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Kaisertier

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Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wird als Hinweis auf das Partnerland China kein Motiv so häufig verwendet wie der Drache. Nicht die kommunistische Staatssymbolik mit roter Fahne, Sowjetstern und Hammer und Sichel, die gerade aus Anlaß des sechzigsten Jahrestags der Volksrepublik wieder in den Blick gerückt war, sondern das Zeichen des alten, des kaiserlichen China nutzt man als Blickfang.

Nach verbreiteter Überzeugung steht der europäischen – negativen – Konzeption des Drachens die asiatische als positive gegenüber. Tatsächlich ist aber auch der asiatische Drachen ein schreckliches Wesen, wenngleich nicht „böse“ im westlichen Sinn. Diese mythologische Figur hatte ihren Ursprung aller Wahrscheinlichkeit nach in China, vielleicht angeregt durch die unglaubliche Massierung fossiler Saurierknochen, die sich am Rande seines Territoriums, vor allem in der Wüste Gobi finden. Der chinesische Drachen ist wesentlich schlangenähnlicher als der europäische, hat nie mehr als einen Kopf, aber manchmal chimärische Züge. Flügel sind selten, der chinesische Drachen fliegt, wenn nötig, indem er sich in die Luft hinaufschraubt.

Drachendarstellungen gehen in China bis auf die Jungsteinzeit zurück, klar tritt die Figur seit dem 3. vorchristlichen Jahrtausend hervor, aber erst unter der Herrschaft der Shang wurde die Verwendung häufiger und wuchs die dem Fabelwesen zugeschriebene Macht. Drachen werden in China als Wesen verehrt, die über das Wasser – Quellen ebenso wie Regen – verfügen. Wahrscheinlich hat sich diese Idee von hier bis Indien und über Mesopotamien bis nach Nordafrika ausgebreitet.

Es wurde schon vermutet, daß das Sich-Winden eines Flusses an die Bewegung einer übergroßen Schlange erinnerte und entsprechende Vorstellungen vom Drachen hervorrief. Der im Wasser hausende Drache ist wohl der ursprüngliche, aber für die politische beziehungsweise Herrschaftssymbolik war die Vorstellung eines „Himmelsdrachens“ von ausschlaggebender Bedeutung.

Im Sinne des Tao gilt der Himmelsdrachen als Verkörperung des Yang, des Sonnenhaften, Uranischen, Männlichen, Zeugenden, Hellen, Warmen, Trockenen. Der Himmelsdrachen kann wie der europäische Drachen Feuer speien, ist aber ungleich mächtiger und wohlwollender als sein abendländischer Verwandter. Daher rührt auch die chinesische Vorstellung vom Drachen als „Kaisertier“ (Karl Fürst Schwarzenberg). Der Kaiser, der „Himmelssohn“, bezeichnete sich selbst als „wahrer Drachen“ und trug wie seine obersten Beamten bei offiziellen Anlässen ein „Drachengewand“. Für gewöhnlich war der kaiserliche Drache gelb, eine Farbe, die nur dem Herrscher vorbehalten blieb und gleichzeitig an jenen gelben Drachen erinnern sollte, der dem legendären Kaiser Fuxi erschien und ihm die Schriftzeichen offenbarte.

Den chinesischen entsprechende Auffassungen und Bräuche wurden in allen Ländern übernommen, die direkt oder indirekt unter der Macht Chinas standen, wie etwa Japan, Vietnam, Korea oder Bhutan, wo man bis heute am hierarchischen System der traditionellen chinesischen Gesellschaft und an dessen Machtsymbolik festhält. Bhutan führt immer noch einen Drachen in der Flagge, der Landesname bedeutet nichts anderes als „Land der Drachen“, und die nationale Tradition wird hergeleitet von der Gründung des Klosters der „Söhne des Donnerdrachen“ zu Beginn des 13. Jahrhunderts.

Bis zum Untergang des Kaiserreichs gab es in China ein nach der Zahl der Klauen des Drachen abgestuftes symbolisches System, an dessen Spitze der kaiserliche Drachen mit fünf Klauen stand. Ein entsprechendes Motiv auf gelbem Grund zeigte auch die bis 1911 verwendete chinesische – genauer: kaiserliche – Flagge.

Obwohl danach keine Regierung des Landes mehr den Drachen als Nationalsymbol verwendete, er bestenfalls unter den Taiwan- und Auslandschinesen als Teil des religiösen Brauchtums oder der Folklore überlebte, hat sich im Westen die Gleichsetzung Chinas mit dem Drachen erhalten. Vor allem in Karikaturen oder bei metaphorischen Bezeichnungen Chinas tauchte das Untier regelmäßig auf.

Diese Kontinuität wurde besonders deutlich, nachdem China wirtschaftlich auf die Weltbühne zurückkehrte. Neben der traditionellen Beschwörung einer „gelben Gefahr“ spielte immer das Bild eines die westliche Vorherrschaft bedrohenden Drachen eine wichtige Rolle.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Teil der Neun-Drachen-Wand in Datong in der chinesischen Provinz Shanxi: Nicht „böse“ im westlichen Sinn

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