Geht es nach ARD-Chef Kai Gniffke, bauen seine Anstalten mit dem ZDF ein gemeinsames Streamingnetzwerk auf. Die ersten Verzahnungen der Mediatheken hätten „schon mehr Abrufe als Amazon Prime Video“, schwoll dem SWR-Intendanten kürzlich im Spiegel-Interview die Brust. Dabei geht es besonders um junge Zielgruppen.
Das merkt man dem Angebot in der ARD-Mediathek an, das seit Monaten verstärkt hip, subkulturell und lifestylisch daherkommt. Die einstigen Funk-Formate „Y-Kollektiv“ und „Deutschland 3000“ haben das öffentlich-rechtliche Jugendportal verlassen und sind nun bei den „großen“ Sendern angesiedelt und werden über die Media- beziehungsweise Audiothek ausgespielt. Dabei kommt es dann zu solch Werken wie der Anfang Oktober freigeschalteten Y-Kollektiv-Folge „Recht auf Abtreibung“, in der sich die Reporterin mit ihrer eigenen Abtreibung auseinandersetzt.
Daneben wimmelt es vor jungen, zeitgeistigen und urbanen Themen: Amateurporno, Klamotten, diverse Therapien, deutsche Schuld in Afrika, Yoga, Sport, True Crime, Reality-TV, Sex, Feiern, Roma, weibliche DJs. Allein die Bildsprache ist vielsagend: Die Doku „Die Revolution der Erneuerbaren“ und „Vorreiter der Energiewende“ werden mit Anzeigefotos angepriesen, auf denen eine germaniagleiche Frau mit Rüstung ein Solarpanel-Schild hochhebt.
Schattenseiten werden ausgeblendet
Neue pseudoprogressive Formate wie das Rap-Musical „Hype“, die Dramady-Serie „Damaged Goods“ oder die Fitneß-Sitcom „Sweat“ sollen die Generation Z abholen, gern divers, achtsam und mit dem ein oder anderen übernommenem Youtuber wie beispielsweise Phil Laude in seiner Paraderolle als deutsches Spießer-Opfer in der SWR-Serie „Almania“. Diesen Monat ist „Lubi“ neu hinzugekommen, eine Doku-Serie über einen Polizisten der Brennpunkt-Streife im Berliner Görlitzer Park, der selbst drogenabhängig wird und in ein Doppelleben schlittert – Nachtigall, ick hör dir trapsen.
Doch eines muß man zugeben. Gerade einige Reportagen und Dokumentationen sind gut gemacht, holen tatsächlich authentische Protagonisten aus den jeweiligen Szenen vor die Kamera, zeigen interessante (alte) Aufnahmen und sind oft so unterhaltsam wie informativ. Und doch stoßen sie an vielen Stellen komisch auf: da, wo es zu einseitig linksideologisch zugeht, wo nach rot-grünen Schablonen geframt wird.
Die Reihe „Exzess Berlin“ über die „Hauptstadt der Clubs“ glorifiziert die Rolle der Discos als „Safe Space“ für LGBTQ & Co. und als antifaschistische Partykonzepte – inklusive Diskriminierung weißer Männer. Daß im Dunstkreis des KitKat-Clubs einst auch eher frauenfeindliche Pornos entstanden sind: Kein Wort. Die Schattenseiten des allzu sexualisierten Positivity- und Poly-Universums werden auch in den vier Episoden von „F*ck Berlin“ größtenteils ausgeklammert, während Dreiecksbeziehungs- und Gruppensex-Berichte als gang und gäbe dargestellt werden, und gleichzeitig boulevardesk mit dem voyeuristischen Trieb der Zuschauer gespielt wird.
Linksradikale Rapperin als Protagonistin
„Dichtung und Wahrheit“ über die Entstehung des Hiphops in Deutschland ist zwar sehenswert, lobhudelt allerdings das Einwanderermilieu – da darf die Instrumentalisierung des Amoklaufs von Hanau nicht fehlen. Berücksichtigt wird natürlich auch das Thema Tattoo, samt gendernden Tätowierern, der Debatte um kulturelle Aneignung und ganz vielen weiblichen Künstlern in der Doku-Serie „Flaesh“.
In Szene gesetzte Kundin im Studio: die linksradikale Rapperin Sookee, die für eine queer-feministische Tätowiererin ein „Game Changer“ ist, schließlich könne man die politische Überzeugung nicht am Eingang abgeben. Und so berichtet auch ein weiterer Gast unter der Nadel – eigentlich ein ganzer Mann vom Bau – wegen blöder Sprüche zu seinen rosaroten Symbolen auf dem Körper auch schon mal die Firma gewechselt zu haben.
Die eigentlich ebenfalls sehenswerte Reihe „Techno House Deutschland“ betont gezielt die Bedeutung schwarzer US-Musiker aus Detroit für die elektronische Tanzmusik. Der noch weiter zurückgehende Einfluß der deutschen Klangtüftler-Band Kraftwerk wird jedoch unter den Tisch fallen gelassen – so als sei Techno schwarze Musik.
Da wundert es nicht, wenn rechte und konservative Stimmen und Milieus im öffentlich-rechtlichen Möchtegern-Netflix nicht zu Wort kommen – es sei denn, es wird versucht, sie in einer der üblichen Machwerke über „Rechtsradikale“ oder „Reichsbürger“ vorzuführen. Wenn man sich allerdings Netflix-Rubriken anschaut wie „Gesellschaftsdramen über Einwanderer“, stellt sich die Frage, wer sich hier wem annähert. Jetzt fehlt nur, daß die ARD mit einem freiwilligen Monatspreis anstatt der Rundfunk-Zwangsgebühr fair in den Markt einsteigt. Dann kann der Zuschauer selbst entscheiden, ob er das alles sehen und bezahlen möchte.