Der Begriff „Neoklassik“ gibt reichlich Anlaß für Verwirrung: Einerseits kann damit ein musikhistorischer Epochenstil gemeint sein, der sich mit Komponisten wie Igor Stravinski verbindet, andererseits hat er sich als Genrebegriff eingebürgert für eine Musikform, die stilistisch gerade aus verschiedenen Epochen der Musik schöpft und die dazugehörenden Streicher, Bläser und Pauken oft eher aus der Konserve generiert. Es ist also eine Musikform, die sich irgendwo zwischen der traditionellen Unterscheidung zwischen E- und U-Musik bewegt und zumindest schon viele Hörer auf den Genuß klassischer Musik vorbereitet hat – denn, so lautet eine irgendwann vielleicht zwangsläufige Frage des Hörers an sich selbst, warum nur nachgeahmte Musik hören statt die Originale?
Nichtsdestotrotz haben sich in dieser Nische Stile herausgebildet, die den Konservencharakter solcher Musik zu ihrem Vorteil ausbauen und etwas Eigenes schaffen. So eignet sich die so verstandene Neoklassik besonders gut, einen historischen, zeitgeschichtlichen Stoff zu verarbeiten, indem eben den ganzen Instrumentenkonserven auch noch historische Tondokumente, etwa Ausschnitte einer Rede oder auch eines Films, hinzugefügt werden. In diesem Sinne gut gemachte Neoklassik gleicht somit eher einem sinnig zusammengesetzten Puzzle, und auch die Beurteilung der Qualität verlagert sich durch den Verweischarakter des Ganzen ein Stück weit von der reinen Musik weg hin zu dem Kontext dahinter.
Ein ganz aktuelles Beispiel dafür bietet das dänische Projekt Die Weiße Rose. Ihr Thema ist der deutsche Widerstand, vornehmlich die Gruppe um Hans und Sophie Scholl, doch Ausschnitte aus dem deutschen Fernsehfilm „Stauffenberg“ (2004) legen nahe, daß es auch um den 20. Juli gehen soll. Grundsätzlich muß man den Dänen entgegenhalten, daß die künstlerische Eigenleistung im Sinne einer irgendwie gearteten Musikalität doch recht dürftig ist. Als Klangquellen wurden neben Filmausschnitten unter anderem deutsche Schlager der 1930er Jahre, Richard Wagner, eine Klaviermelodie Friedrich Nietzsches verwendet; dazu vertonte Gedichte von Hermann Hesse, Ezra Pound und anderen. Alles dient dem Ziel, den Hörer in eine bedrückende, schicksalsschwere, mitunter sehr kämpferische Stimmung zu versetzen.
Sicher, hier und da muß sich der mit derartiger Musik nicht vertraute Hörer womöglich verwundert am Kopf kratzen, doch das Ganze ist zumindest nicht unwürdig und lullt den Konsumenten ein wie ein spannender Film, zumal das dänischer Projekt die historische Weiße Rose nicht bundesrepublikanisch geglättet präsentiert, sondern die patriotischen, elitären Motive der Gruppe besonders zu betonen scheint. Dieser Aspekt bleibt jedoch notwendigerweise diffus. Das Klangpuzzle erklärende Texte sind nicht beigefügt.
Im Rahmen solcher Untergrundmusik wurde 1997 schon einmal von dem französischen Projekt Les Joyaux De La Princesse die Weiße Rose gewürdigt, dieses heute schwer zu findende Album ist ein eindrucksvoller Klassiker des Genres, wer das kennt, wird das Werk der Dänen ganz zwangsläufig als kleineres Schwesteralbum verstehen müssen, dennoch ist es ihnen hier gelungen, einen Mythos erstrahlen zu lassen.
CD: Die Weiße Rose, A Martyrium Of White Roses, Cold Meat Industry, Mai 2009. Die Band spielt am Pfingstwochenende auf dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig.