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Ennio Morricone: Magier der Melodien

Ennio Morricone: Magier der Melodien

Ennio Morricone: Magier der Melodien

Ennio Morricone 1928-2020 Foto: picture alliance / Photoshot
Ennio Morricone
 

Magier der Melodien

Auch wer in seinem ganzen Leben keinen Film gesehen hat, geschweige denn einen Italo-Western, dürfte es kaum geschafft haben, der elektrisierenden Musik von Ennio Morricone zu entgehen. Doch das musikalische Genie schuf darüber hinaus auch jenseits des Films Kompositionen von zeitloser Schönheit. Ein Nachruf von Dietmar Mehrens.
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Auch wer in seinem ganzen Leben keinen Film gesehen hat, geschweige denn einen Italo-Western, dürfte es kaum geschafft haben, der elektrisierenden Musik von Ennio Morricone zu entgehen. Denn in der vorgestrigen Zeit der drei Fernsehprogramme drang das schaurige Mundharmonika-Motiv aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ auch ungebeten in deutsche Wohnzimmer vor. Ein Fischernetz wurde auf die Bildschirme des Vorabendprogramms von ARD und ZDF gehoben mit einem dicken Haufen Hawesta-Fischkonserven darin. Jahrelang begleiteten die von Morricone ersonnenen Klänge den Werbespot der Lübecker Fisch- und Feinkostfirma und senkten sich so in das kollektive Gedächtnis der Deutschen. Die wenigsten werden damals etwas mit den Namen Ennio Morricone oder Sergio Leone anzufangen gewußt haben.

Die beiden Schulkameraden verband eine nahezu symbiotische Kreativen-Kameradschaft. Der Komponist und der Regisseur verstärkten bei der Umsetzung eines Filmprojekts wechselseitig ihre immensen kreativen Anlagen. Das Ergebnis war jedes Mal überwältigend: Man kann sich die sagenhaften Italo-Western „Für eine Handvoll Dollar“(1964), „Für ein paar Dollar mehr“ (1965), „Zwei glorreiche Halunken“ (1966) mit Clint Eastwood und insbesondere „Spiel mir das Lied vom Tod“ („C’era una volta il West“, 1968), die monumentale Wildwestoper über Eisenbahnen, eiskalte Killer und eisiges Schweigen schlechterdings nicht vorstellen ohne die Filmmusik des 1928 in Rom geborenen Komponisten.

Perfekte Symbiose von Filmhandlung und -musik

Die vier Western, die sowohl Leones als auch Morricones Ruhm begründeten, gelten heute als Meilensteine der Filmgeschichte. Als Geheimrezept für das atemberaubend spannende Finale von „Spiel mir das Lied vom Tod“, in dem sich Henry Fonda und Charles Bronson unversöhnlich gegenüberstehen, gilt die raffinierte Montage, bei der die Filmbilder exakt auf die zuvor bereits fertige Filmmusik geschnitten wurden.

Auch die monumentalen Epen „1900“, Bernardo Bertoluccis Fünfstundenwerk von 1976, und „Es war einmal in Amerika“ (1984), Sergio Leones phänomenales Spätwerk über Gangsterbanden im amerikanischen Großstadtdschungel, waren geprägt von den innovativen Melodien des Meisters. Daß vielen Filmen, zu denen Morricone die Musik beisteuerte, etwas Opernhaftes anhaftet, kommt nicht von ungefähr: Morricones Lehrmeister war der Opern- und Konzertkomponist Goffredo Petrassi. Nach dem Studium an der Accademia di Santa Cecilia in Rom (Trompete und Komposition) arbeitete der musikalisch Hochbegabte als Komponist und Arrangeur für Hörfunk und Fernsehen, kam schließlich zum Film.

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Nicht nur sein Freund Leone, auch dessen fast ebenso berühmter Kollege Sergio Corbucci griff für seine Western gern auf Morricone-Kompositionen zurück. Corbuccis bekanntester Film „Leichen pflastern seinen Weg“ („Il grande silenzio“, 1968) ist ein weiteres Beispiel für die perfekte Symbiose von Filmhandlung und -musik, das Markenzeichen vieler Filme, für die der Tonmagier komponierte. Als in den siebziger Jahren Spaghetti-Western-Parodien in Mode kamen, ging er die Welle mit und stellte Filmen wie „Mein Name ist Nobody“ (1973) und „Nobody ist der Größte“ (1975) mit Terence Hill seine kompositorischen Fähigkeiten zur Verfügung.

Später war es Giuseppe Tornatore, der den 1989 verstorbenen Leone beerbte und für seinen im selben Jahr mit dem Oscar ausgezeichneten Nostalgie-Trip „Cinema Paradiso“ sowie später für „Die Legende vom Ozeanpianisten“ (1998) und „Der Zauber von Malèna“ (2000) auf das Talent von Morricone zurückgriff.

Alle drei Filme zeigen eine ganz andere Seite der Italo-Western-Ikone: Statt aggressiver Töne, die wie Peitschenhiebe auf den Zuschauer niederknallen, verbreitet die Musik hier, passend zu Tornatores eher im Genre des Melodrams angesiedelten Filmen, eine nostalgisch-wehmütige Atmosphäre. Roland Joffés Legende eines Buße tuenden Sklavenjägers „Mission“ (1986), Brian De Palmas Al-Capone-Erzählung „The Untouchables“ (1987), beide mit Robert De Niro höchst prominent besetzt, sowie das Vietnamkriegsdrama „Die Verdammten des Krieges“ (1989), ebenfalls von Regisseur Brian De Palma, und die langlebige italienische TV-Serie „Allein gegen die Mafia“ sind weitere Werke, die aus Morricones Filmographie herausragen. Das musikalische Genie schuf darüber hinaus auch jenseits des Films Kompositionen von zeitloser Schönheit.

Ehren-Oscar für das Lebenswerk

Es sind mitunter ausgerechnet die ganz Großen des Films, die ganz lange auf die größte Ehrung warten müssen. Alfred Hitchcock beispielsweise wurde nie für einen seiner Filme mit einem Oscar geehrt. Ohne den Gewalt-Ästheten Quentin Tarantino, der mit „Django Unchained“ (2012) und „The Hateful 8“ (2015) den Italo-Western mit genretranszendierendem Huldigungscharakter wieder aufleben ließ, wäre es vielleicht nie dazu gekommen, daß ein einziger Film für Morricones Beitrag mit der begehrten Hollywood-Trophäe belohnt wird.

Für solche Fälle, in denen ein offenkundiges Genie des Films vom Schicksal vergessen worden ist, gibt es den Ehren-Oscar für das Lebenswerk, der Morricone 2007 verliehen wurde. Offenbar hatte zu diesem Zeitpunkt keiner mehr damit gerechnet, daß der Komponist noch einmal zu einem großen Schlag ausholen würde. Mit dem Oscar für die beste Originalfilmmusik – zu Tarantinos „The Hateful 8« – schloß sich 2016 für den damals bereits 87jährigen der Kreis seines Schaffens: Der Italo-Western hatte ihn groß gemacht und die Auszeichnung für eine Italo-Western-Hommage krönte nun sein Lebenswerk.

Ennio Morricone 1928-2020 Foto: picture alliance / Photoshot
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