Wie oft sind sie geschritten auf den schmalen Pfaden des Glücks – wilde Abenteurer von Taschenspielern, Hochstaplern, politischen Agenten, Diplomaten und Abgesandten der Minengesellschaften zu den Diamantfeldern in Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia? Karten- und Würfelspiel waren ihr einziger Zeitvertreib, wenn nur Sand durch die Diamantsiebe rann.
So berichtet der Gesandte Wernher Freiherr von Ow-Wachendorf, selbst einmal auf der Suche nach dem großen Glück, am 5. April 1933 in einem Vortrag in Trier über seine Reisen quer durch Afrika am Anfang des 20. Jahrhunderts. Er verweist auf die krassen sozialen Gegensätze zwischen den Ureinwohnern und den europäischen Siedlern, lobt jedoch „die Kulturarbeit des weißen Mannes“. Im südlichen Kernland Rhodesien – dem nunmehr seit 1980 vom Diktator Robert Mugabe in Grund und Boden gewirtschafteten Simbabwe – erkennt er die britische Skrupellosigkeit bei der Eroberung der südafrikanischen Kolonien durch Cecil Rhodes, sieht aber im Geist seiner Zeit den Eroberer als Mann „von unglaublicher Kühnheit und von einem Schwung der Gedanken, die noch die Phantasie späterer Generationen beflügeln wird“.
In Katanga beobachtet er das Werden und Wachsen der größten Kupferindustrie der Welt, die den Belgiern und Engländern gehörte, und deren Schutz vor dem kongolesischen Volk Ende der 1950er Jahre zur Spaltung des Kongo und zur Ermordung des frei gewählten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba führte, der Kongo zu einer freien Nation machen wollte. Ow-Wachendorf trifft trotzt der Zwiespältigkeit seiner Betrachtung früh eine realistische Einschätzung der Kolonialpolitik: „Europäische Habsucht und die Rücksichtslosigkeit des modernen Kapitalismus haben ein großes Schuldkonto auflaufen lassen.“
Zu einer ganz anderen Wertung kommt in seinem Bericht über Sibirien an Reichskanzler Bernhard Graf von Bülow der Gesandte Alfons Mumm von Schwarzenstein. Für ihn ist das Land der unendlichen Wälder im Juni 1903 nicht der Inbegriff von Sklaverei und Gefangenschaft Tausender gequälter Menschen. Er reist von Berlin über Moskau 11.200 Kilometer recht abenteuerlich nach Peking. Bei mehreren Haltepunkten – die russischen Lokomotiven hatten Wasser und Holz für die Befeuerung der Dampfkessel aufzunehmen – macht er eine überraschende Beobachtung: Wer weiß schon, daß „Deutsche einen großen Teil der sibirischen Bevölkerung ausmachen“? Sie leben von der Viehwirtschaft, dem Ackerbau und der Jagd. Die deutschen Einwanderer kommen aus verarmten Regionen des Deutsches Reiches, aus dem Bayerischen Wald, dem Schwarzwald und aus Oberschlesien. Der Gesandte lobt den russischen Brückenbau auf Tausenden Kilometern Bahnstrecke. Nach siebzehneinhalbtägiger Fahrt in Peking angekommen, blickt er auf den „Himmelstempel, der sich hinter den grünenden Bergen erhebt.“ Kaiser Wilhelm II., der gelegentlich die Berichte seiner Diplomaten liest, schreibt darunter: „Sehr hübsch geschrieben.“
Im alten Deutschland konnte ein Adliger am ehesten Diplomat werden. Er mußte unter anderem ein juristisches Studium abschließen und verschiedene Sprachen beherrschen, dann war für ihn der Weg in die Ferne auf privilegiertem Posten frei. Geeignete Offiziere hatten es oft am leichtesten. Einer dieser Diplomaten ist Oberleutnant Georg Graf von Kanitz als Attaché in der Teheraner Gesandtschaft. Seit 1915 heißt sein Auftrag, militärische Informationen über England und Rußland zu sammeln, die seit 1907 den Süden und Norden Persiens (seit 1935 Iran) besetzt halten. Zur selben Zeit war Wilhelm Waßmuß, Oberstleutnant d. R., offiziell im Dienst des Auswärtigen Amtes als Konsul zu seinem Amtssitz in Schiras unterwegs, der Hauptstadt der südpersischen Provinz Fars. Ihm gelingt es im Auftrag der Obersten Heeresleitung, englische und russische Truppen zu binden, eine starke südpersische Schützenbrigade in den Kampf gegen die Briten zu führen und die Russen im Norden zu blockieren. Die Briten nennen ihn den „deutschen Lawrence“ (Christopher Sykes, The German Lawrence, London 1936). Außer einem Hinweis auf Kanitz in der Einleitung findet der Leser weder von ihm noch von Waßmuß einen Reisebericht in der Sammlung. Aber ausgerechnet diese beiden Biographien sind in Martin Krögers Repertoire der gesammelten Reiseberichte leider nicht enthalten, obwohl sie zu den spannendsten zählen.
Ungeachtet dessen sind die anderen 19 Schilderungen von 1876 bis 1940 ein geschichtlich wertvolles Lesebuch. Den Berichten ist ein kurzer Text des Herausgebers vorangestellt, der die politische Situation in dem jeweiligen Land umreißt. Das Buch weckt Interesse für andere Völker, für ihre sozialen Probleme und ihre Geschichte, für andere Länder und ihre Naturschönheiten. Die Berichte zeigen aber auch die Reisestrapazen in dieser Zeit, von einer Reise hoch zu Roß über die Kordilleren von Quito durch Nord-Ecuador und Kolumbien nach San Cristóbal in Venezuela oder einer Reise auf dem Sambesi bei tropischer Hitze.
Martin Kröger (Hrsg.): Die Karawane des Gesandten und andere Reiseberichte deutscher Diplomaten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, gebunden, 189 Seiten, 19,90 Euro
Foto: Verfallende Gebäude der Diamantenstadt Kolmannskuppe in Deutsch-Südwestafrika: Rücksichtslose Kulturarbeit