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Buchbesprechung: Militärgeschichte auf ausgetretenen Pfaden

Buchbesprechung: Militärgeschichte auf ausgetretenen Pfaden

Buchbesprechung: Militärgeschichte auf ausgetretenen Pfaden

Militärgeschichte: Deutsche Soldaten marschieren 1914 durchs eroberte Brüssel.
Militärgeschichte: Deutsche Soldaten marschieren 1914 durchs eroberte Brüssel.
Deutsche Soldaten marschieren 1914 durchs eroberte Brüssel. Foto: picture alliance / SZ Photo | Scherl
Buchbesprechung
 

Militärgeschichte auf ausgetretenen Pfaden

Der Historiker Stig Förster hat eine voluminöse deutsche Militärgeschichte von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart vorgelegt. Das Werk ist gelungen, krankt jedoch am Fehlen neuer Perspektiven.
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„Kriegstüchtigkeit“ ist ein alter militärischer Begriff, der in der bundesdeutschen Wehrdebatte nach 1990 weitgehend vermieden wurde. Insbesondere die seit dieser Zeit amtierenden Inhaberinnen und Inhaber der höchsten Befehls- und Kommandogewalt sahen sich nicht in der Lage, die Bundeswehr auch weiterhin auf eine womöglich von Krieg und Kampf geprägte Einsatzwirklichkeit in Europa vorzubereiten. Vielmehr wurde ein intensiver Diskurs über die künftige militärstrategische Ausrichtung der deutschen Streitkräfte als politisch verfehlt und pädagogisch gefährlich abgetan. Erst die seit 2022 einsetzende Wahrnehmung Rußlands als Bedrohung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rückte die Landesverteidigung wieder in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.

So verdankt sich die eingesetzte Konjunktur militärgeschichtlicher Forschungen auch der aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Lage. Primär ging es darum, das Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Militär herauszuarbeiten und damit das ambivalente Verhältnis der Deutschen zu ihren Streitkräften neu zu bestimmen.

In diesem Frühjahr legt nun Stig Förster, emeritierter Professor für neueste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern und international anerkannter Militärhistoriker, eine fast 1.300 Seiten starke Militärgeschichte Deutschlands von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart vor. Überzeugt davon, daß gerade die deutsche Geschichte ohne die Rolle des Militärischen kaum verstanden werden kann, stellt Förster seine Arbeit in die Tradition der „War-and-Society-Schule“ um den englischen Historiker Michael Howard, der bewaffnete Macht und Krieg nicht mehr isoliert betrachtete, sondern die Geschichte der organisierten Gewalt als integralen Bestandteil der allgemeinen Historiographie in politische, soziale und ökonomische Strukturen einband.

1945 endete deutsche Militärgeschichte

Das Bild zeigt die Vorderansicht des Buches zur Deutschen Militärgeschichte.
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Dabei kommt der Frage, inwieweit diese Strukturen bestimmte Denkmuster und Verhaltensweisen bedingten oder durch diese geprägt wurden, eine besondere Bedeutung zu. So ist Försters Militärgeschichte nicht allein als deutsche, sondern auch als europäische „Kulturgeschichte der Gewalt“ zu verstehen.

In den neun chronologischen Großkapiteln finden sich alle bedeutenden Kriege und Schlachten, die zudem aus operativer Sicht durchleuchtet und auf deren Ursachen und Auswirkungen hin untersucht werden. Dazu wird auch die jeweilige Entwicklung der Waffentechnik berücksichtigt, die den Ausgang der Waffengänge im Laufe der Jahrhunderte mitunter verständlicher macht. Der Schwerpunkt dieser Überblicksdarstellung liegt aber auf dem 20. Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen. Förster folgt hierbei der alten These Fritz Fischers, daß der deutsche Imperialismus für den Kriegsausbruch 1914 verantwortlich sei und handelt Christopher Clark, der den Weg in den Ersten Weltkrieg als europäisches Systemversagen deutete, lediglich in einer Fußnote ab.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges betrachtet Förster als das Ende der deutschen Militärgeschichte in der Art, daß er nicht nur den Schlußstein jahrhundertalter Überlieferungen, sondern auch die Ursache für die vollständige und bis heute andauernde Integration deutscher Armeen in globale Bündnissysteme darstellt.

Neue Perspektiven fehlen

Bis zur Wiedervereinigung der beiden, 1949 gegründeten deutschen Teilstaaten werden die jeweiligen Rollen von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee und ab 1990 der Niedergang der gesamtdeutschen Streitkräfte thematisiert. Insgesamt zeichnet Förster ein plastisches Bild der deutschen Militärhistorie in Vergangenheit und Gegenwart. Seine Ausführungen beendet der Autor mit der Sorge vor einer zweiten Amtszeit eines unberechenbaren US-Präsidenten und einer möglichen Ablösung des französischen Präsidenten durch Marine Le Pen 2027, die äußerstenfalls zur Auflösung der Nato und der Europäischen Union führen könnten.

Försters umfangreiche Darstellung kann im großen und ganzen als gelungen betrachtet werden, da sie fundiertes Sachwissen für alle bietet, die der deutschen Militärgeschichte und der Bedeutung sowie dem Gestaltwandel seiner Streitkräfte interessiert gegenüberstehen. Sie stellt zweifellos einen Überblick dar, eröffnet aber keine neuen Perspektiven.

Es drängt sich deshalb die Frage auf, ob sie tatsächlich ein Desiderat darstellte, zumal bereits 2023 eine deutsche Militärgeschichte des britischen Historikers Peter Hamish Wilson mit dem Titel „Eisen und Blut. Geschichte der deutschsprachigen Länder seit 1500“ erschienen ist. Trotz des etwas irreführenden Untertitels geht es in dieser Arbeit um deutsche Militärgeschichte, die ebenfalls im Kontext der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingen dargestellt wird. Im Gegensatz zu Förster war es Wilson mit seinem Überblick aber ein Anliegen nachzuweisen, daß die Deutschen und ihr Militär nicht seit jeher von bellizistischen Obsessionen und militaristischem Gehabe geprägt waren, die erst nach 1945 in einen Prozeß der Demilitarisierung und Pazifizierung hineingezwungen wurden.

Deutschland und seine verhängnisvolle Mittellage

Aufgrund der zentralen geostrategischen Lage seien die deutschen Lande oft genug zum Spielball der Großmächte geworden. Wie sehr diese Konstellationen den Gang der deutschen (Militär)Geschichte bestimmt haben, wird gerade beim Blick auf die Außenpolitik deutlich. Bestimmt von einer als verhängnisvoll erlebten Mittellage, erfuhr die Notwendigkeit einer technischen und taktischen Überlegenheit nicht selten ihre Rechtfertigung, um gewaltsame Auseinandersetzungen kurz halten und siegreich beenden zu können. Ein Grund, daß sich das Image der kriegerischen Nation so erfolgreich etablieren konnte.

Der Rezensent hätte sich deshalb gewünscht, daß auch Stig Förster mit seiner voluminösen Arbeit über das Faktische hinaus und in einer Zeit eines sich abzeichnenden fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Wandels noch mehr Diskussionsstoff in die Debatte über den Stellenwert des Militärischen in der deutschen Geschichte eingebracht hätte.

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Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Verlag C.H. Beck, München 2025, gebunden, 1.294 Seiten, Abbildungen, 49,90 Euro.

Deutsche Soldaten marschieren 1914 durchs eroberte Brüssel. Foto: picture alliance / SZ Photo | Scherl
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