„Die Geschichte vom fliegenden Robert“ aus dem Kinderbuchklassiker Struwwelpeter hat bei der Erziehung der Meteorologin Kate Carter (Daisy Edgar-Jones) ganz sicher keine Rolle gespielt. „Robert“ sollte davor warnen, bei stürmischem Wetter aus dem Haus zu gehen. Kate hat sich dagegen schon als Kind bei Sturm und Regen am liebsten nach draußen begeben. So berichtet es ihre Mutter Cathy („Emergency Room“-Star Maura Tierney). Und genau da, nämlich draußen, steht Kate auch in der ersten Kameraeinstellung des Katastrophenfilms „Twisters“ (auf Deutsch: „Wirbelstürme“), für den das Publikum ab dem 18. Juli die Kinos stürmen soll.
Sie steht unter bleigrauem Himmel auf einer grasgrünen Prärieweide und ist guter Dinge. Denn ein Sturm naht. Die junge Unwetter-Erforscherin freut sich, weil sie und ihre Mannschaft von Nachwuchswissenschaftlern durch einen zünftigen Tornado mit dem von Kate eigens entwickelten Meßinstrumentarium neue meteorologische Erkenntnisse gewinnen können. Und so hallt ihr begeisterter Schlachtruf: „Heute kriegen wir den Tornado!“ über das Grasland. Keiner der Euphorisierten ahnt, daß gleich der Tornado sie kriegen wird – mit sagenhaften 320 Stundenkilometern!
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Spätestens als die Rotoren der auch in Oklahoma in die Prärie gestellten und von Dilettanten gern als „Windräder“ apostrophierten Windenergieanlagen (Räder sind per definitionem rund) zu wackeln und abzufallen beginnen, wird deutlich: Ein Werbefilm für Windkraft ist „Twisters“ nicht. Und auch das Thema „Klimawandel“ wird, offensichtlich aus Rücksicht auf republikanische US-Zuschauer, nicht breit thematisiert, obwohl Co-Produzent Patrick Crowley versichert: „Unser Film betont die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Erkenntniszuwachses“ mit dem Ziel, künftig gegen den „Klimawandel“ besser gewappnet zu sein. Im Film geht es dann aber vor allem um Draufgängertum und Tapferkeit.
„Hast du dich jemals gefragt, warum gerade wir davongekommen sind?“
Tapfer muß auch Kate sein. Fünf Jahre nach der Katastrophe, der sie nur mit einer schweren Verletzung und einem noch schwereren Trauma entging, steht ihr damaliger Gefährte Javi (Anthony Ramos) in New York vor ihr mit den Worten: „Hast du dich jemals gefragt, warum gerade wir davongekommen sind?“ Javi betreut für das Unternehmen Storm Par ein neues Projekt, mit dem er zu vollenden hofft, was damals im Fiasko endete. Nach klischeegerechtem Zögern ist Kate mit dabei.
Wie einst Käpt’n Ahab mit Moby Dick hat sie mit dem großen, bösen Tornado noch eine Rechnung offen und will ihn endlich unschädlich machen, nicht durch Harpunen, sondern durch innovative Meßmethoden. Womit sie allerdings nicht gerechnet hat: Im weiten Land von Oklahoma, wo sich die Wirbelstürme besonders gern austoben, trifft sie auf einen ganzen Troß von Abenteurern und sogenannten Sturmstreitern („storm wranglers“). Zu ihnen gehört auch – samt eigens umgerüstetem roten Geländewagen – der studierte Meteorologe Tyler Owens (Glen Powell, parallel mit „A Killer Romance“ im Kino, siehe JF 28/24).
Der selbstverliebte Sturmcowboy hat einen eigenen Videokanal und hält seine Anhängerschaft mit selbst inszenierten Kurzfilmen in Atem. Ins Auge des Sturms zu fahren, sich mit dem Auto in die Erde zu bohren und dann Silvesterraketen in die Windhose zu schießen, das ist gewiß nicht, was Kate unter verantwortungsbewußtem Umgang mit bedrohlichen Wetterphänomenen versteht. Tyler wirkt also nicht gerade wie jemand, der ihr Herz im Sturm erobern könnte.
„Twisters“ ist die Fortsetzung eines Klassikers
Als er mit einer Pizza vor ihrer Moteltür steht, lernt die kühle junge Dame jedoch eine andere Seite des kühnen Sturmstreiters kennen. Und dann wirbelt er auch noch überraschend ihre Auszeit auf der Farm ihrer Mutter durcheinander, wo sie nach einem Sturmangriff auf andere Gedanken zu kommen hoffte. Schließlich tun sich die beiden Himmelsstürmer zusammen, um der Furie gemeinsam ins Auge zu blicken.
„Twisters“ gab es schon einmal, damals allerdings nur im Singular: „Twister“ hieß der Film, mit dem „Jurassic Park“-Autor Michael Crichton und Produzent Steven Spielberg 1996 unter der Regie von Jan de Bont frischen Wind in die Kinosäle brachten – mit „science fact“ statt „science fiction“, wie Produzent Frank Marshall betont. Und sehr viel anders als damals haben „Top Gun: Maverick“-Autor Joseph Kosinski, der die Idee zu der Nachziehnummer mit einer neuen Generation von Schauspielern hatte, und Regisseur Lee Isaac Chung ihren Neuaufguß auch nicht aufgezogen.
Wie damals geht es darum, dem weißen Wal des Wolkenmeers furchtlos hinterherzujagen, ihn kräftig wüten und die Überlebenden anschließend die Scherben aufkehren zu lassen. Das Prinzip wird dann bis zur Erschöpfung durchgenudelt. Mehr als zwei Drittel der sechzigtägigen Produktionszeit gingen drauf für den Dreh von Szenen, in denen die Protagonisten im Auto hinter Windhosen her sind.
Das Ergebnis ist ein guter, kurzweiliger Film
Viel Wind um nichts also? Keineswegs. Denn natürlich reißen einen die tricktechnisch erzeugten grauen Ungetüme im Kinosaal fast genauso mit wie Autos, Dächer und einige der bedauernswerten Filmfiguren, die in die Höhe gewirbelt werden und dort einem ungewissen Schicksal entgegenwehen. Außerdem ist die Britin Daisy Edgar-Jones, die schon in der Erotikdrama-Serie „Normal People“ (2020) für die BBC vollen Körpereinsatz zeigte, eine sehr begabte Darstellerin, die mit Glen Powell einen Filmpartner an ihrer Seite hatte, mit dem sie blendend harmoniert.
Film-Wetterexperte Kevin Kelleher schickte die Schauspieler zur Vorbereitung in das Nationale Wetterdienstzentrum der Universität von Oklahoma. „Von unschätzbarem Wert“ sei Kevin Kelleher für sie gewesen, verrät Edgar-Jones und die fachliche Vorbereitung „unendlich interessant und hilfreich“. Wenn mutige Helden rohen Naturgewalten so fachkundig trotzen, läßt das natürlich jedes noch so windige Drehbuch vergessen. Das Ergebnis sind zwei Stunden Kinovergnügen, bei denen die Zeit vergeht wie im Fluge.
Kinostart: 18. Juli