgerlichen Egoismen und Ressentiments geleiteter Populist. Seitdem er auf der politischen Bühne Italiens erschienen ist, hat er neben einem starken politischen Instinkt auch Gespür für weitreichende gesellschaftliche und staatliche Entwicklungen gezeigt. Programmatischer Kopf der Lega Nord war lange Jahre der 1918 in Como geborene Mailänder Politikprofessor und spätere Senator Gianfranco Miglio. Mit dessen Vorschlägen zu einer Regionalisierung Italiens hat Bossi in den Achtzigern Fragen von historischer Tragweite aufgegriffen und frühzeitig Positionen und Begriffe besetzt. Deutlicher als andere hat er den Niedergang des nationalen Zentralstaats und die Krise des Universalismus benannt. Zunächst scheiterte seine Bewegung für ein unabhängiges „Padanien“, doch dank der separatistischen Poltereien haben die Eliten das Gefühl der Heimatverbundenheit als existentielle politische Alternative zur Globalisierung wiederentdeckt. Auf kleinbürgerliche Affekte spielt Bossi nur insofern an, als er dem Mittelstand den Vorzug vor der Gigantomanie der multinationalen Konzerne gibt. Nach den Wahlen im Mai 2001 sind trotz des schwachen Abschneidens der norditalienischen Protestbewegung (landesweit unter vier, im Norden unter zehn Prozent) drei Politiker der Lega in die Regierung Berlusconi eingetreten – wegen des Mehrheitswahlrechts traten Forza Italia, Alleanza Nazionale, Lega und Christdemokraten im „Casa delle Libertà“-Bündnis an. Bossi ist seit August 2001 als „Minister für institutionelle Reformen und Devolution“ für die föderalistische Neugestaltung Italiens zuständig. Er hat den Schwerpunkt seiner Angriffe von der Zentrale in Rom auf die in Brüssel verlagert. Dem verbreiteten Unbehagen der Bürger an einer fortschreitenden europäischen Vereinheitlichung, welches die EU-Kommission mit „Unwissenheit“ gleichsetzt, verleiht Bossi damit eine Stimme. In Italien, das seit Alcide de Gasperi und den Römischen Verträgen zu den treuesten Gefolgsländern der „Integration“ gehörte, greife neuerdings Euroskeptizismus um sich, schlugen internationale Beobachter beim Rücktritt des EU-erfahrenen Außenministers Renato Ruggiero Alarm. So war auch die Euphorie nach Ausgabe der Euro-Münzen und -Scheine überraschend kurzlebig. An ihre Stelle tritt eher Ärger über einen administrativen Mechanismus, der mit Kontrollen, Verboten und Sanktionen die künftigen individuellen und staatlichen Freiräume einschränkt. Auf dem jüngsten Parteitag der Lega Anfang März im lombardischen Assago bei Mailand stieß Bossi in genau dieses Horn. „Wer ein Europa ohne Staaten will, will eine Sowjetunion nach dem Muster Stalins.“ Die Entwicklung der EU sieht er in einen „neuen Faschismus“ münden, „der die Volkssouveränität ablehnt und den Bürgern alle Macht entzieht“. Unter dem Jubel seiner Anhänger prophezeite er einen „Kampf zwischen Technokratie und Demokratie, zwischen dem Europa der Völker und einem Staat ohne Gesicht“. Ministerpräsident Silvio Berlusconi trat beim Parteikongreß seines Koalitionspartners als Gastredner auf. Selbst die heftigsten Ausfälle Bossis gegen die EU als eine „Sowjetunion des Westens“ ließen ihn auf dem Podium keine Miene verziehen. Noch 1994, als die erste Berlusconi-Regierung in nur acht Monaten unter anderem an Bossis hitzigem Temperament zerbrach, hatte Berlusconi öffentlich „Nie wieder!“ geschworen. Heute sagt er lakonisch: „Gemeinsam sind wir unschlagbar“, und ganz selbstverständlich steckte in seiner Brusttasche ein Schnupftuch in leuchtendem Grün, der Farbe der Lega. Wie vorhersehbar haben Bossis Attacken gegen die EU eine heftige Polemik ausgelöst, besonders in den Kreisen der europäischen Linken. Einige verlangten von Berlusconi, sich von seinem Minister zu trennen. Unter dem Druck der internationalen Presse beeilte sich Italiens 81jähriger Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi, den Regierungschef im Quirinalspalast ins EU-Gebet zu nehmen. Offiziell bekräftigten dann alle nochmals die Europafreundlichkeit der italienischen Politik. Francesco Rutelli, dem Wortführer des linken Oppositionsbündnisses „La Margherita“, war dies nicht genug. Er ging soweit, wegen der Regierungsbeteiligung der Lega eine Intervention des Europäischen Rates zu verlangen. Diese solle Italien zwingen, seine „Verbundenheit mit den Werten, auf denen die EU gegründet ist“, formell zu geloben, so ehemalige römische Bürgermeister. Die EU-Kommission mit dem Italiener Romano Prodi an der Spitze zeigte sich zwar „besorgt“, schloß aber eine Bestrafung nach dem im Vertrag von Nizza festgelegten Überwachungsverfahren (anders als im Falle Österreichs vor zwei Jahren) aus. Neben der Kritik der europäischen Linken gab es auch verärgerte Stimmen von Repräsentanten des katholischen Zentrums (UDC), einem der Splitter der nach dem Wahldebakel von 1994 aufgelösten Democrazia Cristiana. UDC-Chef (und Kohl-Freund) Rocco Buttiglione, Italiens Europaminister, distanzierte sich von der Wortwahl Bossis, beschwichtigt allerdings das Ausland: „Die Linksregierungen in Europa haben im Wahlkampf der italienischen Linken geholfen. Das haben einige Mitglieder der Koalition nicht vergessen“ sagte der 53jährige der Berliner Welt. „Bossi repräsentiert die Italiener, die die schwerfällige Superbürokratie der EU-Regierung fürchten. Es muß tatsächlich mehr Subsidiarität geschaffen werden“, so Buttiglione. Europa sei nicht „eine Sache der Ökonomie oder der Banken“, sondern „eine Frage von Krieg und Frieden“. Bossi sei gegen eine zentralistische Überregulierung, stehe aber zu den europäischen Werten – so läßt sich die Regierungslinie zusammenfassen. Welches sind aber die Werte, auf denen Europa beruht? In seiner Botschaft von 17. Dezember 2000 monierte Papst Johannes Paul II, aus der EU-Charta der Menschenrechte sei jeder Bezug auf die christlichen Wurzeln Europas getilgt worden. Das Brüsseler System möchte sich also ohne den traditionellen Wertebezug quasi aus sich selbst heraus schaffen. Die ideologischen Bezüge Bossis auf eine „neue Sowjetunion“ sind demnach nicht ganz abwegig. Mit seiner Gegnerschaft zu einem europäischen Superstaat steht er in der gleichwohl heterogenen italienischen Regierung nicht allein. Berlusconi, dessen Person und Charisma allein das Bündnis zusammenhält, lehnt einen europäischen Riesen mit kompetenzarmen Gliedstaaten ab. Auch der Chef der Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, ist überzeugt, daß die EU an einem demokratischen Defizit leidet. Der ehemalige „Postfaschist“ und heutige Vize-Ministerpräsident ist als einer der beiden italienischen Vertreter im EU-Verfassungskonvent erstmals auf internationalem Parkett und am Ziel seiner Träume angelangt. Staatsmännisches Auftreten hat für ihn – anders als für Bossi – deshalb nun höchste Priorität, was er am 24. Februar im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung („Europa ist eine Idee der Rechten“) eindrücklich bewies. Hinter all den Streitigkeiten, die sich um die Person Bossis ranken, steht jedoch weniger die Frage, ob sich Italien irgendwie der Euroskepsis zugewendet hat. Der Kern der Auseinandersetzung ist brisanter: Darf überhaupt noch öffentlich und ohne Umschweife über das Projekt Europa debattiert werden? Haben die Bürger, denen die Vereinigung ja zugute kommen soll, noch die Wahl zwischen politischen Alternativen, oder sind die institutionellen Lösungen bereits unverrückbar vorgezeichnet? Die technokratischen Hardliner des Europäismus möchten bereits solche Fragen als „antieuropäisch“ unterdrücken. Vor einigen Wochen meldete Ralf Dahrendorf Zweifel an der EU an, die jenen Bossis an Radikalität kaum nachstanden, wenn auch in einem Stil formuliert, der dem nach Großbritannien verpflanzten deutschen Wissenschaftler gebührt. Nach Meinung Lord Dahrendorfs entspricht die gegenwärtige Struktur der EU „nicht den Grundprinzipien einer Demokratie“, welche sie selbst von ihren Beitrittskandidaten verlangt. Wie aber erkläre sich der unkritische Enthusiasmus vor allem linker intellektueller Kreise? Wahrscheinlich, so vermutet Dahrendorf, weil jenes Europa die einzige politische Utopie geworden ist, an die sie sich die Linke nach dem Zusammenbruch aller früheren Illusionen noch klammern könnte. Alessandro Campi lehrt Politologie an der Universität Perugia und ist Generalsekretär der Stiftung „Fondazione Ideazione“.

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