Frau Barschel, am 11. Oktober jährt sich der Tod Ihres Mannes zum zwanzigsten Mal. Der CDU werfen Sie vor, Sie im Stich zu lassen: „Von der Partei meines Mannes kümmert sich kein Mensch mehr um mich.“
Barschel: Man kann eben wohl nicht davon ausgehen, daß sich eine Partei um einzelne Menschen kümmert. Es stimmt offenbar, daß politische Freunde keine echten Freunde sind. Aber vielleicht hätte man es von den unmittelbaren Weggefährten meines Mannes erwarten können? Doch – mit einer Ausnahme, nämlich der inzwischen verstorbenen Landtagsabgeordneten Annemarie Schuster – Fehlanzeige! Allerdings ist meine Enttäuschung nicht neu. Es ist wohl der zwanzigste Jahrestag seines Todes, der die Medien veranlaßt hat, meiner schon vor längerer Zeit gemachten Bemerkung, Aufmerksamkeit zu schenken.
Inzwischen sind erhebliche Zweifel an der Version vom Selbstmord Ihres Mannes aufgetaucht. Könnte man da von der Union vielleicht nicht wenigstens politische Solidarität erwarten?
Barschel: Sie meinen, einen Anstoß zu geben, den Fall noch einmal aufzurollen? Leider habe ich auch diesbezüglich nichts von der CDU gehört. Als Peter-Harry Carstensen 2005 für das Amt des Ministerpräsidenten kandidierte, hatte er es gewagt, sich positiv über meinen Mann zu äußern – was ich ihm hoch anrechne. Sofort hat er dann aber eins auf den Deckel bekommen und das Thema seitdem nicht mehr angesprochen. Leider fehlt ihm die Zivilcourage, sich in der Sache weiter zu engagieren.
Wie sollte dieses Engagement aussehen?
Barschel: Mein Mann gilt bis heute als schuldverstrickter Selbstmörder, dabei wurde er als Unschuldiger ermordet! Das muß öffentlich gemacht, der Fall erneut untersucht, die wahren Schuldigen ermittelt und mein Mann rehabilitiert werden.
Was macht Sie so sicher?
Barschel: Inzwischen sind so viele Hinwiese aufgetaucht, die beweisen, daß es Mord war. Doch sie werden ignoriert: Es ist ein Justizskandal. Das Problem ist, daß sich die damalige einseitige und voreilige Darstellung des Falles durch die Medien so in den Köpfen der Menschen verfestigt hat, daß all die vielen widersprechenden Indizien nicht mehr zur Geltung kommen. Schon der zweite Untersuchungsausschuß aber, der so vieles am ursprünglichen Bild der Vorgänge revidiert hat, ist in den Medien kaum „rübergekommen“. Was bleibt, ist das Bild eines angeblich machtgierigen Politikers, den seine Strafe ereilte. Nichts könnte falscher sein.
Helmut Kohl äussert Zweifel
In der von vielen mit Spannung erwarteten NDR-Dokumentation „Der Tod Uwe Barschels – Skandal ohne Ende“ am 17. September in der ARD äußerte sogar Helmut Kohl mit Blick auf die Selbstmordthese, so sicher wie 1987 sei er diesbezüglich heute nicht mehr.
Barschel: Eben. Aber leider hat sich insgesamt der Film als große Enttäuschung erwiesen. Er bestand ja fast nur aus Rückschau auf das Leben meines Mannes und widmete sich kaum der aktuellen Frage nach dem Umständen seines Todes. Und wo er das tat, da hat er sich nicht aus der Deckung gewagt, sondern nur die unterschiedlichen Thesen rekapituliert. Engagierter, investigativer Journalismus sieht anders aus.
Nämlich?
Barschel: Denken Sie an die Bücher etwa von Sylvia Green-Meschke, Herbert Schäfer, Staatsanwalt Heinrich Wille, der vier Jahre mit dem Fall betraut war, oder an die Studie von Wolfram Baentsch, die alle stichhaltige Hinweise dafür präsentieren, daß die Selbstmordthese nicht haltbar ist. Außer Herrn Wille fand aber keiner von ihnen in dem Film auch nur Erwähnung. Ist das nicht auffällig?
Was vermuten Sie?
Barschel: Ich weiß es nicht, aber wie kann man etwa über ein Buch wie das von Wolfram Baentsch einfach hinweggehen?
Der ehemalige „Spiegel“-Journalist veröffentlichte 2006 die umfangreiche Darstellung „Der Doppelmord an Uwe Barschel“.
Barschel: Und der NDR ignoriert ihn nicht als einziger. Nehmen Sie etwa die Kieler Nachrichten, auch die haben sein Buch totgeschwiegen, und die sind als Leitmedium hier bei uns doch nun wirklich zuständig. Nicht einmal als Herr Baentsch zur Autorenlesung in Kiel war, haben sie darüber ein Wort verloren! Ich bin froh, daß ich mich von den Machern des Films nicht dazu habe bewegen lassen, ein Interview zu geben. Von mir gab es dann nur Aufnahmen aus der Konserve.
Der Film thematisierte auch die schwere Medikamenten-Abhängigkeit Ihres Mannes und angebliche Liebschaften in der DDR.
Barschel: Der Film ist entsetzlich, er hat meinem Mann alles in die Schuhe geschoben, was schmutzig und gemein ist. Daß mein Mann Medikamente nahm, ist bekannt, und was die DDR-Reisen angeht: Er war schon viel zu vorsichtig, um sich dort so wie dargestellt zu verhalten. Die ARD, speziell der NDR, hat noch nie fair über meinen Mann berichtet.
Der Film spricht auch nicht von dem angeblichen ehemaligen Mossad-Mann Victor Ostrovsky, der 1994 in seinem Buch „Geheimakte Mossad“ behauptete, Barschel sei Opfer des israelischen Geheimdienstes geworden.
Barschel: Eben. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, daß nicht nur der Mossad dahintersteckt. Das, was mein Mann zu sagen hatte, hätte genauso deutsche Politiker desavouiert. Auch andere Geheimdienste könnten beteiligt gewesen sein.
Sie meinen deutsche?
Barschel: Ich weiß es nicht, aber möglich ist es.
Sie haben einmal geäußert: „Es war Mord aus Staatsräson.“
Barschel: So sehe ich das. Mein Mann wurde geopfert, um Geheimnisse zu wahren, die ein politisches Erdbeben hätten auslösen können. Ein Erdbeben, das gewisse Leute fürchteten.
Wer sind „gewisse Leute“?
Barschel: Ich kenne die eigentlichen Hintermänner der Ermordung meines Mannes auch nicht. Ich weiß, es war Mord, das bedeutet aber nicht, daß ich den Fall lösen kann. Sie wissen aber, daß es um illegale, über Schleswig-Holstein abgewickelte Waffengeschäfte geht, von denen mein Mann Kenntnis hatte. Und daß offenbar einige fürchteten, er könne nach seinem Rücktritt am 2. Oktober 1987 darüber reden.
Flugzeugabsturz als Anschlag?
Am 31. Mai 1987 überlebte Ihr Mann nur knapp einen Flugzeugabsturz. Sie halten diesen heute für einen Anschlag.
Barschel: Ja, es ist ein Wunder, daß mein Mann überlebt hat. Die anderen drei Insassen der Maschine kamen ums Leben. Später nahm auf einer Wahlveranstaltung ein älterer Herr den Fahrer meines Mannes, Herrn Karl-Heinz Prosch, zur Seite und meinte: „So haben wir im Zweiten Weltkrieg britische Bomber vom Himmel geholt, mit mobilen Funkanlagen, die den Funk des Towers überlagerten, und mit grellem Licht.“
Aber widerspricht diese Annahme nicht Ihrer These, denn der Absturz ereignete sich über drei Monate, bevor am 13. September 1987 die „Affäre Barschel“ bekanntwurde. Wenn das Motiv für einen Mord an Ihrem Mann die Gefahr war, daß er nach seinem Sturz auspackt, dann lag dieses Motiv im Mai noch nicht vor.
Barschel: Das stimmt, und am 31. Mai 1987 ahnte ich auch noch nichts davon. Aber nach allem, was ich heute weiß, nach allem, was seitdem ermittelt worden ist, bin ich nun dieser Überzeugung. Im übrigen wurde das damals auch schon von anderen erörtert.
Von wem?
Barschel: Seine Mitarbeiter haben diesen Verdacht geäußert.
Und was meinte Ihr Mann dazu?
Barschel: Der war damals dem Tode nur knapp entkommen und mußte sich zudem sofort wieder in den Wahlkampf stürzen. Er hat diesen schrecklichen Verdacht verdrängt, er wollte es nicht wahrhaben und hat sich statt dessen auf die Wahl konzentriert.
Wann kamen Sie zu der Ansicht, daß es Mord sei?
Barschel: Dieser Überzeugung war ich von Anfang an.
Das heißt, Ihre Auffassung beruht nicht wie die von Baentsch oder Wille auf Ermittlung und Indizien.
Barschel: Der ganze Ablauf der Affäre hat mich damals davon überzeugt, und die zahlreichen Hinweise, die seitdem aufgetaucht sind, haben mich inzwischen noch bestärkt.
Was meinen Sie mit „der ganze Ablauf“?
Barschel: Ich habe ja erlebt, wie meinem Mann mitgespielt wurde, wie man ihn ausmanövrierte und verunglimpfte. Wie er in einem Schmierenstück als Schurke inszeniert wurde und alles darauf zulief, ihn in eine ausweglose Situation zu bringen, in der seine Ermordung als Selbstmord im Sinne eines „letzten Ausweges“ und „Schuldeingeständnis“ dargestellt werden konnte. Eine „grandiose“, eine teuflische Inszenierung!
Doppelmord an Uwe Barschel
Sie sprechen von der These vom „Doppelmord an Uwe Barschel“, gemeint ist ein Mord an seiner physischen und seiner moralischen Person.
Barschel: Ich bin überzeugt, daß mein Mann in der berühmten Ehrenwort-Pressekonferenz vom 18. September 1987 die volle Wahrheit gesagt hat. Die Geschichte vom „Ehrenwort-Lügner“ Uwe Barschel war aber zu verlockend für die Medien: Ein Ministerpräsident im Aufwind, der angeblich so dreist lügt und so tief fällt. Der verkaufsfördernden Magie dieser Geschichte wollten sich die meisten Journalisten nicht entziehen. Zumal sie alle populären Vorurteile bestätigt, die die Konsumenten der Massenmedien in der Mehrzahl über Spitzenpolitiker hegen. Für eine differenzierte Betrachtung, für ein Abwarten der Untersuchung, für Gerechtigkeit gegenüber meinem Mann war da kein Platz. Der Triumph des angeblichen Inflagranti-Erwischens, das moralische Wohlgefühl, das wir dabei empfinden, wenn ein anderer scheinbar den Schuft gibt und wir uns so von unserer eigenen, menschlich bedingten moralischen Zweifelhaftigkeit für einen Moment erlöst fühlen können, war übermächtig. So sollte es gewesen sein, also mußte es so gewesen sein!
Wie haben Sie dagegen Ihren Mann in Erinnerung?
Barschel: Privat habe ich ihn als liebevollen Ehemann und Familienvater in Erinnerung. Politisch habe ich bewundert, daß er die Gabe hatte, Menschen in seinen Bann zu ziehen. Er konnte ihnen komplizierte Sachverhalte klar und logisch darstellen. Er war humorvoll und schlagfertig, dabei aber immer respektvoll. Er konnte Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen, ohne sie zu verletzen. Und vor allem war er kreativ, er hatte noch so viele gute Ideen für Schleswig-Holstein, die sein furchtbarer Tod leider für immer verhindert hat.
Freya Barschel
Die Witwe Uwe Barschels hat nie an die offiziellen Version vom Selbstmord ihres Mannes geglaubt. Vor wenigen Wochen erst beantragte sie die Wiederaufnahme des Falles. 1973 hatte sie den aufstrebenden CDU-Politiker geheiratet. Als Freya von Bismarck wurde die ehemalige Fremdsprachenkorrespondentin 1947 in Reinbek geboren.
War es Mord?
Erstmals erheben Witwe Freya und Bruder Eike Barschel am 12. Oktober 1987 öffentlich den Vorwurf des Mordes an Uwe Barschel. Am 15. Oktober berichtet die Basler Zeitung vom Versuch politischer Einflußnahme, das Geschehen als Selbstmord darzustellen. Die erste wissenschaftliche Untersuchung, die von Mord spricht, stammt von dem Kriminologen Armand Mergen, der 1988 die Studie „Tod in Genf. Ermittlungsfehler im Fall Barschel“ veröffentlicht. 1991 kommt der ehemalige Leiter des LKA Bremen, Herbert Schäfer, in einer Untersuchung zu dem gleichen Schluß. 1993 publizieren der CDU-Landtagsabgeordnete Werner Kalinka, heute Vorsitzender des Innenausschusses, und die ehemalige Medienberaterin in der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung, Sylvia Green-Meschke, weitere Bücher, die die Mord-These untermauern. 1994 erscheint bei Bertelsmann ein Buch des Ex-Mossad-Agenten Victor Ostrovsky. Darin schildert er die Ermordung Barschels durch den israelischen Geheimdienst. Den vorläufigen Schlußpunkt setzt 2006 das Buch des Journalisten Wolfram Baentsch „Der Doppelmord an Uwe Barschel“, das neue Quellen präsentiert. Auch Heinrich Wille, Oberstaatsanwalt von Lübeck, glaubt an Mord. Das Erscheinen seines Buches wurde 2007 jedoch juristisch verhindert.