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Rammstein-Album „Zeit“: Schöner – Größer – Härter

Rammstein-Album „Zeit“: Schöner – Größer – Härter

Rammstein-Album „Zeit“: Schöner – Größer – Härter

Rammstein-Sänger Till Lindemann: Mittlerweile geht er auf die 60 zu
Rammstein-Sänger Till Lindemann: Mittlerweile geht er auf die 60 zu
Rammstein-Sänger Till Lindemann: Mittlerweile geht er auf die 60 zu Foto: picture alliance / /Thomas Rungstrom | Gonzales Photo
Rammstein-Album „Zeit“
 

Schöner – Größer – Härter

Rammsteins neues Studio-Album „Zeit“ könnte das letzte der Band sein. Musikalisch wird darin weitestgehend Standardkost geboten, doch wie üblich entfalten die Stücke eingebettet in die Bühnenperformance eine Wirkung, der man sich so schnell nicht entziehen kann.
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Cato, Palmer, Exklusiv

Innovation muß man bei Rammstein nach inzwischen sieben Studienalben und 28 Jahren musikalischen Wirkens nicht mehr suchen. Und warum auch? Rammstein gelten in ihrem Genre für viele als Verkörperung der Innovation. Ihr Sound ist auch 2022 trotz geringfügiger Veränderung und neuer Versatzstücke als unverkennbar eigenständig zu identifizieren, genau wie die bandtypische Ästhetik, die seit jeher zwischen dem Grotesk-Morbiden und jener Schwermut pendelt, die das Gesamtkunstwerk Rammstein ausmacht.

Mit dem neuen Studioalbum „Zeit“ hat sich daran nichts geändert. Rammstein müssen nach wie vor als Summe ihrer Teile verstanden werden, in der die Musik für sich genommen nur eine Zutat der erfolgreichen Rezeptur darstellt. Das zeigt sich ebenfalls bei den aktuellen Single-Auskoppelungen „Zeit“ und „Zick Zack“. Behandelt erstes Lied Themen wie Vergänglichkeit, Werden und Sterben, nimmt „Zick Zack“ in gewohnter Rammstein-Manier einen gesellschaftlichen Schönheitswahn aufs Korn, der sich in grotesken chirurgischen Eingriffen manifestiert.

Natürlich geht es auch bei „Zick Zack“ neben der obligatorischen Kritik am Kapitalismus ums Älterwerden, ein Thema, welches die Band aufgrund des fortschreitenden Alters ihrer Mitglieder – Till Lindemann geht immerhin schon stark auf die 60 zu –, beim Komponieren und Texten beeinflußt haben dürfte. Im Video zeigen sich die Bandmitglieder folgerichtig mit schönheitsoperierten Spitting-Image-Visagen und beschwören das Unwohlsein mit dem eigenen Körper, dem man nur durch das Abschneiden unliebsamer Extremitäten und anderer Eingriffe Herr werden kann: „Bauchfett in die Biotonne. Der Penis sieht jetzt wieder Sonne.“

Musikalisch wird Rammstein-Standardkost geboten

Musikalisch wird dabei weitestgehend Rammstein-Standardkost geboten, was für Fans aber aufgrund des stilistischen Alleinstellungsmerkmals der Gruppe verzeihlich ist. „Zick Zack“ wartet mit den üblichen Kinderreim-Texten auf, die man entweder scharfsinnig oder klamaukig finden kann und begleitet diese mit bekannten Stakkato-Riffs, während „Zeit“ mit seinen poppig-schwermütigen Post-Rock-Anleihen auch von „Unheilig“ stammen könnte und fraglos auf Radio-Airplay schielt.

Rammstein-Lieder, die sich nicht nach dem ersten Hördurchgang komplett erschlossen haben, sind selten. Auf „Zeit“ hat sich nichts daran geändert. Und trotzdem entfalten die Stücke in Verbund mit ihren Videos oder eingebettet in die Bühnenperformance der Band eine Wirkung, der man sich so schnell nicht entziehen kann. Möglich, daß gerade in der Simplizität der Kompositionen eines der Erfolgsgeheimnisse Rammsteins liegt und der Band genug Freiraum läßt, rund um ihre Lieder ein künstlerisches Gesamtkonzept zu erschaffen. Ein Konzept, das nicht nur Fans beeindruckt, sondern Rammstein nachhaltig von ihren musikalischen Vorbildern wie Kraftwerk, Die Krupps oder Oomph! abzuheben vermochte.

Provokationen und „Tabubrüche“ als gezieltes Marketing

Ohne Frage gehört Provokation ebenfalls zu Rammsteins Erfolgsrezept. Die Band gilt immer noch als „kontrovers“ und „umstritten“, wobei sie sich inzwischen bildsprachlich etwas von der martialischen Riefenstahl-Ästhetik verabschiedet hat, die vielen Hörern stets einen wohligen Grusel bescherte. Immerhin gelang der Band ihr internationaler Durchbruch in den USA, wo die im 4/4-Takt dargebotene Brachialmusik und Till Lindemanns rollendes „R“ gern mal als „besonders deutsch“ empfunden werden.

Kokettiert Rammstein heute mit diesem Image, etwa in „Deutschland“ vom Vorgänger-Album, läßt man allerdings keine Zweifel daran, daß die Bandköpfe eine kritische Distanz zur eigenen Geschichte und Identität wahren. Das Lied samt Video wurde nicht nur von einigen Links-Feuilletonisten aufgrund seiner vordergründig deutschtümelnden Bildsprache kritisiert, sondern ebenfalls im patriotischen Lager vielfach falsch verstanden aufgenommen: Rammstein-Videos als Projektionsfläche der eigenen Sehnsüchte. Auch das kann Kunst ausmachen.

Daß die 1994 von ehemaligen Punks und Gruftis gegründete Band keiner rechten Gesinnung anhängt und diese auch nicht bildsprachlich zelebrieren möchte, ist deshalb schon lange kein Geheimnis mehr. Konnte man in den Anfangsjahren, als sich sogar der Verfassungsschutz mit der politischen Gesinnung der Gruppe befaßte, noch über die Ausrichtung Rammsteins spekulieren, so steht spätestens seit Anfang der 2000er Jahre fest, wo das Herz der Band schlägt. In dem 2001 erschienenen Stück „Links 2 3 4“ heißt es: „Sie wollen mein Herz am rechten Fleck. Doch sehe ich dann nach unten weg. Da schlägt es links.“

Rammstein ist bekannt für „starke Haltung“

Daß Rammstein eine Band mit „starker Haltung“ ist, dürfte deshalb niemanden mehr überraschen. Vordergründig Gesellschaftskritisches findet sich nicht nur in vielen Bandtexten. Abseits des Plattentellers kennen Rammstein wenig Scheu, wenn es darum geht, das Weltgeschehen showbizmäßig zu kommentieren. Im Gegensatz zum Mythos der Band als kontroverse Tabubrecher, den die Medien oft zeichnen, bewegt man sich dabei allerdings meist im Cordon sanitaire der erlaubten Meinungen und des Erwartbaren. Vor diesem Hintergrund sind die bildsprachlichen Bezüge auf totalitäre Ästhetik in Rammsteins Vergangenheit im besten Fall als kokettierende Persiflage, eher aber als kalkulierte Inkaufnahme von Empörung zur Steigerung der eigenen Bekanntheit zu werten.

Ganz gleich, ob Rammstein vor polnischem Publikum die Regenbogenfahne schwenken oder in Moskau gleichgeschlechtliche Küsse mimen: Politisch ist man ganz im Zeitgeist zu Hause. Insofern muß sich Rammstein den Vorwurf gefallen lassen, ihre Provokationen gezielt als Marketing zu konstruieren und sich auf die Zubringerdienste einer dankbaren Medienlandschaft zu verlassen, die den „Tabubrüchen“ eine entsprechende Bühne bereitet, ganz gleich, wie harmlos diese sind. Wenig verwunderlich also, daß in einer aktuellen Album-Besprechung der Welt jedes Lied von „Zeit“ auf sein Empörungspotential hin seziert und bewertet wird.

Fans fischen in vertrauten Gewässern

Dabei fällt es schwer zu glauben, daß sich heute jemand von plastischen Darstellungen weiblicher Geschlechtsorgane – so zu sehen in „Zick Zack“ – schockieren läßt, wo doch inzwischen auf jedem evangelischen Kirchentag Vulva-Malkurse angeboten werden und Komiker unter dem Label „Pussyterror“ auftreten.

Man kann Rammstein in diesem Kontext problemlos als gut geölte Maschine beschreiben, als eine millionenschwere Firma, die viel Geld und Zeit in Marketing investiert und genau weiß, wie der heimische Medienbetrieb zu stimulieren ist. Das ist an sich nicht verwerflich und gehörte schon immer zum Musikbusiness dazu, sollte aber mit eingepreist werden, möchte man der Band in Gänze gerecht werden.

Rammstein-Fans werden sich davon die Lust an der Musik und dem bildgewaltigen Drumherum nicht vermiesen lassen und müssen das auch nicht. Musikalisch fischt man weitestgehend in vertrauten Gewässern und fährt genug Material auf, welches sich im Rahmen einer pyrotechnisch aufgebrezelten Bühnenshow zur Zufriedenheit der Fans darbieten läßt. Spannend bleibt daher am ehesten die Frage, wohin sich die Band in Zukunft noch entwickeln möchte, sollte es weitere Alben geben. Denn das inzwischen achte Werk könnte, so unken Fans in Social-Media-Kanälen, das letzte Rammstein-Album sein. Aber das wird die Zeit zeigen.

JF 19/22

Rammstein-Sänger Till Lindemann: Mittlerweile geht er auf die 60 zu Foto: picture alliance / /Thomas Rungstrom | Gonzales Photo
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