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Götter wandelten einst bei Menschen

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Schon lange bevor die römischen Kirchenfürsten anfingen, antike Fundstücke als Gartenplastiken aufzustellen, ließ der Hohenstaufer Friedrich II. antike Skulpturen bergen und gab damit möglicherweise auch den Anstoß für die singulären Leistungen eines Naumburger Meisters. Im 18. Jahrhundert bildete sich dann, verbunden mit dem Namen und der Person Winckelmanns, vom Norden her ein museal-archäologisch-klassizistischer Blick auf das Altertum heraus.

Drei Gewandfiguren, nach ihrem Fundort „Herkulanerinnen“ genannt, waren ihm die erste Verkörperung seines Leitbildes von der Antike. Sie gelangten 1736 aus dem Nachlaß des Prinzen Eugen von Wien nach Dresden. Schon 1729 kamen fast 200 antike Skulpturen aus Rom nach Dresden. Der Gelehrte aus der Altmark war vor seiner Romreise Bibliothekar des Fürsten Bünau auf dessen Schloß in Nöthnitz nahe Dresden. Damals sah er die Figuren im Kavaliershaus im Großen Garten. Dorthin wurden sie aus dem Palais des Gartens verbracht, als dessen große Säle von Friedrich August II. für die Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohnes beansprucht wurden.

Vieler bedeutender Stücke der Sammlung wurde Winckelmann gar nicht ansichtig, da sie wegen der verringerten Ausstellungsfläche damals im Depot lagerten. Der Ruhm der Dresdner Antikensammlung verläuft wie eine Karstquelle weite Strecken unterirdisch. Im Zweiten Reich entstand auf der Brühlschen Terrasse zeitgleich mit der pittoresken Kunstakademie ein Gebäude eigens für die Skulpturensammlung. Ein Umbau des Zeughauses aus dem 16. Jahrhundert, nach dem König „Albertinum“ benannt. Georg Treu, der damalige Direktor und Ausgräber der Metopen des Zeustempels von Olympia, erweiterte dann die Sammlung um zeitgenössische Skulptur. Arbeiten von Klinger und Rodin wurden erworben. Nur gut fünfzig Jahre währte das große Anschauungsmuseum der Skulpturen. Nach dem Raub durch die Trophäenkommission und der Rückführung wurden die Antiken im ehemaligen Depot im Erdgeschoß aufgestellt. Die repräsentativen Räume enthielten die neuere Abteilung der Gemäldegalerie. Als sich während des Elbehochwassers 2002 die Brühlsche Terrasse einmal mehr als ein bautechnisches Marschland erwies, wurde der Plan zunichte, in einem großen Schaudepot die Schätze wieder sichtbar zu machen.

Die Ausstellung „Verwandelte Götter“ zeigt vorwiegend die kaiserzeitlichen Repliken griechischer Bildhauerei, ergänzt um Leihgaben aus dem Madrider Prado an einem Ort, der die Werke schon einmal für hundert Jahre beherbergte. Das Japanische Palais wurde von August dem Starken als Porzellan-Museum vorgesehen. Ende des 18. Jahrhunderts wurde dort die Antikensammlung untergebracht. 1835 gab Gottfried Semper seinen Einstand in Dresden mit der Ausgestaltung der Räume in pompejanisierender Manier, auf der Grundlage seiner eigenen Reiseskizzen.

Links neben dem Eingang in das Japanische Palais findet sich ein Winckelmann-Medaillon, 1868 gestiftet durch die Kunstgenossenschaft. Erwartungsfroh die Leitbilder des Phidias und Polyklet im Sinne geht man durch den Hof des Palais, dessen Gebälk von grotesken Japanern getragen wird. Die dekorative Sandsteinplastik des sächsischen Barock zeigt Männer mit hängenden Brüsten und absurden Schnauzbärten. Im Eingangsraum zur Ausstellung wird der Gegensatz abgefedert durch klassische Bacchanten und Mänaden. Wie ein älterer Verwandter der Lastträger lümmelt sich die Brunnenfigur eines Silen auf seinen Weinschlauch.

Für die Sonderausstellung wurden die Reste der Semperschen Gestaltung von dunkelbraunen schweren Tüchern verhüllt. Die bräunlich-graue Kunststoffbeschichtung  der Postamente wirkt etwas steril. Aber die einzelnen Ausstellungsstücke saugen den Betrachter gewaltig an. Vielleicht ist die katakombenartige Einrichtung bezeichnend für den heutigen Status dieser ewig-jungen Kunst.

Daß es sich um Staatskunst handelte, ist das Thema der Ausstellung. Die Verwandlung der griechischen Götterbilder in das Bildnis des vergöttlichten römischen Kaisers wird veranschaulicht. Ganz überirdisch der 130 n. Chr. im Nil ertrunkene Günstling des Hadrian Antinous. Neben der Madrider Fassung des Kopfes steht die Dresdner Ausformung als Osiris. Auch im länglichen Gesicht des Neon, vermutlich ein gefallener Offizier wiederholt sich die heitere Jenseitigkeit. Ein götzenartiger Kolossalkopf des Maxentius dreht seine Augäpfel zum Himmel, wie es späterhin Guido Reni bußfertige Heilige tun läßt. Konstantins Haupt ist in eine barocke Büste eingelassen. Die Anstückungen, Ergänzungen und Umdeutungen setzen die Skulpturen seit je in ein eigenwilliges Zwielicht. Eine der Herkulanerinnen wurde kopflos aufgefunden und erhielt noch in Rom eine Vervollständigung. Dazu wurde ein antikes Haupt als Rohling betrachtet und für die Figur passend zugerichtet, Lider und Augenhöhlen schematisch und tot nachbearbeitet. Ein Epheben-Torso erhielt pathetisch raumgreifende Gliedmaßen angesetzt und wurde so im 17. Jahrhundert zu einem Alexander, der heute wie Johannes der Täufer wirkt. Eine Kunststoffreplik trägt in der Ausstellung die Prothesen, daneben steht der gereinigte Torso. Die Athena Lemnia des Phidias bekam von Adolf Furtwängler ihren Kopf, abgegossen von einem zugehörigen Original in Bologna.

Tadellose Rekonstruktionen gab es aber auch schon früher. Die berühmte Gruppe mit Satyr und Hermaphrodit beinhaltet nur wenig Originalteile, aber dank der günstigen Quellenlage gelang dem Former des frühen 18. Jahrhunderts eine eindrucksvolle Wiederherstellung. Der gelernte Maler Michelangelo Buonarroti begann seine autodidaktische Bildhauerlaufbahn mit Antikenfälschungen. Noch heute werden unter den Skulpturen auf dem Umgang der Uffizien unentdeckte Neo-Antiken vermutet.

Die beeindruckendsten Bildwerke der Ausstellung waren vor Ort verfügbar. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Leihgaben Ergänzungen und Kommentare von Dresdner Stücken. Für das Madrider Theodosius-Missorium wird dem Betrachter gar nur ein Galvano des Silbertellers aus dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz untergeschoben. Eine myronische Athena aus der Marsyas-Gruppe trägt einen Abguß des Originals aus dem Liebighaus in Frankfurt. Der Kopf der Dresdner Sammlung ist ungleich wertvoller. Trotz der starken Beschädigungen ist er weicher und geistiger und offenbart das bestürzende griechische Paradoxon einer gewaltsamen Zartheit.

An diesem und ähnlichen Vergleichen wird die Qualität der Dresdner Sammlung deutlich. Sie verfügt weder über einen Pergamon-Altar noch über eine Aigina-Gruppe; darum ist sie heute dem breiten Publikum weit weniger bekannt als die Münchner Glyptothek oder das Pergamon-Museum. Aber ihre Solitäre sind von erstaunlicher Güte.

Der Diadumenos aus Madrid posiert mit goldunterlegter Beschriftung auf zahlreichen Reklameflächen der Innenstadt. Im Vorbeigehen scheint da ein mondänes Lifestyle-Magazin zu werben. Der erstaunliche Zuspruch zur Ausstellung scheint die Kampagne zu rechtfertigen.

Die Ausstellung ist bis zum 27. September im Japanischen Palais, Palaisplatz 11, in Dresden täglich von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 22 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 5 Euro. Telefon: 03 51 / 49 14 20 00

Foto: Dresdner Zeus, 120–130 n. Chr. nach einem Vorbild des Phidias oder seines Um-kreises

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