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Marc Jongen, ESN Fraktion

Anruf-Affäre der CSU: Realsatire vom feinsten

Anruf-Affäre der CSU: Realsatire vom feinsten

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Anruf-Affäre der CSU
 

Realsatire vom feinsten

Eine Posse erschüttert die Republik. Auslöser war ein Telefonanruf des inzwischen zurückgetretenen CSU-Pressesprechers beim ZDF. Zwei Dinge fallen auf. Erstens: Die Urteile stehen fest, ohne daß der Sachverhalt aufgeklärt ist. Zweitens: Noch merkwürdiger mutet es an, daß die Mainzelmännchen schnattern wie aufgeregte Enten.
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Viel heiße Luft um Nichts Foto: Pixelio/Heike

Ein öffentlich-rechtlicher Sturm im Wasserglas, eine Posse geradezu, erschüttert die Republik und schafft es auf die Titelblätter. Der bayerische SPD-Landeschef Florian Pronold schlägt eine Sprache an, als ginge es um Terrorismus: „Das ist ein Anschlag auf die Pressefreiheit, wie er seit Jahrzehnten nicht mehr erfolgt ist in der Bundesrepublik Deutschland.“

Das Kapitalverbrechen, um das es hier geht, bestand in einem Telefonanruf, vielleicht noch der ein oder anderen SMS des inzwischen zurückgetretenen CSU-Pressesprechers Hans Michael Strepp beim ZDF. Strepp wird der Versuch der Einflußnahme unterstellt. Um den eigenen Parteitag und seinen Chef Horst Seehofer in mildem Licht glänzen zu lassen, soll er interveniert haben, um eine Berichterstattung des Mainzer Senders über den gleichzeitigen Parteitag der bayerischen SPD mit Nominierung des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude zum Konkurrenten von Seehofer bei der Landtagswahl im nächsten Jahr zu verhindern.

Die Aufregungsmaschine läuft auf Hochtouren

Trotz des Possencharakters hätte die „Telefonaffäre“ das Zeug zu höheren Weihen. Schließlich spielte bei Ex-Bundespräsident Christian Wulff auch ein Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann eine wichtige Rolle für dessen Rücktritt. Wer Bayern und die CSU kennt, weiß, daß jetzt Telefonnotizen und -speicher bemüht werden, um aus dem ein oder anderen Medienkontakt etwas herauszuholen. Schon geraten CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und Finanzminister Markus Söder ins Visier vermeintlicher Nachrichtenjäger.

Gerade wenn man sich bewußt ist, daß Söder einer der Wettbewerber um die Seehofer-Nachfolge ist, dann sollte man bei der Suche nach Stichwortgebern auf die Mitbewerber achten. Alle Konkurrenten eint zudem eine klammheimliche Freude, sollte Seehofer ein Jahr vor der Landtagswahl über die Telefongeschichte stürzen. Die Aufregungsmaschine läuft auf Hochtouren. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht eine Staatspartei am Werk, die bei einem Sender anruft, „um einen Bericht über die Opposition zu unterdrücken“. Und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) seufzte: „Der Vorwurf, ein Parteisprecher habe ein zwielichtiges Verhältnis zur Pressefreiheit, wiegt schwer.“

Merkwürdigkeiten der Affäre

Zwei Dinge fallen in diesem Zusammenhang auf. Erstens: Die Urteile stehen fest, ohne daß der Sachverhalt aufgeklärt ist. Strepp ist ein erfahrener Mann. Seehofer war bereits sein dritter CSU-Chef. Da wunderte sich nicht nur die Welt, daß er versucht haben soll, einen tagesaktuellen Bericht über ein Ereignis zu verhindern, das einen Tag später schon wieder vergessen gewesen sein dürfte. Außerdem ist es merkwürdig, daß er bei einem ihm unbekannten ZDF-Redakteur interveniert und mit Debatten in den Aufsichtsgremien gedroht haben soll.

Zweitens: Noch merkwürdiger mutet es an, „daß die ZDF-Redaktion so ergriffen ist von ihrem eigenen Heldenmut“, wunderte sich der mit der CSU vertraute Münchner Merkur. Das werfe „ein schräges Licht auf das Selbstverständnis des Senders. Wie sonst als mit einem entgeisterten Nein hätte das ZDF bitte denn auf die gespenstische Bitte aus München reagieren sollen?“

Parteien kontrollieren die öffentlich-rechtlichen Anstalten

Daß die Mainzelmännchen schnattern wie aufgeregte Enten, soll von anderem ablenken. Längst haben die Parteien die öffentlich-rechtlichen Anstalten übernommen. Jeder Posten bis hinunter zum Hausmeister wird nach politischem Proporz besetzt. Acht Milliarden Euro Zwangsgebühren werden nicht nur genutzt, um das Volk mit Fußballübertragungen und „Wetten, daß ..?“ einzulullen. Sondern die Politik hat hier, etwa mit dem Sender Phoenix, viele Bühnen für die eitle Selbstdarstellung.

Und haben die Empörten etwa vergessen, wie die damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Roland Koch den ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender aus dem Amt drängten? Haben sie vergessen, daß Brenders Nachfolger Peter Frey („Strepps Anruf war versuchte Intervention“) auf SPD-Ticket läuft? Ignoriert wird, daß Freys Stellvertreter Elmar Theveßen der Union zugerechnet wird – genauso wie Intendant Thomas Bellut („Dieser Versuch, schon vor der Berichterstattung Einfluß zu nehmen, das geht einfach nicht“).

Willkommen bei der „Aktuellen Kamera“ in der DDR

„Die Parteien vergeben Posten über den Verwaltungs- und Fernsehrat der Mainzer Anstalt oft nach dem Prinzip: ein Linker, ein Rechter“, urteilt die Süddeutsche Zeitung. In den anderen Sendern bis hin zum Deutschlandfunk geht es genauso zu. Die gebührenfinanzierte Grundversorgung ist tatsächlich eine Grundversorgung des Bürgers mit den inzwischen weitgehend austauschbaren Positionen des demokratischen Blocks der Berliner Parlamentsparteien. Die Gremien sind voll mit Politikern. Seehofer sitzt im ZDF-Verwaltungsrat, Dobrindt im Fernsehrat. Es gibt sogar einen laut SPD-naher Leipziger Volkszeitung „konservativ-bürgerlichen Einflußkreis“ beim ZDF.

Dessen Chef, Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), erklärte in dem Blatt: „Das Verhalten des ZDF hat bestätigt, daß es keine erfolgreiche politische Einflußnahme beim ZDF gibt.“ Jung liefert Realsatire vom feinsten. Den Vogel schoß die Chefredakteurin des Deutschlandfunks, Birgit Wentzien, ab: „Wir sind ein volkseigener Betrieb“, sagte sie auf die Frage nach den mit Politikern besetzten Aufsichtsgremien. Willkommen bei der „Aktuellen Kamera“ in der DDR.

JF 45/12

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