Dem Rechten oder Konservativen bleibt zur Zeit nicht viel mehr, als die abschmelzenden Bestände zu prüfen. In der vorliegenden Sondernummer der Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebenen Zeitschrift Sezession hat Chefredakteur Götz Kubitschek eine lange Liste mit rechten Projekten der letzten 40 Jahre erstellt: Parteigründungen, Manifeste, öffentliche Appelle, Zeitschriften. Es ist eine Auflistung zerstobener Hoffnungen, Niederlagen und Illusionen. Geblieben sind eben die Sezession, das Institut für Staatspolitik und die JUNGE FREIHEIT.
Andererseits hat sich das meiste, was Rechte über Zuwanderung, Euro, Globalisierung, über Demographie, Bildungsfragen, innere Sicherheit usw. formuliert haben, bewahrheitet. Es gibt also einen Widerspruch zwischen ihrem Realismus und ihrer praktischen Machtlosigkeit, der permanent nach Aufhebung ruft und sich neuen Ausdruck verschafft.
Aktuell macht die „Identitäre Bewegung“ von sich reden, in der junge Menschen sich gegen die Entfremdung ihrer Lebenswelt durch den Multikulturalismus als Ideologie und Praxis wenden. Zu seinen Axiomen gehört, daß die kollektive Identität lediglich ein „Konstrukt“ sei. Unterdessen bleiben die Neuankömmlinge aus ferneren Kulturen von solchen Diskussionen unbeeindruckt, sie leben ihre mitgebrachte Identität aus und setzen längst die autochthone Mehrheitsgesellschaft unter Druck, sich ihnen anzupassen.
Adaption linker Protestkultur
Dagegen wehren sich die Identitären, indem sie die linke Protestkultur zu adaptieren suchen. Sie sind gewissermaßen das Gegenstück zur totgelaufenen Occupy-Bewegung, die sich von Anfang an neutralisiert hat, weil sie sich in einem pathetischen Internationalismus und affektiven Antikapitalismus erschöpfte, anstatt die Zerlegung des globalisierten Finanzimperialismus in kleinteilige, kontrollierbare Einheiten zu fordern.
Das zweite neue Projekt, an das sich Erwartungen knüpfen, ist die Alternative für Deutschland (AfD), die sich die Zuschreibung „rechts“ zwar energisch verbittet, in der Frage der europäischen Gemeinschaftswährung aber einen alternativen Standpunkt einnimmt und sich außerhalb des politischen und ideologischen Konsenses der Bundesrepublik stellt.
Die Sezession prüft nun: Bewegt sich tatsächlich etwas in Deutschland? Und was ist überhaupt noch möglich?
Die Identitären sind in Wirklichkeit „Virtuelle“. In der Realität sind sie kaum auffindbar, und sogar im Netz rauschen sie aneinander vorbei. Das steht im Kontrast zu dem Anspruch, das Bestehende nicht nur zu reformieren, sondern zu revolutionieren. Ihre Angst, als reale Personen tatsächlich identifiziert zu werden, ist durch das Damoklesschwert der sozialen Vernichtung klar begründet, allerdings entsteht daraus kein revolutionäres Potential. Deutschland ist also auf Inspiration von außen angewiesen.
Vom Ausland lernen
In Frankreich und Italien, sogar in Österreich ist die Lage besser. Kubitschek hat sich kürzlich in Rom in der Casa Pound umgesehen, einem alternativen Wohn- und Kulturprojekt und Zentrum der Identitären in Italien. Er stellt drei wesentliche Unterschiede zur Situation in Deutschland heraus: Erstens hat Italien ein rationales Verhältnis auch zum Faschismus, so daß die Verteufelung der Rechten hier nicht greift.
Zweitens korrespondiert der alternative Lebensentwurf der italienischen Identitären mit ihrer sozialen Notlage. Die Krise trifft Italien ungleich schwerer als Deutschland, eine Wohnung zu mieten ist für viele junge Leute unerschwinglich. Für ihre Bewohner ist die Casa Pound daher mehr als eine Spielwiese. Drittens sind die Identitären im urbanen Raum verwurzelt, es gibt in Rom eine ganze Subkultur.
In Deutschland bleibt die Rechte vorerst auf die Metapolitik verwiesen. Das ist die Quintessenz des Beitrags von Karlheinz Weißmann. Der Massenwohlstand dämpft die sozialen Konflikte. Ihre anschwellende politische Brisanz wird nicht wahrgenommen, sie gewinnen keine politische Intensität. Es gibt für den einzelnen noch immer genügend Möglichkeiten, ihnen und der Notwendigkeit auszuweichen, das individuelle mit dem kollektiven Schicksal zu verknüpfen, politisch zu werden. Doch wer auf den politischen Subjektcharakter verzichtet, degeneriert auf längere Sicht zum Objekt.
Formen von Identität
Was heißt überhaupt: Identität? Martin Lichtmesz zitiert Hans-Dietrich Sander, der drei Formen der Identität des Menschen festgestellt hat: „Die persönliche Identität trifft ihn als den einzelnen, das Individuum, das es sonst so nicht gibt; die politische Identität umgreift seine Zugehörigkeit zu einem Volk, in dem er andere als seinesgleichen findet – im Unterschied zu den anderen ihresgleichen fremder Völker; die kreatürliche Identität nimmt ihn als Lebewesen Mensch an, als Geschöpf biblisch, als Geworfenen modern wie bei Heidegger und Sartre.“
Ähnlich äußert sich Alain de Benoist, der sie darüber hinaus als dialektische Einheit aus Kontinuität und Veränderung beschreibt. Man wird also auch die nationale Identität nicht mehr im Sinne des 19. Jahrhunderts deuten können. Sie im europäischen Kontext neu zu definieren, ohne in einen Europa-Illusionismus zu verfallen, ist eine genuine Aufgabe für rechte Intellektuelle!
Partei des gesunden Menschenverstands
Was ist von der AfD zu halten? Für Nils Wegner ist sie die Partei des Pragmatismus. Sie „will nicht in die klassischen ‘Rechts’- und ‘Populismus’-Fallen gehen. Sie will sich nicht der politischen Gesäßgeographie beugen, sondern eine Partei des gesunden Menschenverstands sein und den Unzufriedenen aller Lager eine gemeinsame Stimme geben.“
Das ist erst einmal angemessen und taktisch klug, wird auf Dauer aber nicht genügen. Manfred Kleine-Hartlage konstatiert in Deutschland eine Staats-, Volkskrise, Kultur- und ideologische Krise und entwirft ein „Minimalprogramm“: Die Masseneinwanderung muß beendet, Kriminelle müssen ausgewiesen werden. Nötig sind eine aktive Bevölkerungspolitik und die Wiederherstellung der Gesetzgebungs- und Währungshoheit des Staates. Gesetze müsse für alle gelten, die Bildung muß sich wieder am Leistungsprinzip orientieren und die Finanzierung der universitären Ideologieproduktion eingestellt werden.
Das Heft enthält zudem einen Beitrag von Felix Menzel über „Politik und Staatstechnik“ und Interviews mit Dieter Stein und dem Staatsrechtler Karl Albert Schachtschneider, der dem Bürger ein Widerstandsrecht gegen das Oligarchen-Projekt des europäischen Superstaates zubilligt.
Fazit: Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen. Der Situation und den Möglichkeiten entsprechend, bietet das Heft viel Meta- und einiges an praktischer Politik. Es ist eine nüchterne Lagebestimmung. Es gibt zur Zeit keine bessere.