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Buchrezension: Postkolonialismus – Wenn Weiße per se Schuld sind

Buchrezension: Postkolonialismus – Wenn Weiße per se Schuld sind

Buchrezension: Postkolonialismus – Wenn Weiße per se Schuld sind

In einer weißen Vitrine stehen die Benin-Bronzen, davor steht eine schwarze Frau und betrachtet sie, Symbolbild für den Postkolonialismus
In einer weißen Vitrine stehen die Benin-Bronzen, davor steht eine schwarze Frau und betrachtet sie, Symbolbild für den Postkolonialismus
Eine Besucherin des Humboldt-Forums besichtigt die Benin-Bronzen. Foto: IMAGO / IPON
Buchrezension
 

Postkolonialismus – Wenn Weiße per se Schuld sind

Die westliche Kultur klagt sich selbst an – und gefällt sich in der hypermoralischen Pose. Das neue Buch von Mathias Brodkorb zeigt, wieso das wenig mit historischen Fakten zu tun hat.
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Die Kolonialisierung Afrikas sei nur das Zweitschlimmste, was dem Schwarzen Kontinent jemals widerfahren sei. Noch schlimmer sei die Entkolonialisierung gewesen. Dieser Aphorismus des konservativen Publizisten Michael Klonovsky bezieht sich weniger auf das Vorgehen der europäischen Großmächte, die den Kontinent im 19. Jahrhundert unter sich aufteilten. Vielmehr stellt er die ultimative Provokation des woken Zeitgeists dar, der bar jeder historischen Evidenz das Narrativ verbreitet, die Stämme und Völker Afrikas hätten friedlich und prosperierend koexistiert, bevor der böse weiße Mann Zerstörung und Sklaverei brachte.

Unter der Bezeichnung „Postkolonialismus“ hat diese an Geschichtsfälschung grenzende Einseitigkeit eine steile Karriere im universitären Bereich hingelegt und besitzt heute an den gesellschaftswissenschaftlichen Lehrstühlen in den USA und in Europa hegemonialen Stellenwert. Dieser ist mittlerweile nicht mehr auf den akademischen Elfenbeinturm beschränkt. So reproduzieren heute unter anderem schulische Curricula sowie der Kunst- und Kulturbetrieb postkoloniale Glaubenssätze.

Heutige Hybris besteht darin, sich für besonders verworfen zu halten

Der Publizist und ehemalige SPD-Kultus- und Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern Mathias Brodkorb untersucht in seinem neuen Buch „Postkoloniale Mythen“ die Rolle von Museen und Ausstellungen als Multiplikatoren postkolonialer Ideologie und konzentriert sich „auf den Spuren eines modischen Narrativs“ auf fünf konkrete Beispiele.

„Dieses Buch ist ein Plädoyer gegen die moralistische Hybris, mit der die westlichen Gesellschaften auf ihre eigene Geschichte blicken.“ Diese Hybris besteht heute nicht mehr im unreflektierten Stolz auf die Taten der eigenen Vorfahren. Genau umgekehrt beziehen heute viele ihren Selbstwert aus der öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellten Anerkenntnis der Verkommenheit europäischer bzw. „weißer“ Geschichte, um daraus das Gefühl moralischer Überlegenheit abzuleiten. Diese vom Autor treffend bezeichnete „Schuldlust“ beobachtet Brodkorb in allen von ihm untersuchten Völkerkundemuseen in Hamburg, Berlin, Leipzig und Wien sowie auf der Biennale in Venedig.

Eine britische Delegation wurde ermordet

Das große Verdienst des Buches liegt darin, die Wirkweisen einer abstrakten Ideologie in der konkreten Alltagspraxis nachzuweisen. Ein von Brodkorb beschriebenes Beispiel sind die bekannten Benin-Bronzen. Hierbei handelt es sich unter anderem um 263 Bronzen, die 1897 von britischen Soldaten aus dem Königspalast in Benin, gelegen im heutigen Nigeria, entwendet wurden.

So die offizielle Version, die in Leipzig erzählt wird. Das ist nicht falsch, aber derart entkontextualisiert, daß ein völlig falsches Geschichtsbild entsteht. Verschwiegen wird, daß es seit 1892 einen Handelsvertrag zwischen den Briten und dem Oba, dem König, gab, den dieser 1896 einseitig gebrochen hatte. Eine britische Delegation, die Verhandlungen aufnehmen wollte, wurde ermordet. Der Raub der Benin-Bronzen und die Ermordung von knapp 200 Beninern waren eine Reaktion auf vorangegangenes Unrecht.

Auf dem Buchcover von Mathias Brodkorbs "Postkoloniale Mythen" ist eine afrikanische Maske zu sehen
Mathias Brodkorb: Postkoloniale Mythen. 272 Seiten, zu Klampen Verlag, Jetzt im JF-Buchdienst bestellen

Man erkennt leicht die machtpolitische Agenda

Um das Bild moralischer Eindeutigkeit im Sinne des Postkolonialismus zu kreieren – der böse Weiße massakriert den edlen Schwarzen – ignoriert das Museum Leipzig den gesamten historischen Kontext, um zu verheimlichen, daß das Verhalten keiner Seite den heutigen moralischen Standards entspricht. In Wien wird der Handelsvertrag von 1892 zwar erwähnt, jedoch mit dem Zusatz versehen, daß der Oba diesen nicht verstanden habe. Belege für diese Behauptung, so Brodkorb, gebe es schlicht und einfach keine. Vielmehr werde hier das Bild des naiven Schwarzen gezeichnet, welches wiederum selbst eine rassistische Komponente habe.

Trotz der ernsten Thematik ist Brodkorbs Reise durch die Museumslandschaft Europas amüsant zu lesen. Er berichtet von Gesprächen mit Entscheidungsträgern, die sich in Widersprüche verstricken und schließlich als Rechtfertigung ihrer Ausstellungspraxis in die Untiefen postkolonialer Rhetorik fliehen. Historische Korrektheit hin oder her, auf jeden Fall hätten die Europäer den Afrikanern „epistemische Gewalt“ angetan.

Dieser zentrale Begriff des Postkolonialismus geht davon aus, daß mit Hilfe von Wissen und daraus resultierenden Machtstrukturen unterlegene Gruppen marginalisiert werden, ohne direkte Gewalt anzuwenden. Das Beispiel des Vertrages, den der Oba angeblich nicht verstanden habe, ist ein treffendes Beispiel epistemischer Gewalt im postkolonialen Verständnis. Man erkennt leicht die machtpolitische Agenda hinter dieser Begrifflichkeit.

Historisches Erkenntnisstreben wird ersetzt durch Multiperspektivität

Alle Handlungen weißer Europäer gegenüber Schwarzen lassen sich mit diesem Schlagwort delegitimieren. Jeder, der diese begriffliche Verwahrlosung hinterfragt, offenbare seine eigenen internalisierten rassistischen Denkmuster, denen er sich zu stellen habe. Er wolle doch kein Rassist sein, oder etwa doch?

Eine der schlimmsten Konsequenzen des Postkolonialismus ist die Aufhebung der Unterscheidung zwischen wahr und falsch. Historisches Erkenntnisstreben wird ersetzt durch Multiperspektivität, um die angeblich marginalisierten Gruppen zu Wort kommen zu lassen. Brodkorb beschreibt, daß es den Museen gleichgültig sei, ob die subjektiven Einschätzungen der afrikanischen Zeitgenossen oder deren heutiger Nachfahren historisch-kritischer Analyse standhalten.

Brodkorb verdient eine Leserschaft

Hauptsache, sie kommen unkommentiert zu Wort, alles andere sei zweitrangig und würde wieder auf epistemische Gewalt hinauslaufen. Es ist ein gruseliges Wissenschaftsverständnis, welches sich hier hinter der Fratze moralischer Überlegenheit offenbart.

Brodkorb dringt vor in das Zentrum der Wokeness, das neben dem Postkolonialismus in dieser Wirkmacht nur noch von der Gender-Ideologie gebildet wird. Erkenntnisreich und humorvoll geschrieben, ist „Postkoloniale Mythen“ auch ein visuell ansprechendes Buch. Zahlreiche Bilder der Benin-Bronzen sowie Fotos aus dem 19. Jahrhundert und von Originalquellen – fast alle in Farbe – sind in den Text integriert. Mit Herz und Verstand argumentiert Brodkorb gegen den vorherrschenden antiweißen Neorassismus zur Sühne vergangenen Unrechts. Dafür verdient er eine breite Leserschaft!

Aus der JF-Ausgabe 26/25

Eine Besucherin des Humboldt-Forums besichtigt die Benin-Bronzen. Foto: IMAGO / IPON
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