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Zum Tod von Wolfgang Brezinka: Mahner in der Wüste

Zum Tod von Wolfgang Brezinka: Mahner in der Wüste

Zum Tod von Wolfgang Brezinka: Mahner in der Wüste

Wolfgang Brezinka
Wolfgang Brezinka
Wolfgang Brezinka (1928 – 2020) Foto: Wikimedia/luckyprof/CC / JF-Montage
Zum Tod von Wolfgang Brezinka
 

Mahner in der Wüste

Zu den Kernanliegen des Erziehungswissenschaftler Wolfgang Brezinkas gehörte es, daß es auch eine „Praktische Pädagogik des ‘aufgeklärten Konservatismus’“ geben müsse. Zwar bröckelte dieser einst bürgerliche Konsens zunehmend, doch das ließ Brezinka nie resignieren. Im Alter von 91 Jahren ist er nun verstorben.
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Als vor mehr als vierzig Jahren der Kongreß „Mut zur Erziehung“ stattfand, sollte das eine Signalwirkung haben, ähnlich wie die Veranstaltung zur „Tendenzwende“ einige Jahre zuvor. Nach einer Phase der Reformeuphorie und der großen Erwartungen, die man in die „Bildungsexpansion“ der sozial-liberalen Ära gesetzt hatte, schien es an der Zeit, Bilanz zu ziehen, das Scheitern der Hoffnungen einzugestehen und zum Bewährten zurückzukehren: Leistung statt Gleichmacherei, Sachlichkeit statt Indoktrination, Erziehung statt Sozialisierung.

Der Kongreß war eine Veranstaltung der Desillusionierten, und unter seinen Rednern fehlte ein Mann, der gar nicht erst enttäuscht werden mußte, weil er die Täuschung von vornherein als solche durchschaute: Wolfgang Brezinka hatte schon 1972 einen schmalen Band mit dem Titel „Die Pädagogik der Neuen Linken“ veröffentlicht, eine scharfe Abrechnung mit seinen Gegnern in der Erziehungswissenschaft.

Brezinka betrachtete die Machtübernahme der radikalen Linken in dieser Disziplin nicht als isoliertes Phänomen, sondern als Folge eines großen Verblendungszusammenhangs. Das falsche Menschenbild, die falsche Gesellschaftsanalyse des Marxismus und des Anarchismus und die falsche Aufgabenbestimmung der Pädagogik führten letztlich dahin, daß die „Gesellschaft (…) sich durch radikalen Zweifel an allen ihren Werten selbst zerstört (…), ohne daß von außen Gewalt angewendet worden ist“.

Nicht dem progressiven Zeitgeist verfallen

Brezinka gehörte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre zu der ganz kleinen Zahl von Pädagogen, die nicht dem progressiven Zeitgeist verfallen waren. Man konnte seine Positionsbestimmung aber nicht als restaurativ bezeichnen, er wußte daß die „Empfänglichkeit für die pädagogischen Ideen der Neuen Linken (…) neben anderen Gründen auch auf schlechte Erfahrungen mit den vorhandenen Erziehungseinrichtungen und der erlebten Erziehungspraxis“ zurückzuführen waren.

In einer autobiographischen Aufzeichnung hat er deutlich die Mängel der älteren Pädagogik hervorgehoben, die nie aus dem Schatten der Philosophie herausgetreten oder den Anforderungen des Schulbetriebs entkommen war. Seine eigene Konzeption des Fachs sah deshalb neben der klassischen „Philosophie der Erziehung“ und der „Praktischen Pädagogik“ ausdrücklich eine „Erziehungswissenschaft“ vor, die – von empirischen Daten ausgehend – theoretische Feststellungen über Methoden und Ziele zu treffen habe.

Anders als die Masse seiner Kollegen wollte er aber Wertungen – die in der Philosophie der Erziehung wie in der Praktischen Pädagogik ihren selbstverständlichen Platz besitzen – aus der Erziehungswissenschaft heraushalten. Die damit einhergehende Betonung kritischer Rationalität (im Sinne Karl Poppers) gehörte in den siebziger Jahren zum Habitus vieler (Neo-)Konservativer, zu deren wichtigsten Vertretern man Brezinka zählen darf.

Starke christliche Prägung

Der Weg dahin war nicht von Beginn vorgezeichnet, aber doch insofern konsequent, als Brezinka die Unabhängigkeit des Urteils als wichtigen Orientierungsmaßstab früh begreifen konnte. Am 9. Juni 1928 in Berlin geboren, wuchs er in einer Familie auf, die stark durch den Diaspora-Katholizismus geprägt war; die christliche Prägung hat auch später sein Denken nachhaltig bestimmt. Brezinka studierte nach dem Zweiten Weltkrieg an den Universitäten Salzburg und Innsbruck Psychologie, Pädagogik, Philosophie und Staatswissenschaften.

Ursprünglich dachte er an eine Tätigkeit im Bereich der Sozial- und Heilerziehung, entschloß sich aber nach der Promotion 1951 zu einer akademischen Laufbahn. Brezinka habilitierte sich an der Universität Innsbruck und hat in der Folgezeit dort sowie in Würzburg und zuletzt seit 1967 in Konstanz erziehungswissenschaftliche Lehrstühle innegehabt. Aus seiner Feder sind mehr als zwanzig Bücher erschienen; nach seiner Emeritierung 1997 hat er noch drei Bände zur Geschichte des Erziehungswesens in Österreich von enzyklopädischem Format veröffentlicht.

Wenn Brezinka trotz der hohen Auflagen, die seine Bücher erreichten, und trotz der Anerkennung, die seine Arbeiten im Ausland fanden (es gibt Übersetzungen in fünfzehn Sprachen), in Deutschland als bête noire seines Faches galt, hat das im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen trugen ihm einflußreiche Kollegen nach, daß er ’68 nicht mitgemacht hat, und zum zweiten konnten sie ihm nicht verzeihen, daß er mit seinen Diagnosen und seinen Prognosen regelmäßig recht behielt.

Notwendigkeit von Disziplin

Das, was heute die Show-Pädagogen und Fernseh-Nannys einem erstaunten Publikum, das die anti-autoritären Lektionen gerade verdaut, als neue Erkenntnis präsentieren – die Notwendigkeit von Disziplin, die Notwendigkeit von Werteorientierung, die Notwendigkeit von Erziehungsbereitschaft überhaupt –, hat Brezinka wieder und wieder vorgetragen, als das kaum jemand hören wollte.

Zu seinen Kernanliegen gehörte dabei, daß neben die Auseinandersetzung mit den Ideen der Linken auch eine „Praktische Pädagogik des ‘aufgeklärten Konservatismus’“ treten müsse. Als deren Zentrum betrachtete er die Rehabilitierung der Tugend, die allein Erziehung zur „Lebenstüchtigkeit“ verbürge.

Auch die Frage, was das in concreto bedeutet, hat Brezinka nicht unbeantwortet gelassen: Erziehung muß sich der konkreten Daseinsordnung vergewissern, in der sie stattfindet, das heißt sie ist bestimmt durch Kultur, Nation und Religion, die ihren Rahmen bilden. Lebenstüchtigkeit gibt es nicht an sich und auch nicht in bezug auf einen phantasierten Zukunftsentwurf, sondern nur in der Annahme eines Kontinuums, das das Gestern, das Heute und das Morgen sinnvoll verbindet.

Mit solchen Auffassungen konnte er sich lange auf einen breiten bürgerlichen Konsens stützen, der allerdings zunehmend in Auflösung geraten ist. Brezinka hat das nicht resignieren lassen, aber auch nicht in die Anpassung gedrängt. Sein Bruch mit der Union wegen ihres Opportunismus kann dafür als Indiz betrachtet werden.

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Prof. Dr. Wolfgang Brezinka, 9. Juni 1928 – 3. Januar 2020, lehrte Erziehungswissenschaften in Würzburg, Innsbruck und Konstanz. Von ihm erschien 1994 in der JUNGEN FREIHEIT (Nr. 11/94) der Aufsatz: „Wandel vom Rechts- zum Gesinnungsstaat“.

> Dieser Text erschien 2008 in leicht geänderter Form anläßlich des 80. Geburtstages von Wolfgang Brezinka. 

Wolfgang Brezinka (1928 – 2020) Foto: Wikimedia/luckyprof/CC / JF-Montage
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