Das Unerwartete ist eingetreten. In Frankfurt an der Oder hat sich das städtische Gymnasium vom Namen Karl Liebknecht getrennt. Die Schulkonferenz hat sich trotz des Drucks der Linkspartei mit knapp 70 Prozent für eine Umbenennung entschieden. Das Gremium, zu dem jeweils fünf gewählte Lehrer, Elternvertreter und Schüler sowie der Schulleiter Torsten Kleefeld gehören, votierte mit 11 zu 5 dagegen, daß die Schule weiterhin den Namen des kommunistischen Spartakus-Führers trägt.
Seit Beginn dieses Schuljahres hatte es an dem Gymnasium eine lebhafte Debatte über die Benennung gegeben. Ehemalige Schüler nahmen Anstoß an Karl Liebknecht, weil dieser mit Waffengewalt gegen die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, geputscht hatte.
Freie Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung hatte Liebknecht mit Hilfe des von ihm und Rosa Luxemburg angezettelten Bürgerkriegs verhindern wollen, weil die „sozialistische Republik“, die er bereits erfolglos vom Berliner Stadtschloß proklamiert hatte, dabei keine Chance gehabt hätte. Im Laufe der vergangenen Monate schlossen sich immer mehr Schüler, Lehrer und Eltern der Auffassung an, daß ein militanter Antidemokrat kein Vorbild für eine Schule sein könne, die zur Demokratie erziehen wolle.
Sozialisten noch immer mächtigste Kraft
Die Linkspartei, deren Parteizentrale in Berlin den Namen Liebknechts trägt, versuchte bis zuletzt zu verhindern, daß der Arbeiterführer vom Sockel gestoßen wird. Ende vergangenen Jahres beschloß die Linke auf ihrem Kreisparteitag in Frankfurt, sich dafür einzusetzen, daß das Gymnasium der Stadt seinen Namen behält. Schließlich hatte die SED einst auch dafür gesorgt, daß die Schule fortan an den Revolutionär erinnerte. Deren Nachfolger sind immer noch eine mächtige Kraft in Brandenburg. In der Stadtverordnetenversammlung stellen sie die stärkste Fraktion. Diese hat mehr Mitglieder als die von SPD und CDU zusammen. Insofern war die deutliche Entscheidung der Schulkonferenz überraschend.
Hinzu kommt, daß es, unabhängig von der nach wie vor mächtigen alten Staatspartei, immer noch einem Tabu gleicht, an Sozialisten wie Liebknecht und seiner Mitkämpferin Rosa Luxemburg Kritik zu üben. Schließlich sind diese 1919 von rechten Freikorps-Soldaten ermordet worden. Diese Bluttat wird oft nachträglich zum Verdienst der Getöteten umgedeutet. Dabei gerät in Vergessenheit, daß das Wirken zu Lebzeiten entscheidend für eine Ehrung sein sollte. „Eine Ermordung durch die Nationalsozialisten reicht nicht aus, um jemanden direkt in den Heldenstand zu erheben“, hatte der Historiker Klaus Schroeder vom Forschungsverband SED-Staat mit Bezug auf Straßen, die nach Kommunisten benannt sind, gesagt.
Ein transparenter und demokratischer Entscheidungsprozeß
Der Prozeß zur Umbenennung des Gymnasiums war äußerst transparent und demokratisch. Schon im April vergangenen Jahres hatte sich die Schulkonferenz dazu entschlossen, mit Beginn des Schuljahres 2011/12 „unter allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft erneut die Positionierung zum Namen ‘Karl Liebknecht’ herauszufinden“, hieß es auf der Internetseite der Schule. So wurden sämtliche Lehrer und Schüler befragt, später sogar Außenstehende um ihre Argumente gebeten. Zur Meinungsbildung trug auch der Artikel der JUNGEN FREIHEIT bei, mit dem erstmals außerhalb der Oderstadt über die Diskussion an der Schule berichtet wurde. Der Zeitungsausschnitt hing am Schwarzen Brett und wurde von einer Elternvertreterin allen Schulkonferenzmitgliedern zur Kenntnis gegeben.
Das Meinungsbild war letztlich auf allen Ebenen eindeutig. Karl Liebknecht als Namensgeber war nicht mehr haltbar. Am Dienstag dieser Woche sollte Schulleiter Torsten Kleefeld das Abstimmungsergebnis dem Bildungsausschuß der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vorstellen. In dem 21-Personen-Gremium sitzen acht Mitglieder der Linken und vier der SPD. Ob diese das deutliche Resultat akzeptierten, war noch unklar. Künftig soll die Schule den Namen „Gymnasium I Frankfurt(O) – Europaschule“ tragen.
JF 15/12