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Gottes Medium

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Das Leben Hildegards von Bingen als Filmstreifen: Das heißt, das Leben eines Medium Gottes auf das Medium Film zu bannen. Welch eine Transportaufgabe! Daß ausgerechnet die feministisch-sozialistisch engagierte und inspirierte Margarethe von Trotta diese künstlerische Logistik sich zur Aufgabe gemacht hat: ein zweifaches Ach!

Zum Filmstart liegt Hildegards Todestag ziemlich genau 830 Jahre zurück. Auf die Nachwelt unseres Jahrtausends ist die Mystikerin vor allem in esoterischen Zusammenhängen überkommen. Brotbacken mit Hildegard, Edelsteine aufs Zwerchfell und Kräuter aufs Herz legen: Dies alles firmiert heute unter der Hildegard-Marke. Und was ihre geschichtliche Wirksamkeit angeht: Heutige Deutungsmächtige wie Alice Schwarzer fassen Hildegards Gottesschau als vorgebliche Visionen auf, die sie dann einsetzte, wenn sie schlicht ihren Willen durchsetzen wollte.

Wer die Lebensgeschichte einer bedeutenden Person verfilmen will, begibt sich zwangsläufig aufs Glatteis. Ein Buch kann Ambivalenzen deutlich machen, Relativierungen anbringen. Im Film geht das schwer. „Glattes Eis / ein Paradeis / für den, der gut zu tanzen weiß“, heißt es weltklug bei Nietzsche. Doch sieh an: Von Trotta tanzt ganz passabel. Wo die Quellen sich streiten, wählt sie Mittelwege, über die keiner zu stolpern braucht. Wir sehen nicht die erwartbare Kräuterhexe auf der Karrierestrecke, wir finden einen Film, der Hildegard – die übrigens nie heiliggesprochen wurde – in ihrer Frommheit und Menschlichkeit zeigt.

Als Achtjährige wird sie (so will’s der Film, die Chronisten äußern sich da unterschiedlich) von ihren adeligen Eltern – Hildegard ist deren zehntes Kind – dem Vorsteher des Klosters Disibodenberg im Naheland übergeben. „Mutter“ wird sie fortan die Magistra Jutta von Sponheim nennen. Eine großartige Darstellung (Mareile Blendl) dieser Gelehrten! Wie klug ist diese Frau mit gütig-schönem Antlitz, wie sanft, wie weise! Doch: Hildegard, nachts aufschreckend, sieht, wie sich Jutta blutig geißelt. Schnitt. Wir sehen nun Hildegard als Mittdreißigerin, längst hat sie den Schleier genommen. Jutta liegt auf dem Totenbett, die Tochterschülerin übernimmt die Leichenwäsche. Unter der Ordenstracht findet sie einen ausgemergelten Körper mit grauenvollen Zeichen äußerster Selbstkasteiung. Gott kann nur wollen, daß der Mensch auch seinen Körper liebt, pflegt und heilt – so empfindet es Hildegard, die nun gegen ihren Willen zur neuen Vorsteherin der Frauenabteilung auf Disibodenberg gewählt wird.

Nach einer besonders eindrücklichen Vision offenbart Hildegard den Äbten, daß sie seit früher Kindheit Eingaben von Gott empfängt. Man wähnt Ketzerei, doch als ausgerechnet der als „frauenfeindlich“ geltende Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux sich zum Fürsprecher Hildegards macht, beginnt eine so ruhm- wie arbeitsreiche Zeit für die Ordensfrau. Sie wird offiziell angehalten, ihre Visionen und Heillehren niederzuschreiben. Nachdem eine ihrer Mitschwestern geschwängert wurde und sich deshalb das Leben nimmt, baut Hildegard gegen alle Widerstände und auch mit eigener Hände Kraft ein eigenes Frauenkloster auf dem Rupertsberg bei Bingen. Etliche Ordensfrauen verlassen sie im Streit, weil ihnen das Leben auf einer Baustelle zu widrig erscheint.

Besonders ans Herz wächst ihr die junge Richardis von Stade, die ihr erst jüngst von ihrer reichen Mutter (hervorragend: Sunnyi Melles) anvertraut wurde. Als Richardis später das Kloster verläßt, fällt Hildegard gleichsam aus der Rolle. Wie immer, wenn ihre Ziele durchkreuzt wurden, legt sie sich krank und schweigend nieder – für Wochen, für Monate. Heute würde man solches Betragen als Depression klassifizieren. Der Film vermenschlicht an diesen Stellen nicht unzulässig – genauso ist es überliefert, dazu darf man auch Hildegards gelegentlich selbstherrliches, für Unmut sorgendes Auftreten ohne Schleier zählen.

An ihrem Ende hat die 82jährige Ordensfrau fünf deutsche Kaiser sowie 17 Päpste und Gegenpäpste überlebt. Ihre aufgeschriebenen Visionen wurden auch von weltlichen Mächten gelesen, Friedrich Barbarossa diente sie als Ratgeberin – welch ein Leben!

Die erwachsene Hildegrad wird dargestellt durch Barbara Sukowa. Ausgerechnet! Die Sukowa hatte zuvor als Rosa Luxemburg, als Gudrun Ensslin und zuletzt im Film „Die Entdeckung der Currywurst“ reüssiert – und nun als heiligmäßige Prophetin? Ja, und es paßt ganz wunderbar. Wie sich Schärfe und Demut in einem Gesicht vereinen können!

Schade nur, daß die Rollenbesetzung nicht in allen Fällen glücklich zu nennen ist. Wie kann man allen Ernstes Abt Volmar, den langjährigen Vertrauten, Lehrer und Fürsprecher Hildegards mit dem (man muß sagen: mittlerweile) putzig-knopfäugigen Heino Ferch besetzen? Es wirkt teilweise grotesk. Und wie Richardis (deren Stellung als „Liebling“ von Hildegard verbrieft ist) ausgerechnet mit Hannah Herzsprung, deren spielerisches Repertoire auch hier nicht über Gesten hinausreicht, die jede ehrgeizige Schul-AG-Theaterschauspielerin beherrscht?

Wo der fidele Ferch und die hysterische Herzsprung agieren, scheint jener Impetus durch, den Produzent Markus Zimmer grob verkürzend als „Haupt­aspekt“ des Films begreift: Daß es um die Darstellung einer durchsetzungsfähigen Frau in einer „von Männern komplett dominierten Umwelt und Gesellschaft“ gehe, in der Hildegrad „klug ihre Register gezogen“ habe. Zimmer spricht von mitschwesterlicher Mobilisierung, von „Zivilcourage“ und „Networking“: Als hätte Hildegard ebensogut ein urbanes Frauenselbsthilfezentrum anno 2009 coachen können. Nichtsdestotrotz – ein mitreißender Film.

Foto: Barbara Sukowa als Hildegard von Bingen (l.): Das Frauenkloster als Selbsthilfezentrum

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