KIEL. Der Druck auf den NDR wächst. 72 Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Senders haben in einem Brandbrief schwere Vorwürfe gegen ihre Chefs erhoben und fordern eine lückenlose Aufklärung, der Brief liegt dem Stern vor. Hintergrund ist der Vorwurf der Journalisten gegen ihre Vorgesetzten, nicht unvoreingenommen berichten zu dürfen.
Der Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein leitet nun eine unabhängige Prüfung der Vorwürfe ein. „Wir als allein zuständiges Kontrollgremium werden diese Prüfung durchführen und dort, wo es notwendig ist, externen Sachverstand hinzuziehen. Wir nehmen die erhobenen Vorwürfe sehr ernst“, betonte der Landesrundfunkrat nach einer Sondersitzung.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Die Landesregierung, insbesondere Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), sei durch wohlwollende Berichterstattung bewußt geschützt worden. So habe der NDR beispielsweise nicht über eine Trunkenheitsfahrt mit Unfall des einstigen CDU-Abgeordneten Hans-Jörn Arp berichtet. Arp hatte 2019 mit 1,6 Promille intus zwei Autos gerammt. Er galt als enger Vertrauter von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU).
NDR-Chefs erklären sich selbst für befangen
„Für mich ist das Ausmaß erschreckend“, sagte der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) im Stern. Wenn der NDR „eine Propagandaabteilung oder der Hofberichterstatter der Regierung“ sei, verliere er wirklich seine Existenzberechtigung. Das sei ein „viel größerer Skandal als die Verschwendung von öffentlichen Geldern, wo man versucht, sich persönlich zu bereichern“, fuhr Breyer fort.
Der NDR wies die Vorwürfe zurück. Es fehle nicht an Distanz und man habe keine „politisch motivierte Einflußnahme“ auf die Berichterstattung genommen. NDR-Chefredakteur Norbert Lorentzen und die Redaktionsleiterin „Politik und Recherche“, Julia Stein, haben sich inzwischen in der Sache für befangen erklärt. Sie nehmen von nun an keine Beiträge mehr ab, die sich mit den Vorwürfen gegen den Sender befassen.
Der @DJV_Nord fordert rückhaltlose Aufklärung der bekannt gewordenen Vorwürfe, wonach die Leitungsebene des #NDR-Landesfunkhauses #Kiel in die politische Berichterstattung eingegriffen haben soll.https://t.co/YWJ356Tm8p
— DJV Niedersachsen (@DJVNieders) August 30, 2022
Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) Nord hat die rückhaltlose Aufklärung der Vorwürfe gegen die Führung des NDR-Landesfunkhauses Kiel eingefordert. Alleine der entstandene Eindruck schade dem Sender, dessen Kapital das Vertrauen in unabhängigen Qualitätsjournalismus sei, teilte der Verband am Dienstag mit. Der DJV Nord begrüße die Zusage des NDR-Landesrundfunkrates, eine solche Aufklärung zu gewährleisten.
(st)