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Evangelische Kirche: Bekenntnisse mit Beigeschmack

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Evangelische Kirche
 

Bekenntnisse mit Beigeschmack

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat eine neue Stellungnahme veröffentlicht, und niemand interessiert sich. Nicht zuletzt liegt das an ihrer Vorhersagbarkeit: politisch korrekt, mit deutlichem Linksdrall, ohne Wirklichkeitsbezug. Das hat theologische Gründe. Eine Betrachtung von Karlheinz Weißmann.
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Der Pharisäer und der Zöllner (Gemälde von James Tissot): Woher kommt die Anmaßung, für das deutsche Volk zu sprechen? Foto: Wikimedia

Die EKD hat eine neue Stellungnahme veröffentlicht, und niemand interessiert sich. Das hat Gründe. Einer ist die sinkende Relevanz der Kirchen im allgemeinen und der evangelischen im besonderen, ein anderer die Vorhersagbarkeit all dessen, was der Gremienprotestantismus von sich gibt: politisch korrekt, mit deutlichem Linksdrall, ohne Wirklichkeitsbezug.

Wenn die Lektüre der Erklärung zum Rechtsextremismus aus Anlaß des „Tages der Befreiung“ (im Original ohne Anführungszeichen) trotzdem empfohlen wird, dann, weil selbst der versierte Leser stutzen dürfte, sobald er auf folgende Sätze stößt: „Gleichzeitig mahnen wir einzusehen, daß die Schuld der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft nicht wegerklärt oder verharmlost werden darf. Wir bitten darum, daß Gott uns immer neu unsere Schuld erkennen läßt und neue Anfänge schenkt.“

Nachdem man zuvor über die Gefahren des Rechtsextremismus und die Segnungen der Multikulturalität aufgeklärt wurde und es offenbar um das Hier und Jetzt ging, wird plötzlich ein Zusammenhang mit der Vergangenheit hergestellt, und das schuldige „Wir“, von dem die Rede ist, umfaßt offenbar nicht nur die EKD-Ratsmitglieder oder die Evangelischen insgesamt, sondern das deutsche Volk. Zwingend ist diese Deutung natürlich nicht, dazu bleibt die Formulierung zu schwammig, aber wahrscheinlich würde von seiten der EKD auch kein Widerspruch erhoben.

Der „Bund von Nation und Altar“ wird zur Kollektivschuld

Der Grund dafür liegt in der Selbstverständlichkeit, mit der die Kirchenleitung nach wie vor das Recht reklamiert, im Namen aller Deutschen aufzutreten. Ein Vorgehen, das nur zu erklären ist als Spätfolge der Theologie des „Bundes von Nation und Altar“, die im 19. Jahrhundert entstand und das Ende der Monarchie, die Zeit der Weimarer Republik, das NS-Regime und die Teilung mehr oder weniger unbeschadet überstand.

Die Annahme einer Sonderbeziehung von Volk und Kirche erinnert nicht zufällig an die alttestamentliche Überlieferung von Israel, das als Kollektiv in einem Bundesverhältnis zu Gott stand und als Kollektiv für seinen Gehorsam belohnt und für seinen Ungehorsam bestraft wurde. Zugespitzt konnte man im nationalen Protestantismus sogar von einem eigenen „Volksnomos“ (Wilhelm Stapel) reden, der die Deutschen an die Stelle der Juden in das Verhältnis der Auserwähltheit rückte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schienen solche Spekulationen tabu, überlebten aber in kaschierter Form. Um das Gemeinte deutlich zu illustrieren, genügt ein Blick auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom 19. Oktober 1945, in dem die Repräsentanten der EKD zum ersten Mal öffentlich die Kollektivschuld der Deutschen behaupteten und stellvertretend Bußbereitschaft gelobten. Aber klar erkennbar wird die Tendenz erst mit dem Siegeszug des Linksprotestantismus seit den fünfziger Jahren, der die Politisierung der Kirche vorantrieb mit dem Argument, daß sie ein prophetisches Wächteramt gegenüber den Deutschen besitze und deren politisches – nicht etwa religiöses – Wohlverhalten zu kontrollieren habe.

Widerstand gegen die Schuldliturgie

In Kenntnis dieses Zusammenhangs bietet die aktuelle Verlautbarung der EKD wenig Überraschendes. Die in dem zitierten Text gebrauchten Formeln lassen sich unschwer gegen frühere austauschen, etwa in der Erklärung zur Gefahr eines neuen Antisemitismus der EKD-Synode vom 13. März 1963, in der es hieß: „Auch der Bürger, der an den Verbrechen nicht beteiligt war, ja nichts von ihnen wußte, ist mitschuldig geworden“, oder in der „Ostdenkschrift“ von 1966, die die Vertreibung damit rechtfertigte, daß dieses „Unglück“ durch „das deutsche Volk schuldhaft“ verursacht wurde, das lernen müsse, sich als „einzige große Schuld- und Haftungsgemeinschaft“ zu begreifen, die jeden eigenen Rechtstitel aufzugeben habe.

Derartige Behauptungen sind in endloser Folge aneinanderzureihen und finden sich auch in offiziellen Stellungnahmen der Kirchenleitungen zum Kriegsende, zum Volkstrauertag, zum Wehrdienst oder zur Wiedervereinigung, nicht zu reden von allen möglichen Predigttexten, „Politischen Nachtgebeten“ oder Programmen irgendwelcher Initiativen. Allerdings ist im Lauf der Zeit die theologische Qualität immer weiter verfallen und hat man den Eindruck, als ob evangelischerseits gar nichts anderes mehr zu erwarten steht als das Plappern sinnfreier Formeln, sobald es um die deutsche Geschichte geht.

Dabei gab es in der Vergangenheit durchaus Widerspruch gegen diese Schuldliturgie. Das war schon unmittelbar nach der Stuttgarter Erklärung der Fall, als der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher den Verdacht äußerte, hier wolle eine Gruppe, die tatsächlich verantwortlich gemacht werden könne als Fürsprecherin eines enthemmten Nationalismus, zügig die Schuld auf alle umverteilen. Weiter kam es zu einer deutlichen Kurskorrektur in Teilen der evangelischen Kirchenführung angesichts der alliierten Besatzungsverbrechen, der Absurdität von Internierungs- und Entnazifizierungspraxis, und um die Ostdenkschrift tobte im Protestantismus ein so erbitterter Kampf, daß zeitweise eine Spaltung zu befürchten war.

Katholiken widersprechen der „ungerechten Beschuldigung“

Trotzdem bleibt festzuhalten, daß die deutlichsten Worte gegen die infame Behauptung deutscher Kollektivschuld aus dem Lager der anderen Konfession kamen. Schon am 1. Juli 1945, wenige Wochen nach Kriegsende, hielt der Bischof von Münster, Clemens Graf Galen – nebenbei gesagt ein Mann des Widerstands gegen den Nationalsozialismus – eine Predigt, in der er unmißverständlich festhielt:

„Wenn man heute es so darstellt, als ob das ganze deutsche Volk und jeder von uns sich schuldig gemacht habe durch die Greueltaten, die von Mitgliedern unseres Volkes im Kriege begangen sind, dann ist das ungerecht. Wenn man sagt, das ganze deutsche Volk und jeder von uns sei mitschuldig an den Verbrechen, die in fremden Ländern und im deutschen Land, die vor allem in den Konzentrationslagern begangen sind, so ist das gegen viele von uns eine unwahre und ungerechte Beschuldigung.“

Galen weiter: „Darum fort mit der unwahren Beschuldigung, die behauptet, alle Deutschen seien mitschuldig an den Schandtaten, die im Kriege geschehen sind, seien mitverantwortlich für die Greueltaten in den Konzentrationslagern. Fort mit solch unwahrer und ungerechter Untermauerung einer Haltung, die es zuläßt, daß der Rest unserer Habe aus den durch Bomben zerstörten Wohnungen weggeschleppt, daß Häuser und Höfe auf dem Lande von bewaffneten Räuberbanden geplündert und verwüstet, daß wehrlose Männer ermordet, daß Frauen und Mädchen von vertierten Wüstlingen vergewaltigt werden.“

Eine zur Schau getragene Zerknirschung

Galen folgte einem seelsorgerlichen Impuls und trat deshalb für unser Volk ein. Genau das vermißt man schmerzlich auf evangelischer Seite. Deren Schuldbekenntnisse sind nicht nur wohlfeil, sie haben immer einen Beigeschmack. Die zur Schau getragene Zerknirschung und das Bekenntnis können nicht täuschen: Hier geht es nicht um Vergebung, sondern um das Festschreiben von Versagen, nicht um Brüderlichkeit, sondern darum, eine Waffe gegen die zu haben, die man als „unbußfertig“ betrachtet, nicht um Gerechtigkeit, sondern um Selbstgerechtigkeit.

Insofern sei an das Gleichnis erinnert, das Jesus vom Pharisäer und vom Zöllner erzählt. Während der Pharisäer seine Frömmigkeit demonstrierte, stand der Zöllner zerknirscht in der Ecke des Tempels. Das eigentlich Entlarvende an der Handlungsweise des Pharisäers war aber, daß er auf den anderen wies und Gott dankte, nicht zu sein „wie jener da“.

> Die Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

JF 21/12

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