Es ist eine bittere Ironie deutscher Geschichte: Das Land läßt seit Jahrzehnten fremden Antisemitismus einwandern nach einem Moral- und Gesetzeskodex, den sich das Land als Lehre aus den eigenen antisemitischen Menschheitsverbrechen gegeben hat. Ohne sich diese Paradoxie zu vergegenwärtigen, ohne die migrationspolitischen Implikationen unseres „Nie wieder“ zu beleuchten, kann man deutsche Flüchtlingsdebatten und die nun schon Jahrzehnte währende Selbstblockade der politischen Führung hierzulande nicht verstehen.
Denn dieses „Nie wieder …“ heißt bis heute eben auch, nie wieder jemanden am Schlagbaum abzuweisen, der sich selbst zum Flüchtling deklariert. Im Gedenken an die zahllosen Juden, die auf der Flucht vor Nazideutschland an gesenkten Schlagbäumen scheiterten. Und so werden in Deutschland grosso modo alle Migranten früher oder später eingebürgert, auch wenn sie nie Flüchtlinge waren. Bis auf wenige Ausnahmen „ohne Ansehen der Person“, im wahrsten Sinne des Wortes.
In guten Zeiten, wenn genug Geld da ist, kann man das sogar „schaffen“, zumindest eine Weile. Wenn auch um den Preis explodierender Sozialtransfers, eines aufgeblähten Billiglohn-Sektors und eines hohen, zeitweise schrillen Tons gesinnungsethischer Appelle. Ein Ton, der vielen Bürger allerdings längst zum Tinnitus wird. Aber die Zeiten sind nicht gut. Das Geld wird knapp und die weltpolitische Wetterlage schlägt wie ein Kugelblitz über migrantische Medienblasen in so manches Zuwanderergemüt und erinnert es daran, wer man ist und was in Elternhaus und Moschee gelernt wurde. „Was also tun?“, fragt Maybrit Illner im ZDF.
Judenhaß von Illner durchdekliniert
Nun darf man gerechterweise von einer Fernsehsendung keine migrations- und nationalgeschichtliche Tiefenbohrung erwarten, und so kam man auch gestern nicht über eine Bestandsaufnahme all dessen hinaus, was auf deutschen Straßen, an gar nicht so wenigen Hochschulen und in Kreisen sogenannter „Kulturschaffender“ gerade so los ist. Obwohl es doch eigentlich „Nie wieder“ so kommen sollte
„Krieg in Nahost – immer mehr Judenhaß in Deutschland?“ war der Titel der Diskussionsrunde, zu dem sich die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, Malu Dreyer (SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz), CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvize Jens Spahn, Stephan Kramer (Thüringer Verfassungsschutzpräsident und Ex-Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland), die Antisemitismus-Forscherin Sina Arnold (TU-Berlin) und der deutsch-türkische Welt-Publizist Deniz Yücel eingefunden hatten.
Der Ton der Runde war nicht unangenehm. Bald sechs Wochen nach einem infernalischen Auftakt, nach dem größten Pogrom an Juden nach dem Zweiten Weltkrieg, im israelischen Grenzland zum Gazastreifen durch die Hamas und einer weltweiten – und eben auch deutschen – Welle des Judenhasses in bizarrer Schuldumkehr bestimmt zunehmend Ernüchterung die Fernsehdiskussionen. Nur Claudia-Roth-Schülerin Ricarda Lang war stellenweise noch versucht, in den Nebelbojen-Ton des „maßlosen Entsetzens“ zu verfallen. Ansonsten sorgte der mitunter zum Buchhalterischen neigende Moderationsstil von Maybrit Illner für eher getragenes Durchdeklinieren der Causa Judenhaß in Deutschland.
AfD-Bashing ohne Realitätsbezug
Als da wären: der – gar nicht so neue – „importierte Judenhaß“ in Migrantenmilieus, der linke in deutschen Kultur- und Akademikerkreisen und dann der „rechte“ (gern in denunziatorischer Gleichsetzung zum „rechtsextremen“). Ohne Letzteren geht nichts, und schon überhaupt gar nichts geht ohne die Erwähnung der AfD in diesem Zusammenhang. Dieses „Ja, aber wir haben doch auch den hausgemachten Antisemitismus, und der sitzt in der AfD …“ erinnert als ständig wiederkehrende Argumentationsfigur fatal an das „Ja, aber …“ der Hamas-Versteher. Als entlaste das eine das andere.
Und überhaupt macht erstens das eine das andere ja auch nicht besser. Und zweitens wurden AfD-Fahnen bei den Kalifats-Proklamationen im Ruhrgebiet nicht gesehen. Und im Berliner Gazastreifen, wie der Hauptstädter die Quartiere zwischen Kottbusser Tor und Sonnenallee längst umgetauft hat, auch nicht. Wenn in migrantisch dominierten Schulklassen von Flensburg bis Passau das Palästinensertuch als Distinktionsmerkmal zur deutschen autochthonen Staatsräson getragen wird, hat das wenig bis nichts mit Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu tun. Und jede Verbindung zu diesem wäre an den Haaren herbeigezogen. Auch wenn es Letzteren unbestreitbar gibt.
Was es auch gibt – neuerdings verstärkt und ebenso mitnichten unter weißblauen Fahnen –, ist Schwulenhaß. So berichtete Jens Spahn von einem Strukturwandel der Kölner Öffentlichkeit. Dort wurden Türklingeln an Szenekneipen und Security wieder eingeführt, aus leidvoller Erfahrung nach ungebetenem Besuch migrantischer Herkunft. Was die Schwulenszene in den Neunzigern erlebt habe an Öffnung – man habe sich „nicht mehr verstecken und klingeln müssen“, um Einlaß zu finden –, ist längst wieder Vergangenheit, weil man „kulturell moslemisch geprägte Gewalt in einer Stadt wie Köln“ tagtäglich erlebe, so Spahn.
Antisemitismus: Wunschdenken trifft auf Realität
Wohl wahr: Daß sich AfD-Vertreter (wie auch Teile der Linkspartei) während der Corona-Proteste kruder Verschwörungstheorien bedient haben, wie Verfassungsschützer Kramer hervorhob, ist ebenso unbestreitbar. So wie auch vielen Verschwörungstheorien Antisemitismus innewohnen kann. Nur, was folgt daraus? Lindert rituelles und verallgemeinerndes AfD-Bashing irgendetwas an eruptiv und massenhaft hervortretendem Israelhaß, Schwulenfeindlichkeit und Frauenverachtung in erheblichen Teilen der migrantischen Communities? Relativiert das deren „kulturelle Prägung“? Eine Prägung, die Pädagogen landauf, landab und unvorbereitet vor größte Probleme im Schulalltag stellt, wie in der gestern auf Illners Talkshow folgenden Diskussion bei Lanz sehr eindrücklich von einem Lehrer vorgetragen wurde.
Und was hat es mit der AfD zu tun, wenn links-akademischer Wokismus an deutschen Hochschulen im Gender-Kauderwelsch „anti-kolonialistischen“ Israelhaß der Hamas-Schlächter nachbetet, wie Antisemitismus-Forscherin Sina Arnold berichtete? Weil Juden ja auch „Weiße“ seien und diese Lesart der aus dem angelsächsischen Hochschulwesen importierten „Anti-Kolonialismus“-Lehre „die Juden“ pauschal ins Fach der notorischen Menschheitsunterdrücker selektiert.
Lernkurve zeigt nach oben
Es war Denis Yücel vorbehalten, auf eine weitere Spielart des massenhaft importierten Judenhasses hinzuweisen. Es ging um einen Altmeister des Judenhasses, den immerhin sechzig Prozent der in Deutschland wahlberechtigten Türken zu ihrem Präsidenten gewählt haben: Recep Tayyip Erdoğan. „Kauft nicht bei Juden“, läßt Erdoğan seinen Obersten Religionsbehördenchef fordern, weiß Yücel. Man kann sich vorstellen, wie über 800 Imame in türkischen Moscheen hierzulande dergleichen Handreichungen des direkten Vorgesetzten ihren Schäfchen vorbeten.
Fast flehentlich wünschte sich Illners Runde, daß Kanzler Olaf Scholz diesmal, wenn der Großkalif vom Bosporus hier ebenso herumhetzt wie daheim, nicht wieder die deutsche Staatsräson wegschweige. So wie Scholz im August 2022 als stummer Zeuge den antisemitischen Ausfällen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Kanzleramtsbühne überlassen hatte.
Importe, so weit das Auge reicht. Einig war man sich darüber, daß „wir alle“ hierzulande „selektiv auf den Antisemitismus geschaut“ hätten. Immerhin. Die Lernkurve mag flach sein, aber sie zeigt nach oben. Doch ein gratismutiges „Nie wieder“ wird man sich wohl auf absehbare Zeit nicht nur im Berliner Gazastreifen verkneifen müssen. Ebenso wie das Tragen der Kippa. Selbst am hellerlichten Tage auf dem Berliner Kurfürstendamm.