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Der Drache frißt die kleinen Tiger

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Asien, das drei Fünftel der Weltbevölke­rung beherbergt, beflügelt die Phantasie vieler Futu­ro­logen, die im Morgenland große Umwälzungen und Gefahren wittern. Leider überwiegt häufig die oberfläch­­liche Sensationslust und die Beschä­fti­­gung mit Ausnahmefällen. Die wissen-schaf­tliche Analyse, die die inneren Trieb­kräfte von Problemen sucht und sich nur mit Fakten zufriedengibt, tritt in den Hintergrund. Die Autoren von „Ferner Donner. Der Neue Aufstieg Asiens“, Sheryl WuDunn und Nicholas D. Kristof, die über viele Jahre für die New York Times in verschiedenen asiatischen Staaten berichteten, versprechen aufgrund ihrer Referenzen eine interessante Lektüre. In der Tat vermitteln sie eine Vielzahl bunter Eindrücke und fassen wichtige Debatten zusammen, tragen aber wenig neue Erkenntnisse vor. Westlich gefärbte Portraits einzelner Menschen verklären den Blick für die brei­ten Unterströmungen, die die Entwicklung be­s­tim­men. Eine schärfere Linse, die von den Eigenarten Asiens ausgeht, hätte die wahren Ursachen ausfindig gemacht. Aufgrund ihrer ethnozentrischen Perspektive gehen die Autoren beispielsweise von negativen Merkmalen wie Korruption und Rückständigkeit aus, die sie vom Westen unterscheiden sollen. Auch das Verständnis für die kollektive Orientierung durch den Schutz des Nationalstaates können WuDunn und Kristof nur schwer nachvollziehen. Dafür projezieren sie westliche Schablonen wie Menschenrechte, Demokratie und die Emanzipation der Frau auf die dortigen Nationen, die dort keinen Fortschritt im Sinne einer erhöhten Leistungsfähigkeit für die Gesellschaft darstellen. Drei Annahmen prägen das Buch: -Die asia­ti­schen Staaten sind so eng miteinander verbunden, daß sie gedanklich zu einer Einheit zusammengefaßt werden können. – Die Asienkrise übte eine wohltuende Wirkung auf die Region aus. – Asien wird dem Westen Macht abgraben. Was verbindet Asien? Dieser Ansatz des Buches ist fragwürdig. Asien ist zu vielfältig, als daß man zusammenfassende Verallgemeinerungen treffen könnte. Es ist ein geographischer und kein politischer oder kultureller Begriff und muß deshalb in seiner Heterogenität behandelt werden. Die Unterschiede zwischen Griechen und Finnen sind schon schwer überbrückbar, noch weniger haben Inder, Phillipinos, Thailänder, Chinesen und Japaner gemeinsam. Dazu kommt, daß die Entwicklung Asiens über Jahrtausende in zentristischer Weise kopflastig war, denn sein unbestrittener intellektueller und materieller Motor war China, und das in Hinsicht auf die kreative Ausnahmestellung in politischer, philosophischer, kultureller und militärischer Hinsicht. Bezeichnenderweise führt eine Tabelle der 14 wichtigsten Innovationen Asiens insgesamt 12 chinesische Schöpfungen auf! Besser als vom Aufstieg Asien zu reden, sollte man sich auf das Wiedererwachen Chinas konzentrieren. War die Asienkrise ein Segen? Die Autoren glauben, daß die Asienkrise gut für die Region war, weil die Staaten gezwungen wurden, ihre Märkte noch weiter zu öffnen und dem Staat noch mehr Macht zu entreißen. Dies ähnelt der typi­schen Argumentation für eine gescheiterte Maßnahme. Man erklärt, daß das Scheitern damit zu begründen ist, daß man nicht genug von ihr angewandt hat. Aufgrund der von westlichen Regierungen, vernetzten Spekulatorenkreisen und den gleichgeschalteten Medien bewußt provozierten Krise wurden viele asiatische Staaten im Mark erschüttert. Fast auf Knopfdruck verwandelten die Medien die euphorische Stimmung in Asien in eine lebensbedrohliche Panik und schwenkten nach dem politischen und wirtschaflichen Raubzug des Westens wieder auf eine positive Berichterstattung um – ohne daß sich an den Eigenarten Asiens, wie beispielsweise dem Vorrang persönlicher Beziehungen über anonyme Strukturen, viel geändert hätte. Die Folgen der Asienkrise waren höchst negativ. Viele asiatische Unternehmer gingen unverschuldet bankrott, nur weil ihnen die Liquidität plötzlich entzogen wurde, nicht weil ihre Projekte unwirtschaftlich waren. Ganze Wirtschaftszweige fielen in die Hände von ausländischen Unternehmen, die nun die wichtigsten Ressourcen und somit das Schicksal von Völkern kontrollieren. Die Opfer waren innerlich gesund, operierten in profitablen Industriezweigen und hatten daher hohe Ertragswerte. Aber im Zuge der Zinsinflation und des Kursverfalls der einheimischen Währung explodierten plötzlich Tilgungen bei in Auslands­währung abgeschlossenen Verträgen mit variablem Zinssatz. Zudem forderten Ban­ken ihre Kredite zurück. Zusätzlich zu den dadurch verursachten Liquiditätsengpässen drückten Aktienmärkte häufig den Marktpreis der Unternehmen bis zehn Prozent des wirklichen Buchwertes und ermöglichten so für westliche Investoren die Eroberung die Schaltstellen der Macht vieler asiatischer Länder. Die Lehre aus der Asienkrise kann nur sein, daß der Staat sein Volk gegen westliche Finanzangriffe schützen muß. Das einzige Land, das diesen Rat schon vor der Krise umsetzte, ist China. Aufgrund seiner Kontrolle über Kapitalströme blieb es von der Asienkrise weitgehend unberührt. Malaysias Reaktion auf die Asienkrise – verstärkter Protektionismus­ – bewies sich auch trotz aller Unkenrufe und Drohungen aus dem Ausland als erfolg­reich. Im Gegensatz zur Verwestlichung ist ein Wiederbesinnen auf alte asiatische Werte und Weisheiten und ein eigener politischer, wirtschaftlicher und militärischer Weg das wahre Erfolgsgeheimnis. Dagegen führt die Amerikanisierung aller Gesellschaftsbereiche in den Untergang, selbst wenn vermehrt loben­de west­liche Leitartikel und Reklame­tafeln auf den Straßen erscheinen. Verlagert sich der Weltpuls nach Asien? Gewiß kann man statistisch eine prozentuale Zunahme Asiens am globalen Bruttosozial­produkt voraussagen. Allerdings hängt diese häufig nur mit dessen Bevöke­rungs­wachstum zusammen. Aufschlußreicher ist eine Analyse der Pro-Kopf-Einkommen, die der wahre Maßstab für den Lebensstandard sind. Viel interessanter ist eine differenzierte Analyse von Hochleistungszentren auf unterschiedlichen Wissensgebieten in verschiedenen Regionen der Erde sowie der spezifischen Gründe für deren Erfolg, welche in den unterschiedlichen Traditionen und Produktionsfaktoren einzelner Gebiete zu finden sind. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Buch ein spannender Startpunkt für Leser ist, die Asien noch nicht kennen. Es vermittelt aufregende Eindrücke von seiner Vielfältigkeit. Der Asien­ken­­ner hingegen wird die Wiederholung des bereits Bekannten als gute Unterhaltung wahrnehmen. Mit einem Wort: Das Buch liefert den Stoff für sonntägliche Salongespräche und Langstreckenflüge, nicht aber das Rohmaterial für fortschrittliche Denkfabriken. Foto: Vor der Silhouette Schanghais: Protektionismus statt „Asienkrise“ Sheryl WuDunn, Nicholas D. Kristof: Ferner Donner. Der neue Aufstieg Asiens. Siedler Verlag, Berlin 2002, geb., 432 Seiten, 24,90 Euro

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