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Tatort: Kein Klischee zu kitschig

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Kein Klischee zu kitschig

Am Sonntagabend wird ein Seufzen durch Deutschlands Wohnzimmer gehen. Endlich. Endlich ist es soweit. Jetzt können wir doch zur Abwechslung mal stolz sein auf unser Land, denn wir haben jemanden, um den uns das Ausland beneidet: einen schwulen Spitzenfußballer, der offen dazu steht.
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Hauptdarsteller Maria Furtwängler und Benjamin Sadler Foto: rg

Am Sonntagabend wird ein Seufzen durch Deutschlands Wohnzimmer gehen. Endlich. Endlich ist es soweit. Jetzt können wir doch zur Abwechslung mal stolz sein auf unser Land, denn wir haben jemanden, um den uns das Ausland beneidet: einen schwulen Spitzenfußballer, der offen dazu steht. Nichts wird mehr so sein wie zuvor.

Doch, halt. Vorerst ist die erlösende Botschaft noch eine fiktive, stammt sie doch aus der Feder von Harald Göckeritz, dem Drehbuchautoren von „Mord in der ersten Liga“. In diesem „Tatort“ fahndet Kriminalkommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) nach dem Mörder eines Spielers vom Bundesligaverein Hannover 96. Am Abend vor seinem Tod hat Lindholm dem Torjäger noch zugejubelt und ihm mit ihrem Sohn David ein Autogramm abgejagt. Jetzt jagt sie seinen Mörder. Was für ein Zufall! 

Bei ihren Ermittlungen findet die resolute Alleinerziehende schnell heraus, daß etwas mit dem besten Freund des ermordeten Spielers nicht stimmt: Der Vereinskollege des Opfers Ben Nenbrook (Luk Pfaff) ist schwul. Eine Aids-Schleife, Kondome und ein Marianne-Rosenberg-Lied führen Lindholm auf die richtige Spur. Kein Klischee ist zu kitschig, um nicht in diesem Krimi aufzutauchen, der eigentlich aufgeklärt und tolerant sein will. Auch eine kleinere Bettszene bleibt dem Zuschauer nicht erspart.

„Ja, ich bin schwul“

Der eigentliche Mordfall geht in dem Geschehen ziemlich unter. Alles dreht sich nur um Ben Nenbrook. „Sie müssen jahrelang Angst gehabt haben, aufzufliegen. Sie haben Angst, daß ganz Deutschland mit dem Finger auf Sie zeigt“, flüstert Lindholm Nenbrook zu, bis der endlich zugibt: „Ja, ich bin schwul.“ Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz wiederholt der Fußballer seine Worte. Seine Karriere scheint daraufhin beendet.

Der Kriminalfall wird ganz nebenbei gelöst. Der Mörder hat den Spieler aus niederen Beweggründen erschlagen und wird anhand eines Geräuschs in einer Videoaufnahme überführt. Wie unspektakulär – alles schon hundertmal in Krimis gesehen. Viel wichtiger und neuer aber ist für Lindholm und die anderen Akteure des Films, darunter Fußballfans, Hooligans und sensationsgeile Journalisten, die Frage, was aus dem schwulen Fußballer wird, obwohl der mit dem Mord gar nichts zu tun hat. 

Der Anstoß kam von Theo Zwanziger

Viel interessanter wäre es aber, zu erfahren, warum ein schwuler Profifußballer so wichtig sein soll. Sportfunktionäre, Schauspieler, Drehbuchautoren – sie alle scheinen von der fixen Idee geradezu besessen, daß es einen homosexuellen Michael Ballack oder Mesut Özil geben muß. Seit Jahren wird nach ihm gefahndet. Von allen möglichen Spielern wurde es schon mal behauptet. Auch auf den Gängen des NDR raunen sich die Mitarbeiter Namen zu. Aber handfeste Beweise hat keiner.

Schwule TV-Kommissare gab es schein bei RTL und Sat1, schwule Showstars in allen Kategorien, von Ricky Martin bis Dirk Bach. Schwule Politiker, schwule Polizisten, schwule Topmanager – alles Drops, die längst gelutscht sind. Es gab einen schwulen Dschungelkönig und selbst schwule Pastoren. Nur ein Fußballer fehlt eben.

Zwei Personen haben diesen Tatort maßgeblich angestoßen: DFB-Präsident Theo Zwanziger und Schauspielerin Maria Furtwängler.  Eines Tages trafen sich Zwanziger und Furtwängler bei einem Empfang. „Das Thema Homophobie und Fußball, wie wär’s, wenn ihr da mal was macht – beim Tatort?“ hat Zwanziger gefragt. Furtwängler war sofort Feuer und Flamme. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, im Profifußball ein „liberaleres Klima“ zu schaffen, wie sie das nennt. Sie trug den Vorschlag dem NDR-Senderat vor.

„Die Grundstrukturen im Fußball sind konservativ“

Dort waren sofort alle von dem Konzept begeistert. Ausgerechnet Christian Ganderath, der neue NDR-Abteilungsleiter für die Bereiche Film, Familie und Serie, setzt sich an die Spitze der Bewegung. „Dieser Film ist ein schönes Projekt“, sagt er. Auch der Regisseur Nils Willbrandt war gleich mit von der Partie: „Der Fußball ist ja so eine letzte Tabu-Bastion, was Homosexualität angeht. Und es hat uns gereitzt, das zu hinterfragen.“

Schauspieler Benjamin Sadler – er spielt einen Journalisten und wird vielleicht der neue Freund von Lindholm – wird noch konkreter und verrät, daß es um das „rechtskonservative Wertegerüst“ des Fußballs gehe: „Die Grundstrukturen im Fußball sind konservativ. Diese Leute werden keine Regenbogenfahne hissen.“ Es gäbe eine Grundabwehr gegen öffentliche Homosexualität, die den zum Helden mache, der sich als erster offenbare.

So endet auch „Mord in der ersten Liga“ mit einem großartigen „happy end“ für Ben Nenbrook: Nach seinem „Outing“ ist erst nicht klar, ob er jemals wieder spielen wird. Aber am nächsten Sonnabend steht er wieder im Stadion, Hand in Hand mit einem kleinen Jungen, der ihn auf den Platz begleitet. Das Publikum jubelt begeistert. Auch Charlotte Lindholm sitzt im Publikum. Endlich, seufzt sie leise.

Der Tatort „Mord in der ersten Liga“ wird am heutigen Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt.

JF 12/11

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