Ob Hausmusik-, Spiele-Abend oder Kinderfest auf dem Hof, derlei familiär organisierte Feste sind heutzutage weit ins Hintertreffen geraten – absorbiert von einer Ereigniskultur, die massenkompatible Phänomene wie Erlebnisgastronomie und -tourismus, Politainment und Quiz-Shows, Fun-Sport und Wellness usw. hervorgebracht hat. Die Kulturkritik ist ob der Dominanz dieser grenzüberschreitenden Produkte kultureller Massenkonfektion sprach- wie fassungslos. Sie kann lediglich attestieren, daß die Inszenierung von Scheinwelten – denn um nichts anderes handelt es sich bei Events – die traditionelle Verbindung von Alltag und Fest vollkommen außer Kraft gesetzt hat.
Events sind Ausdruck der westlichen Wohlstandskultur. Diese bekundet sich nicht nur darin, daß die Menschen nicht mehr primär in Festen und Kunst Zufluchtsorte erblicken, um sich über den Alltag hinwegzutrösten. Sondern sie zeigt sich auch daran, daß ihnen genügend Geld und Zeit zur Verfügung steht, um Unterhaltung zu konsumieren, zu reisen oder wechselnden Lifestyle-Trends zu folgen.
Da verwundert es kaum, daß die weltumspannende Event-Industrie selbst vor den Überbleibseln der Hochkultur nicht haltmacht. Mit spektakulären Ausstellungen, Musik- und Theater-Events, bei denen das „Wie“ und „Wo“ das „Was“ weit in den Schatten stellen, wird beim „Kulturkonsumenten“ kräftig gepunktet. Temporäre Großevents wie die jüngsten Auftritte des New Yorker Moma oder des Metropolitan Museum of Art in Berlin verbinden den „Best of“-Charakter der Ausstellungskonzeption mit dem Reiz des Einmaligen, des Unwiederbringlichen. Damit lockt man innerhalb weniger Monate weit mehr Publikum an, als es die Dauerinstitution Museum über Jahre hinweg vermag.
Die Event-Branche gehört heute weltweit zu den erfolgreichsten Wirtschaftszweigen. Marktforscher, Kulturmanager und sogenannte Trendscouts arbeiten mit Vehemenz daran, unentwegt neue Moden und Ereignisse zu kreieren oder neue Zusammenhänge herzustellen. Dazu genügt es bereits, altbekannte Dinge an einem unerwarteten Ort zu präsentieren.
Ob für die Familienfeier im erlesenen Kreis oder fürs ultimative Unternehmensevent, für alle Anlässe findet man etwas: Wie wäre es etwa mit einer Hochzeitsfeier in einem Bergwerkstollen oder einem Managertraining in einer Raketenstation? Auch ein stillgelegtes NVA-Gelände, ein Eiskletterturm, eine Wasserskiseilbahn und ein Expo-Pavillon werden als Event-Location angeboten.
„Beach-Party in Samoa, ‚Polarnacht‘ in der Antarktis oder Bergfest in den Schweizer Alpen? Diese und viele weitere Veranstaltungsmöglichkeiten bietet Ihnen das ‚Klimahaus Bremerhaven 8° Ost‘ ab Sommer 2008. Nutzen Sie das einzigartige Gebäude für unvergleichliche Events!“ So liest man im aktuellen Handbuch „Eventlocation“.
Und wie eine einzige Steigerungsorgie der Superlative mutet auch der Internetauftritt von „Tropical Island“ an. Vormals sollten in der größten freitragenden Halle der Welt im brandenburgischen Brand zukunftsweisende Luftschiffe produziert werden, nach der Insolvenz ging daraus „Europas größte tropische Urlaubswelt“ hervor. Ein Bild, das für sich spricht: Aus einem gescheiterten Hochtechnologiepark im wenig ergiebigen märkischen Sand wird eine tropische Wellness-Landschaft.
Wie weit Spiel und Geschäft mit den Scheinkulissen der Event-Kultur gehen können, zeigt der amerikanische Reiseveranstalter Royal Caribic. Er hat auf der unbewohnten Insel Coco Cay in der Karibik eine Erlebniswelt geschaffen, die echt und künstlich zugleich ist. Alles, was sich Touristen unter Karibik vorstellen, hat man hier arrangiert. Es wurde ein Sandstrand gestaltet, Palmen gepflanzt, karibiktypische Holzhäuser errichtet sowie ein „historisches“ Schiff und ein Flugzeugwrack für Taucher im Wasser versenkt. Und wenn ein Kreuzfahrtschiff andockt, schafft man für einen Tag „echte“ Bewohner von einer Nachbarinsel herbei.
Die permanente Inszenierung derartiger Scheinwelten bestimmt längst unseren Alltag, ob morgens auf der Straße oder abends vorm TV. Zwischen Illusion und Wirklichkeit, zwischen spielerischer und lügnerischer Kulisse, zwischen Kitsch und gutem Geschmack sind kaum noch Grenzen auszumachen.
Schon fragt man sich, lebe ich noch selbst oder ist mein Leben bereits Teil einer riesigen Scheinkulisse geworden: voll von schnell wechselnden, flüchtigen Reizen, doch ohne tieferen Sinn. Spätestens dann sehnt man sich zurück, nach den guten alten Zeiten von Hausmusik- und Spiele-Abenden.