Mit Jean-Louis Trintignant verläßt einer der ganz Großen des europäischen Kinos die Filmbühne für immer. In fast 150 Streifen war er einem breiten Publikum bekannt geworden. Der 1930 in der kleinen Ortschaft Piolenc in der Provence geborene Schauspieler verstarb am Wochenende im Alter von 91 Jahren im französischen Collias. Die letzte Produktion, mit der er ein großes internationales Echo fand, war das Alterswerk „Liebe“ (2012) des österreichischen Regisseurs Michael Haneke. Eindrucksvoll und berührend verkörperte der damals bereits 81jährige darin einen Pensionär, der seine Ehefrau nach Jahrzehnten des gemeinsamen Lebens auf deren Wunsch hin sterben lassen muß.
Ähnlich unter die Haut, allerdings in einem völlig anderen Genre, ging seine Rolle als Klaus Kinskis Opfer in dem legendären Italo-Western „Il grande silenzio“ (1968; deutscher Titel: „Leichen pflastern seinen Weg“) von Sergio Corbucci. Auch hier zeigte sichs ein Talent. In der atmosphärisch dichten Wintergeschichte ließ Trintignant als gequälter Stummer die Zuschauer derart grausam leiden, daß einer von ihnen, der Comic-Zeichner Yves Swolfs, im ersten Band seiner Western-Reihe „Durango“ die Geschichte noch einmal neu erzählte – mit besserem Ende für den Helden. Auch so kann man ein durch Filmkunst verursachtes Trauma verarbeiten.
Trintignant bandelte mit Brigitte Bardot an
Trintignants Karrierebeginn war vermutlich Roger Vadims „Und immer lockt das Weib“ (1956), in dem er gemeinsam mit Curd Jürgens und Christian Marquand um die Gunst einer 18jährigen Juliette buhlt. Diese verkörperte niemand anderes als der damals aufgehende Stern am europäischen Schauspielhimmel, Brigitte Bardot. Trintignant, zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet mit seiner Kollegin Stéphane Audran, gab den Verlockungen der attraktiven Blondine auch jenseits der Dreharbeiten nach – ein Skandal!
Vor allem für deutsche Zuschauer interessant aus der Frühphase seines Schaffens ist auch sein Auftritt in „Mata Hari, Agent H 212“ (1964), der mit einer packenden Dramaturgie die tragisch endende Geschichte der deutschen Spionin nacherzählt. Trintignant spielt darin einen französischen Capitaine, der Mata Hari in die Falle geht. Ein Klassiker der Nouvelle Vague und Karrierehöhepunkt in der Bilderbuchkarriere des Franzosen ist das Oscar-prämierte Melodrama „Ein Mann und eine Frau“ (1966) von Claude Lelouch: In der bittersüßen Liebesgeschichte verlieben sich ein verwitweter Rennfahrer und die Witwe eines Stuntmans ineinander. Schließlich wird ihr jedoch klar, daß sie noch nicht für eine neue Beziehung bereit ist. An der Rolle des Rennfahrers dürfte Trintignant besonders viel Freude gehabt haben: Als junger Mann liebäugelte er nämlich selbst mit dem Beruf, mit dem auch sein Onkel Geld verdiente.
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Dank der Oscar-Meriten erregte der Mann aus Südfrankreich nun auch die Aufmerksamkeit eines großen internationalen Publikums. Auf Rollenangebote aus Hollywood reagierte der Sohn eines wohlhabenden Industriellen allerdings reserviert. Für den packenden Verschwörungskrimi „Z – Anatomie eines politischen Mordes“ (1969), ebenfalls mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet, erhielt der im Raum Nîmes aufgewachsene Mime in Cannes den Preis für den besten Darsteller.
Tochter Marie starb bereits 2003
Nicht unterwähnt darf überdies der gemeinsame Auftritt mit Romy Schneider in „Das wilde Schaf“ (1974) bleiben. Trintignant verkörperte darin einen eigentlich eher schüchternen Mann, der zum Schwerenöter mutiert, indem er plötzlich anfängt, wahllos Frauen anzusprechen – ein satirischer Beitrag zur Ära der vermeintlichen sexuellen Befreiung. Einen schönen Eindruck von der enormen schauspielerischen Präsenz des gereiften Charakterdarstellers vermittelt überdies der Spielfilm „Drei Farben: Rot“ aus dem Jahr 1994. Der meisterhaft konstruierte Abschluß der „Drei Farben“-Trilogie von Krzysztof Kieślowski zu den Farben der französischen Trikolore. Trintignant spielte einen allein lebenden pensionierten Richter, der heimlich die Telefongespräche seiner Nachbarn abhört und durch eine lebensfrohe Studentin aus seiner Lethargie gerissen wird.
Dreimal heiratete Jean-Louis Trintignant. Die Mutter seiner drei Kinder ist Ehefrau Nummer zwei: die Regisseurin Nadine Trintignant. Tochter Marie trat in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters und wurde unter anderem durch „Betty“ (1992) von Claude Chabrol bekannt.
Letztlich überlebte Jean-Louis sein Kind um 19 Jahre. 2003 starb Marie bei Dreharbeiten in Wilna. Sie erlag Verletzungen, die ihr eifersüchtiger Lebensgefährte ihr zugefügt hatte. Es war das vielleicht größte Drama jenseits der Leinwand für den Grandseigneur des französischen Films.