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Dantes Jenseitsreise zu Ostern: Durch die Hölle ins Paradies

Dantes Jenseitsreise zu Ostern: Durch die Hölle ins Paradies

Dantes Jenseitsreise zu Ostern: Durch die Hölle ins Paradies

Dantes göttliche Komödie
Dantes göttliche Komödie
Charon, der Fährmann des Styx, trägt Dante und Virgil in die Unterwelt (Gustave Dore, Illustration zu Dantes Divina Commedia) Foto: picture alliance, Mary Evans Picture Library
Dantes Jenseitsreise zu Ostern
 

Durch die Hölle ins Paradies

Schuld, Sühne und Erlösung: Die „Göttliche Komödie“ des florentinischen Dichters Dante Alighieri, der vor 700 Jahren gestorben ist, zählt zu den ganz großen Meisterwerken der Weltliteratur. In seiner Jenseitsreise zu Ostern geht es um menschliche Selbstvervollkommnung, nicht um Selbstermächtigung.
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Präzise Zeitangaben bilden den Rahmen einer abenteuerlich phantastischen Wanderung durch Hölle, Fegefeuer und Paradies: die siebentägige Osterreise beginnt am Gründonnerstag, dem 7. April 1300. Kein allwissender Erzähler berichtet, sondern der Wanderer selbst nach seiner Rückkehr auf die Erde. Vor unseren Augen und Ohren entfaltet er ein grandioses Panorama höllischer Monster und Engelshierarchien, Verbrecher und Seligen: Dantes „Göttliche Komödie“.

Nach wie vor ein Klassiker der europäischen Literatur? Der Dichter Dante Alighieri (1265–1321) erscheint uns heute, siebenhundert Jahre nach seinem Tod, immer rätselhafter. Als junger Mann nimmt er leidenschaftlichen Anteil an den unversöhnlichen Machtkämpfen zwischen Papst und Kaiser sowie den rachsüchtigen Parteienkämpfen seiner Heimatstadt Florenz und wird dort 1302 verbannt und in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Als gestürzter Politiker und lebenslang Verbannter, der Florenz nie wiedersieht, zieht er, angewiesen auf fremde Gastfreundschaft, unstet und mittellos durch Italien und verfaßt unter widrigsten Umständen ein gewaltiges dichterisches Werk – allein schon mit über 14.000 Versen umfangreicher als Goethes gesamte Faustdichtung, mit exakt streng parallel aufgebauten, von Zahlensymbolik durchzogenen 100 Gesängen, 34 Gesängen für die Hölle, jeweils 33 für Purgatorium und Paradies. Schon bald nach Dantes Tod werden Bewunderer das von ihm lediglich comedia (Schauspiel) betitelte Werk mit dem Zusatz divina (göttlich) ehren.

Höchst unterschiedliche Strafen für die Sünder

Der Leser des 21. Jahrhunderts wird auf dergleichen Zuschreibungen mit mißtrauischem Vorbehalt reagieren, nicht zuletzt abgeschreckt durch eine scheinbar unübersehbare Fülle von Akteuren, Namen, Zitaten und Anspielungen, astronomischen Berechnungen, zeitgebundenen wissenschaftlichen Theorien, philosophisch-theologischen Spekulationen.

Läßt er sich aber erst einmal von den verführerisch-kunstvollen Terzinen gefangennehmen, wird er gebannt dem Dichter auf einer spektakulären Wanderung folgen: hinab in düsterste menschliche Abgründe und – nach mühsamer Überwindung des tiefsten Erdmittelpunkts – zum überwältigenden Anblick vollkommener Helligkeit und Heiligkeit.

In mittelalterlicher Gewandung wird ein Menschenbild sichtbar, dessen Spannungsbogen und psychische Dimensionen dem heutigen Leser vielleicht weniger fremd erscheinen als Dantes Zeitgenossen. Anschaulich wird dies bereits in der Hölle. Bei aller zeitbedingten Befangenheit in kirchlichen oder weltlichen Normen bricht der Dichter gerade hier höchst eigenwillig mit manchen Vorstellungen seiner Zeit: Im Jüngsten Gericht, so verkünden es damals die Fresken und Kirchenportale, werden alle Verdammten unterschiedslos und ungeachtet ihres sozialen Rangs, Päpste und gekrönte Häupter ebenso wie der erbärmlichste Bettler, in dasselbe Höllenfeuer hinabgeworfen.

In Dantes Hölle dagegen erleiden die Sünder, abhängig von ihren Vergehen, in abgestuften Höllenkreisen höchst unterschiedliche Strafen. Die Strafe wiederholt spiegelbildlich das jeweilige Vergehen. In der ewigen Qual der Strafe kreist das Bewußtsein ewig quälend um die eigene Schuld. Die Hölle „sind nicht die anderen“, wie es bei späteren Existentialisten heißen wird; die Hölle ist für Dante „jeder Mensch sich selbst“.

Wer im Leben sein Fähnchen nach jedem Wind hängte, rennt hier wahllos und besinnungslos einer ziellos flatternden Fahne hinterher. Und während frevelhaft Liebende sich unter unendlichen Tränenströmen unzertrennlich in ewigem Feuer wiegen dürfen, suchen die in ewigem Eis erstarrten Verräter vergeblich die gefrierenden Tränen von den eisgepanzerten Augen zu wischen.

Der Spannungsbogen gilt auch für den Dichter selbst

In Dantes Reaktion auf die verschiedenen Sünder spiegeln sich einerseits zeitlose ethische Normen. Mördern, Dieben und Verrätern gegenüber können ihn Zorn und Abscheu bis zu brutalen Handgreiflichkeiten hinreißen. Meist aber begegnet er den leidenden Schattenseelen mit taktvoller, diskreter Höflichkeit. Manche Sünder wie das unglückliche Liebespaar Paolo und Francesca oder der wahnsinnig gewordene Ugolino rühren ihn zu tiefer Anteilnahme und Mitleid, einzelne, großartige Büßer sogar zu zwiespältiger Bewunderung. Odysseus, der in tollkühnem Wagemut und ruhelosem Wissensdurst über die Grenzen der Menschenwelt hinaus aufs offene Meer drängt, wirkt wie ein Vorläufer kühner Entdecker und faustischen Erkenntnisstrebens.

Der inhaltliche Spannungsbogen über Schuld, Strafe, Buße und Erlösung prägt auch die sprachliche Gestaltung dieser Jenseitsreise. Neben zotigen Teufelsburlesken, bitteren Satiren und galligen Invektiven gegen Politik und Kirche stehen ekstatische Visionen, pointierte Lehrdialoge, tiefsinnige Überlegungen zur wechselseitigen Abhängigkeit von Ding und Wort, detaillierte Landschaftsskizzen – etwa des Gardasees – oder zarteste Naturlyrik wie die rhythmische und lautmalerische Wiedergabe eines Kranichzugs.

Dieser Spannungsbogen gilt auch für den Dichter selbst. Zu Beginn der „Divina Commedia“ sieht sich der Wanderer Dante verirrt in einer scheinbar ausweglosen Wildnis; er hat den „rechten Weg“ verloren (mit Vermutungen über hier angedeutete Verstrickungen und sinnliche Verirrungen zerbrechen sich Gelehrte nach wie vor die Köpfe). Den rettenden Ausweg findet der Wanderer nicht aus eigener Kraft.

Dante
Beatrice führt Dante in den Fünften Himmel. (Stich aus dem 19. Jahrhundert von Willem de Pannemaker nach Gustave Dore zu La Divina Commedia) Foto: picture alliance, Mary Evans Picture Library

Hinab durch die Hölle und auf den Läuterungsberg hinauf führt ihn der verehrte heidnische Dichter Vergil, ins Paradies Beatrice, die frühverstorbene, idealisierte Jugendliebe. Vorbild und Liebe als prägende, zeitüberdauernde, elementare Lebenskräfte leiten auf dem Weg zu Welt- und Selbsterfahrung im Zeichen der ungewöhnlichen Frage, wie sich ein Mensch „verewigen“ könne (come l’uom s’eterna). Ein Ausdruck „Danteschen Hochmuts“, wie der wiederholte Vorwurf lautet?

In der „Divina Commedia“ geht es um menschliche Selbstvervollkommnung, nicht um Selbstermächtigung: Wie erkennt, wie findet und wie erfüllt ein Mensch durch sein Wirken (und fortdauernde Wirkung!) den ihm zugemessenen Platz? Wie leicht diese schwere Aufgabe verfehlt werden kann, zeigt Dante im Bild der Verdammten, die sich in ihren eigenen Qualen „verewigen“, und im Bild der eigenen Wanderung zu Lebzeiten durch die tiefste Hölle, von Karfreitag bis Ostersamstag.

Dante gibt der italienischen Sprache ihre heutige Form

Am frühen Morgen des Ostersonntags erreicht er das Purgatorium – noch nicht das Paradies. Unmittelbar anschaulich deutet der Dichter hier auf ein schwieriges theologisches Problem: Das Fest der Auferstehung des todüberwindenden Gottes bedeutet für den sterblichen Menschen lediglich eine Hoffnung, eine zukünftige Verheißung. Erst nach weiteren drei Tagen wird der Wanderer Dante das Paradies erreichen. Dann endet auch die Zeitrechnung: oberhalb der Sonne gibt es weder Nacht noch Tag.

Mit seiner „Divina Commedia“ gibt Dante der italienischen Sprache ihre bis heute gültige Form. Bei leidlichen Sprachkenntnissen wird das Original heutigen Lesern keine größeren Verständnisschwierigkeiten bereiten, gegebenenfalls hilft die parallele Nutzung einer Übersetzung.

Möglicherweise kann diese in unseren Tagen aber auch hinderlich wirken. Die ambitionierten Übersetzungsbemühungen eines Borchardt, Landmann oder George suchen im Rhythmus und im Reimsystem Dantes Terzinen, in manchmal verbogener Worttreue Dantes Sprachduktus und seine streng komprimierten Bilder und Begriffe abzubilden oder gar in eigenen Neuschöpfungen nachzubilden. Damit überfordern sie nicht selten die syntaktischen und semantischen Eigentümlichkeiten der deutschen Sprache und das Verständnis heutiger Leser.

Auch im 700. Todesjahr Dantes fehlt eine moderne Übersetzung der „Göttlichen Komödie“, die sich sowohl an den Möglichkeiten der deutschen Sprache und dem heutigen Sprachgefühl als auch an dem strengen Anspruch des Originals und dessen zeitloser Klassizität orientiert.

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Dr. Traute Petersen war von 1989 bis 1993 Vorsitzende des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands und arbeitete im schleswig-holsteinischen Hochschul- und Schuldienst. Sie veröffentlicht zu historischen, bildungspolitischen und kunstgeschichtlichen Themen.

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Charon, der Fährmann des Styx, trägt Dante und Virgil in die Unterwelt (Gustave Dore, Illustration zu Dantes Divina Commedia) Foto: picture alliance, Mary Evans Picture Library
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