Vorsichtig bahnt sich der Traktor einen Weg durch die Fluten. Sein Fahrer gibt acht, bloß nicht in den nicht sichtbaren Graben oder auf Treibholz zu fahren. Als das jüngste Hochwasser zu Weihnachten den Norden Niedersachsens heimsuchte, Felder und Straßen verschlang, zeigte der NDR, wie ein Landwirt seine Nachbarn mit Einkäufen versorgte; auf Wegen, die für Autos unpassierbar waren. So ein „Shuttle-Service“ sei doch normal, „das war schon immer so hier“, hört man die Stimme des Fahrers mit leicht norddeutschem Einschlag.
Christian Lohmeyer heißt der hilfsbereite Agrar-Engel, der freilich nicht hauptberuflich Waren des täglichen Bedarfs per „Trecker-Taxi“ in vom Hochwasser abgeschnittene Dörfer bringt. Allerdings: Waren des täglichen Bedarfs sind schon seine Profession – er stellt die Grundlagen für vieles her, was auf dem Teller und dann im Bauch der Bürger landet.
Die große Politik ließ Lohmeyer im Stich
Seit 2011 bewirtschaftet der 45jährige wie Generationen vor ihm mit seiner Familie einen klassischen Ackerbaubetrieb in der Grafschaft Hoya bei Nienburg an der Weser, auf halber Strecke zwischen Hannover und Bremen. Weizen und Mais baut er an, Hühner, Pferde und Schafe leben auf seinem Hof – von letzteren hatte Lohmeyer sogar eine ganze Herde.
Doch im vergangenen Jahr verkaufte er sie schweren Herzens – voller Wut auf die Politik. Denn hundert Jahre ließ seine Familie die Paarhufer auf dem Weser-Deich grasen – und so einen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten. Doch weil aus ideologischen Gründen nichts gegen die zunehmenden Wolfsrisse geschieht, und Lohmeyer seine Tiere nicht ungeschützt – auf Deichen sind Zäune verboten – und qualvoll verenden lassen wollte, gab er auf. Ein Raubtier in einem der dichtbesiedeltsten Länder, ohne bejagt zu werden – für ihn ein Irrsinn.
Agrar-Influencer mit hoher Reichweite
Überhaupt: „Entscheidungsträger, die keine Ahnung von den Zusammenhängen in der Landwirtschaft haben, aber glauben, die besseren Bauern zu sein – vom Schreibtisch aus.“ Das, und nicht in erster Linie der aktuelle Streit um den Agrardiesel, sei der Grund, warum so viele seiner Branche die Schnauze voll hätten und wütend auf die Straße gingen, ärgert sich der studierte Landwirt, der 2007 in Göttingen seinen Master machte. Präsent ist Lohmeyer aber nicht nur auf dem Acker oder der Straße, sondern auch in den sozialen Netzwerken, vor allem bei Facebook.
Einen Agrar-Influencer könnte man ihn nennen – Tausende „liken“ seine Beiträge. Egal ob er sich über „die Krake der Bürokratie“ ereifert, über grüne Öko-Hirngespinste wie Dünge-Verordnung, Flächen-Zwangsstillegungen oder eben den fehlenden Schutz der Weidetiere: Die Videos des Landvolk-Vorstandsmitglieds und bei den Freien Wählern Engagierten sind stets so unterhaltsam wie kenntnisreich, aufrüttelnd und zuweilen witzig-ironisch.
Zweimal lud TV-Talkmaster Markus Lanz ihn binnen weniger Monate in seine Sendung, erst im Oktober und dann Mitte Januar. „Die Perspektivlosigkeit macht uns Landwirte fertig“, beklagte er dort. Vielleicht denken gerade deshalb mehr Bürger wie einer von Lohmeyers Nachbarn, dessen Einkäufe trocken durch die Flut kamen: „Wir sind dankbar, daß wir einen Landwirt vor Ort haben. Sonst wären wir aufgeschmissen.“