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Kampf um Sprache: Mit der Gender-Ideologie zurück zu alten Privilegien?

Kampf um Sprache: Mit der Gender-Ideologie zurück zu alten Privilegien?

Kampf um Sprache: Mit der Gender-Ideologie zurück zu alten Privilegien?

Duden
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Kathrin Kunkel-Razum, Redaktionsleiterin des Duden Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm
Kampf um Sprache
 

Mit der Gender-Ideologie zurück zu alten Privilegien?

Die Front in der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache verläuft normalerweise zwischen Befürwortern und Gegnern von Wortverunstaltungen wie dem Genderstern. Die Schlacht fechten also jene Parteien aus, die über das Ob, Wann und die Modi gesellschaftlichen Wandels unterschiedliche Ansichten haben. Ein Kommentar von Josefine Hermann.
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Die Front in der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache verläuft normalerweise zwischen Befürwortern und Gegnern von Wortverunstaltungen wie dem Genderstern. Die Schlacht fechten also jene Parteien aus, die über das Ob, Wann und die Modi gesellschaftlichen Wandels unterschiedliche Ansichten haben.

Die nun bekannt gewordene Entscheidung der Dudenredaktion, in der Online-Ausgabe ihres Wörterbuches bei Berufs- und Personenbezeichnungen das generische Maskulinum abzuschaffen und die entsprechenden rund 12.000 Einträge jeweils in maskuliner und femininer Form zu verschlagworten, geht über die Frage der „weiblichen Sichtbarmachung“ hinaus.

Natürlich handelt es sich erst einmal nur um die redaktionelle Entscheidung eines Publikationsorgans. Sie ist formal also gleichzusetzen mit Entscheidungen von Zeitungen und Zeitschriften, deren Sprachgebrauch dem Leser – und laut Duden nun auch der Leserin – vermittelt, daß eine bestimmte Sprachverwendung gewählt wird, „hier gendern wir“ oder „wir verwenden hier alte Rechtschreibung“.

Was im Duden steht, gilt als richtig

De facto haben Entscheidungen des Dudenverlags aber normative Wirkung: Was im Duden steht, ist richtig. Würde eine Zeitung die Behauptung aufstellen, das generische Maskulinum, also ein Wort, das eine geschlechtsneutrale Bedeutung hat und sich auf Männer und Frauen gleichzeitig bezieht, existierte in dieser Form nicht, wäre das nur eine einzelne Entscheidung in der Sprachlandschaft.

Doch der Dudenverlag hat diese redaktionellen Freiheiten nicht oder nur sehr eingeschränkt. Bis 1996 regelte das „Duden-Privileg“ die normgebende Funktion der orthographischen Bestimmungen, was den Duden von anderen Wörterbüchern wie den Wahrig unterschied. Schließlich kommt die Phrase „Ich schlag das mal im Duden nach“ nicht von ungefähr.

Wenn die Dudenredaktion die generische Kategorie auflöst, ist sie weg. Sätze wie „Die Schule hat 900 Schüler“ können künftig eine andere, weniger eindeutige Bedeutung haben als bisher. Denn der Satz gibt zwar keine Auskunft über das Geschlecht, aber informiert zuverlässig über die Anzahl der Schüler, was die relevante Information ist.

Der Duden setzt die Grammatik außer Kraft

Der Satz „Die Schule hat 900 Schülerinnen und Schüler“ gibt Auskunft darüber, daß Mädchen und Jungen beschult werden, läßt aber unklar, ob insgesamt 900 oder 1.800 Kinder die Schule besuchen. Die Entscheidung des Duden macht die deutsche Sprache ungenauer und komplizierter.

Der Wegfall der grammatischen Kategorie hat Folgen, die den gesellschaftlichen Rahmen der Diskussion verlassen. Zum einen bedeutet es eine Gewichtung und Priorisierung der sprachlichen Elemente – die Bedeutung wird über die Grammatik gesetzt. Grammatisch ist die Behauptung, ein Schüler sei ein „Junge, Jugendlicher, der eine Schule besucht“, wie es künftig im Online-Duden heißt, schlicht falsch. Die redaktionelle Entscheidung eines Wörterbuchs greift selbstverständlich nicht tatsächlich in die Grammatik der Sprache ein.

Die Duden-Redaktion setzt Grammatik außer Kraft, weil sie Bedeutungsgeschichte, politische Agenda und Sprachwandel dominant setzt, was im Grunde der immer wieder behaupteten deskriptiven Funktion zuwiderläuft. Eine Änderung der Grammatik ist aber anders als die Änderung der Rechtschreibung keine einfache Regeländerung, sondern eine Aussage über das Funktionssystem der Sprache selbst. Darum ergeben sich noch weitere Fragen.

Neue De-facto-Sprachregelung

Wenn es das generische Maskulinum nicht gibt, heißt das, es existiert erst seit heute nicht mehr? Gestern gab der Beispielsatz noch Auskunft über die Zahl der beschulten Kinder, heute nur noch über die Zahl der beschulten Jungs? Wenn ja, wieso ist das Ziel der „weiblichen Sichtbarmachung“ ausreichende Legitimation für Änderungen, die diesen Themenbereich klar überschreiten? Wenn nein, hieße das, wenn beispielsweise 1830 eine Zeitung ihre Leser zu einem Abonnementabschluß aufrief, daß sie – ohne es zu wissen – auch grammatisch nur männliche Leser angesprochen hat?

Fraglich ist auch, ob der gendersensible Ansatz in diesem Fall ein inklusiver ist und den Ottonormalnachschlager miteinbezieht. Oder ob die sprachliche Sichtbarmachung von Frauen nicht nur einen mittelständischen akademischen Diskurs abbildet und den Benutzer durch die Diskrepanz zwischen der neuen De-facto-Sprachregelung und seinem Sprachgefühl und dem alltäglichen Sprachgebrauch im Regen stehen läßt.

Befürworter könnten einwenden, irgendwo müsse der schlagende Wandel einsetzen. Ja, aber vielleicht nicht unbedingt im deskriptiven Duden. Aber vielleicht will sich die Redaktion ihre alten Privilegien durch die Gender-Hintertür wieder zurückholen.

Kathrin Kunkel-Razum, Redaktionsleiterin des Duden Foto: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm
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