YouTube legt großen Wert darauf, daß Haß und Hetze auf seiner Video-Plattform keinen Platz haben. So heißt es in einem Leitfaden:„‘Haßrede’ ist auf YouTube nicht erlaubt. Wir entfernen Inhalte, die in Bezug auf die folgenden Merkmale zu Gewalt oder Haß gegen Einzelpersonen oder Gruppen aufrufen: Alter, Gesellschaftsklasse, Behinderung, ethnische Herkunft, Geschlechtsidentität und -ausdruck“ und weitere Kategorien folgen.
So weit, so gut – möchte man meinen. Jedoch läßt das Vorgehen beim Kampf gegen vermeintliche „Haßrede“ manche YouTube-Nutzer ratlos zurück. Dazu gehört auch „Dr. Ludwig“, der unter diesem Pseudonym einen Kanal mit Hunderten Musikvideos betreibt. „Ich lade hauptsächlich historische Lieder aus allen Epochen und Stilrichtungen hoch: mittelalterliche Musik, Klassik, preußische Märsche, Soldaten- und Volkslieder“, schildert er der JUNGEN FREIHEIT. Doch seitdem YouTube 2019 seine Richtlinien änderte, verschwänden immer wieder Videos, zeitweise sei sogar sein gesamter Kanal gelöscht worden.
Normalerweise erteilt die Plattform seinen Nutzern vor der Löschung drei Verwarnungen. Doch das sei vor zwei Jahren nicht der Fall gewesen, erinnerte sich der Musikliebhaber. „Er wurde glücklicherweise im Dezember des gleichen Jahres wieder hergestellt, nachdem die Richtlinien etwas angepaßt wurden und es massive Beschwerden gegeben hatte.“
Zeigt der „Musikantenstadl“ Haßrede?
Schaut man sich die Beispiele an, die laut „Dr. Ludwig“ zu Verwarnungen, sogenannten Strikes oder Löschungen führten, fällt auf, daß es sich dabei keinesfalls um verbotenen Lieder handelt. Egal ob „Ich hatt einen Kameraden“, „Wir sind des Geyers Schwarzer Haufen“, das „Westerwaldlied“ oder „Im Wald, im grünen Walde/Die Lore“, keines davon ist in der Bundesrepublik indiziert.
Von „Im Wald, im grünen Walde/Die Lore“ findet sich auf YouTube noch eine Aufnahme aus der ARD-Unterhaltungssendung „Der Musikantenstadl“ aus dem Jahr 1993.
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Auch weitere deutsche Soldatenlieder, die den Kanal immer wieder in die Bredouille bringen, gehören zuweilen noch zum Liedgut der Bundeswehr. Doch die Löscheinstellungen von YouTube kennen keine Gnade. Oder doch?
Erklärung gegen „Haßrede“ hilft nicht
„Dr. Ludwig“ berichtet, daß YouTube extrem willkürlich agiere. „Auf manchen Kanälen werden die Lieder gar nicht gestriket – vor allem bei Kleineren – , bei anderen Kanälen führt es teils zu sofortigen Löschungen. Diese Willkür ist ein großes Problem und eine ständige Bedrohung, da jedes Lied eine Zeitbombe sein kann.“
Der gleichnamige Kanal von „Dr. Ludwig“ mit 175.000 Abonnenten und 86 Millionen Aufrufen ist demnach schnell im Visier. Da helfe auch keine Stellungnahme des Kanal-Betreibers, daß alle Videos unpolitisch seien und er sich gegen jede Form des Extremismus und Haßrede stelle.
Im Verständnis von YouTube verstoßen auch Militärmärsche ohne Text gegen die Regeln zur Haßrede. Als Beispiel nennt „Dr. Ludwig“ den Königgrätzer Marsch.
YouTube gibt sich wortkarg
Für Unmut sorgt vor allem die mangelnde Transparenz von YouTube, warum bestimmte Lieder gelöscht werden. Da in den beanstandeten Videos auch keine strafrechtlich relevanten oder diskriminierenden Bilder zu sehen seien, fühlen sich „Dr. Ludwig“ und ähnliche Kanalbetreiber von dem Unternehmen im Regen stehen gelassen. „YouTube hat uns nicht mitgeteilt, welche Lieder sie genau als ‘Haßrede’ betrachten. So mußten wir durch eigenes Testen und viele Strikes langsam herausfinden, welche Lieder kritisch sind.“
Auf Nachfrage der JF gibt sich die Google Tochtergesellschaft auch nach zuvor gewünschter mehrtätiger Wartezeit schmallippig. „Wir können Ihnen leider keine Auskunft zu einzelnen Videos geben, was das Einhalten oder Nicht-Einhalten von unseren Community Guidelines in Sachen ‘Hate Speech’ angeht.“
Beim Verweis auf den eingangs zitierten Leitfaden zur „Haßrede“ fällt auf, daß YouTube für weitere Informationen zu dem Thema auf Kooperationspartner verlinkt. Neben jugendschutz.net, einem „gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern“, findet sich dort auch die Amadeu-Antonio-Stiftung. Die Organisation um die ehemalige Stasi-Zuträgerin Anetta Kahane gehört laut Selbstauskunft zum „Trusted Flagger Programm“. Das wurde demnach ins Leben gerufen, um „Regierungsbehörden, Nichtregierungsorganisationen und einzelne Nutzer bei ihrer Arbeit zu unterstützen“ und beispielsweise Verstöße gegen die Richtlinien zu melden.
Stalin-Verherrlichung ist offenbar kein Problem
Vor dem Hintergrund bekommt die merkwürdige Löschpraxis von YouTube ein besonderes Geschmäckle. So werde „erfahrungsgemäß nur gegen historische deutsche Volks-, Soldaten- und Marschlieder“ vorgegangen, aber nicht gegen kommunistische, weiß „Dr. Ludwig“ zu berichten. Er selbst hat unter seinen zahlreichen Videos auch die SED-Hymne „Die Partei“ vorzuweisen, in dessen Text unter anderem Sowjetdiktator und Massenmörder Josef Stalin verherrlicht wird.
Von einem Bekannten weiß er zu berichten, daß er unter dem Namen „Liang Zhu“ kommunistische Kampf- und Militärmusik hochlädt. Ein Blick in diesen Kanal zeigt neben den Texten unter anderem auch martialische Filmaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg. Für YouTube offenbar kein Grund, einzuschreiten.
So lange die Videoplattform es nicht für nötig erachtet, den Nutzern ihre Löschrichtlinien zu erläutern, bleibt der Eindruck, daß mit zweierlei Maß gemessen wird. Alte deutsche Soldaten- und Volkslieder sind im Zweifelsfall anrüchig und ein Verstoß gegen die ominösen „Haßrede“-Regeln. Verherrlichung der Sowjetunion und der DDR-Diktatur sind kein Problem. Na dann: Freundschaft!