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Nun also wieder „Wählt Es-Pe-De!“ Grass „mischt sich ein“, zeigt uns, was ein „engagierter Intellektueller“ ist, und nimmt für die Genossen Stellung. Und nicht nur das. Er hat auch gleich ein eigenes Propagandakonzept mitgebracht, das allerdings nicht so recht zur personenfixierten und smarten Selbstdarstellung der Sozialdemokraten passen will. Auf Grassens Plakat kräht ein Hahn mit leuchtendrotem Kamm das Parteikürzel.

Immerhin greift Günter Grass damit auf eine hehre, wenn nicht linke, dann doch republikanische Symboltradition zurück, die in diesem Land zwar nie ganz heimisch wurde, dafür aber beim großen westlichen Nachbarn um so vitaler ist.

Bis zum Mittelalter war die Bedeutung des Hahns mindestens ambivalent. Er stand unter den Allegorien für Lüsternheit und Hochmut, galt aber gleichzeitig als Zeichen der Hoffnung – da er die aufgehende Sonne ankündigte – und des Glaubens. Seit der Renaissance ist dann eine erste Verwendung als politisches Zeichen greifbar. Dafür spielte die lateinische Bezeichnung gallus, die sowohl Gallier beziehungsweise Kelte als auch Hahn bedeuten konnte, eine entscheidende Rolle für die Vorstellung, daß der Hahn das traditionelle Zeichen des keltischen, also jetzt: des französischen, Volkes sei. Man konnte sich auch auf römische Quellen berufen, die allerdings weniger an einer authentischen historischen Information, eher an dem naheliegenden Wortspiel interessiert waren. Bereits unter den Valois und dann unter den Bourbonen verbreitete sich die Übung, das Bild des Königs auf Stichen oder Medaillen durch die Darstellung eines Hahns zu ergänzen. Ludwig XIV. verwendete ihn als eine Art Beizeichen, ergänzend zur bevorzugten Sonne. In Allegorien sah man ihn im Kampf mit dem englischen Löwen oder dem deutschen Adler. Deutlicher trat das Emblem aber nicht hervor.

Das änderte sich in der Revolution, die das Tier sofort in ihre Symbolsprache übernahm. Ein Grund dafür war vielleicht, was man in Frankreich die „Theorie der beiden Rassen“ nannte, jene Annahme also, daß die Revolution eine Erhebung der Nachfahren der Gallier sei, die einstmals von den fränkischen – also germanischen – Kriegern unterworfen wurden, deren Nachfahren als Adlige geherrscht hatten. Der Hahn fand sich jedenfalls nach 1789 mit der Freiheitsmütze auf Münzen, auf dem Siegel des Ersten Konsuls, und auch die Allegorie der Brüderlichkeit hielt häufig einen Stab, dessen Ende in eine Hahnenfigur auslief. Als Napoleon das Kaisertum einführte, lehnte er ein Hahnenwappen allerdings ab und entschied sich für den imperialen Adler: „Der Hahn verfügt über keine Kraft, er kann nicht Bildnis eines Kaiserreichs wie Frankreich sein.“

Erst nach der Revolution von 1830 wurde das Tier rehabilitiert. Der Bürgerkönig Louis Philippe erließ eine Verordnung, derzufolge der Hahn auf den Fahnen der Nationalgarde abzubilden sei und deren Fahnenstangen mit einem Hahn bekrönt werden sollten. Napoleon III. ließ das Tier dann wieder verschwinden, und erst die Dritte Republik griff erneut darauf zurück, ließ ihn auf Münzen prägen, und es wurde auch ein Tor des Elysée-Palastes – das heute noch vorhandene „Tor des Hahns“ – mit der Darstellung eines Hahns verziert.

Der Hahn erschien dann seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wie die Marianne immer eindeutiger als Sinnbild eines kämpferischen Republikanismus und trat dementsprechend während der Dreyfus-Affäre als Symbol der Dreyfusards auf. Im Ersten Weltkrieg fand man ihn bevorzugt als Allegorie, die der feindlichen – dem preußisch-deutschen Adler – entgegengesetzt werden konnte. Seitdem hat sich an der Ikonographie nichts wesentliches mehr verändert.

Aus einem unschwer zu deutenden Motiv wird der Hahn auch von den Wallonen im belgischen Sprachenstreit verwendet, um die Frankophonie zu verteidigen. 1913 nahm die „Wallonische Versammlung“ le coq hardi – „den kühnen Hahn“ in roter Farbe auf gelbem Grund als Symbol an, aber erst 1975 erhielt er einen halboffiziellen Status, und erst am 15. Juli 1998 wurde ein Gesetz des wallonischen Regionalparlaments über die Verwendung erlassen. Innerhalb der wallonischen Bevölkerung gibt es auch eine separatistische Minderheit um die Parti Rattachiste F.R.A.N.C.E., die offen den Anschluß an Frankreich fordert und eine Fahne in den französischen Nationalfarben mit dem roten Hahn im weißen Mittelfeld benutzt.

Damit hat Günter Grass aber nichts im Sinn. Ihm geht es nur um das „innere Frankreich“.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Der gallische Hahn auf dem schmiedeeisernen Gartentor des Elysée-Palastes in Paris: Zeichen des keltischen Volkes

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