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Im Mund des Zombies

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Was immer sich Ernst Jünger unters Mikroskop legte, er suchte nach dessen Rauschpotential: im Krieg, in der Politik, in den Drogen, in mystischen Spekulationen. Stets ging es ums Ganze, in lebenslanger Suche nach Elementarem, Dämonischem, Transzendenz und Ekstase. Seit den 1920er Jahren experimentierte Jünger mit Drogen, drei Jahrzehnte später unternahm er mit Albert Hofmann höchstpersönlich LSD-Trips. Natürlich fanden diese Rauscherfahrungen literarischen Niederschlag: in „Das abenteuerliche Herz“ (1929/38) beispielsweise, einer Sammlung kurzer Capriccios, voll von surrealen Visionen, Träumen und düsteren Ahnungen, in der Erzählung „Besuch auf Godenholm“ (1952) sowie in „Annäherungen. Drogen und Rausch“ (1970), das über toxische, religiöse, musikalische und literarische Rauscherzeugung reflektiert.

Wenn man einen Theaterabend über Ernst Jüngers Drogenprosa inszenieren will, was liegt dann näher, als diese beiden Bücher zu plündern? Das dachte sich der Schauspieler/Regisseur Martin Wuttke und montierte daraus ein 75minütiges Drama, das ausgewählte Texte auf elf Schauspieler verteilt.

Liest man vor Beginn der Vorstellung im Programmheft, springen einem zahlreiche Fotos von Anita Berber entgegen. In der Tat, Jünger und Berber sind ein perfektes Paar. Die skan­dalträchtige Nackttänzerin der Weimarer Republik mit ihren rauschhaft-morbiden Tänzen über Krieg, Verwesung und Massengräber war eine wirkliche Schwester im Geiste. Ihre Nahrung bestand vorwiegend aus Kokain, Heroin und Alkohol, der Erfahrungshunger schien unersättlich – bis sie schließlich als 29jährige starb.

Man durfte also auf den Theaterabend mehr als gespannt sein. Aber kaum betrat man das Foyer des Berliner Ensembles, stieg eine fiese Ahnung auf: Umrandet von Zuschauersitzen thronte in der Mitte ein glaskastenartiger Bungalow, eingerichtet mit Tischen und Stühlen im Stil der 1920er Jahre und angereichert durch Kissenberge. Eine naturalistische Drogenhöhle jener Zeit und vor allem: als Bungalow verdächtig an das Bühnenbild einer Castorf-Inszenierung erinnernd – an „Die Dämonen“, bei der Martin Wuttke nämlich zum Ensemble gehörte. Es war nicht das einzige Plagiat des Abends; Castorfs Regiestil wurde gleich mit übernommen: Volksbühne für Arme.

Eine Gruppe männlicher wie weiblicher Dandys, mit anspielungsreichen Namen wie Gretha (Jünger) und Albert (Hofmann) versehen, spulen Jüngers hochemotionalen Texte undurchdrungen runter. Heißt das: Dekonstruktion „abgehobener“ Schriften durch realistische Kulisse und belanglosen Vortrag? Oder soll sich deren Pathos in solchem Kontext als hohler Kitsch entlarven (eine Schauspielerin bezeichnete sie als „Strohfeuer“)?

So würde Castorf rangehen. Das wäre die typische Ausdrucksform einer Gesellschaft, die sich elementare Emotionen wie Rausch, große Liebe, Tragik nicht mehr leisten will und ihre Trivialität mit Ironie verteidigt. Ist deren Furor hoch genug, kann das Resultat scharf und fetzig werden. Nicht bei Wuttke: Er und das Ensemble finden überhaupt keinen Bezug zu ihrer Textmasse, stehen ihr weder als bejahende Interpreten noch als Zerfetzer gegenüber. Es ist sogar zu befürchten, daß sie den Großteil davon nicht verstanden haben. Jünger in den Mündern von Zombies, da ist keine Sekunde echt.

Lediglich triviale Bildassoziationen kommen auf: Bei einem Satz wie „Jeder Genuß lebt durch den Geist“ wird eine Schampusflasche geöffnet (stimmt, Jünger war ja Champagnertrinker). Oder, Gipfel der Originalität: Eine Darstellerin flirtet, während sie Jüngers methodische Distanziertheit erläutert … (Die Namen der Schauspieler seien hier verschwiegen, weil sie wahrscheinlich weder für die Hirnfürze der Regie noch für ihr grottenschlechtes Spiel Verantwortung tragen.)

Als Videoprojektion laufen zahlreiche Ausschnitte aus F. W. Murnaus „Faust“-Verfilmung (1925). Da stürmen die vier apokalyptischen Reiter herbei, gibt es rauschhafte Flüge durch die Luft. So wie Faust hat Jünger einen Pakt mit Mephisto geschlossen, um sich ekstatischen Erfahrungen hinzugeben. Aber als der Teufel zuletzt leibhaftig im Bungalow erscheint, nimmt ihn keiner ernst.

Bereits vor elf Jahren, in seiner legendären „Sportstück“-Inszenierung, hatte Einar Schleef ein Bild aus dem „Abenteuerlichen Herzen“ auf die Bühne gebracht. Mehrere nackte Männer waren in einer Reihe aufgehängt, mit dem Kopf nach unten. Schleef bekannte in einem Interview den Bezug dieser Szene zum Jünger-Buch. Im Abschnitt „Violette Endivien“ betritt der Ich-Erzähler ein Delikatessengeschäft, in dem Menschenkadaver an der Wand hängen. Der Besucher sagt dazu nur: „Ich wußte nicht, daß die Zivilisation in dieser Stadt schon so weit fortgeschritten ist.“ Diese eine Bildadaption durch Schleef hatte mehr Wucht als der gesamte Abend seines ehemaligen Darstellers Wuttke.

Wenn Ernst Jünger und Anita Berber ihn gesehen hätten, wahrscheinlich wären sie türknallend geflüchtet – in die nächste Bar, um das Gesehene mit einer kräftigen Ladung Champagner und anderen Rauschmitteln runterzuspülen.

Die nächsten Vorstellungen von „Das abenteuerliche Herz: Droge und Rausch“ im Foyer des Berliner Ensembles, Bertolt-Brecht-Platz 1, finden statt am 21. Juni, 4., 5. und 11. Juli. Kartentelefon: 030 / 2 84 08-155.

Foto: Martin Wuttke: Eine Gesellschaft, die sich Rausch, Liebe, Tragik nicht mehr leisten will

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