Anzeige
Anzeige

Ein Wunder in den Trümmern

Ein Wunder in den Trümmern

Ein Wunder in den Trümmern

 

Ein Wunder in den Trümmern

Anzeige

Die Toten des Erdbebens in den Abruzzen sind beweint und begraben. Langsam beginnen die Überlebenden sich in eine neue Zukunft hineinzudenken. Der heftige Stoß in der Nacht zum 7. April hat vieles verändert. Das Beben war sogar bis in die 120 Kilometer entfernte Hauptstadt zu spüren. In der weltberühmten Bernini-Kirche San Andrea al Quirinale hoch auf einem Hügel von Rom fiel barocker Stuck aus der Engel-verzierten Kuppel, es schien wie ein böses Omen.

Angesichts des unermeßlichen Leids, das dieses Erdbeben über die Abruzzen gebracht hat, klingt es fast frevelhaft, eine erste vorläufige Bilanz der beschädigten und gefährdeten Kulturgüter zu ziehen. Und doch ist es notwendig. „Denn die Menschen, die alles verloren haben, die vor den Trümmern ihrer zerstörten Städte stehen, brauchen die Kultur ihrer Heimat wie den Atem. Das ist ihre Identität, das ist ihr kulturelles Erbe, das sie prägte und das ihnen Kraft zum Neubeginn gibt“, so Vittorio Sgarbi, einer der renommierten Kunstkritiker Italiens und früherer Kultusminister. Er forderte von der Regierung Berlusconi mit dem versprochenen Wiederaufbau der Stadt L’Aquila zugleich auch die Restaurierung des historischen Erbes.

Denn die Abruzzen sind das Land der romanischen Kirchen. Es ist eine gebirgige Landschaft, eher rauh und abweisend, nicht so lieblich wie die Toskana oder das grünende Umbrien. Erst im Zuge der deutschen Staufer-Romantik im 19. Jahrhundert, angefacht unter anderem durch den Althistoriker Theodor Mommsen, brachen Scharen von Laienhistoriker auf, um das Schlachtfeld bei Tagliacozzo zu besuchen, wo die Staufer-Herrschaft  durch den Tod des 16jährigen Konradin in Italien endgültig ausgelöscht wurde. Die Abruzzen waren immer ein Geheimtip für Kunst-und Geschichtsliebhaber. Hier breiteten sich im frühen Mittelalter kirchliche und klösterliche Siedlungen aus, die im Kampf gegen oströmische Ausdehnung zugleich den Einfluß des Papstes in Rom zu sichern halfen. Auch Ovid, einer der berühmtesten römischen Dichter und der letzte große Poet der augusteischen Zeit, wurde hier in Sulmona 43 v. Chr. geboren.

L’Aquila, die stolze Stadt mit dem Adler im Wappen, war sogar für kurze Zeit schon einmal das „Rom der Abruzzen“, als am 5. Juli 1294 Pietro da Morrone auf einen Esel in die Stadt ritt, nachdem er zum Papst gewählt worden war und den Namen Coelestin V. angenommen hatte. Der „Engelpapst“ trat allerdings ein halbes Jahr später zurück, und zwei Jahre später starb er. Seitdem liegt er in einem Kristallsarg in der Basilika Santa Maria di Collemaggio in L’Aquila.

 Nach dem Beben bietet die schwerstgetroffene Stadt nur noch ein Bild der Verwüstung, viele der historischen Palazzi sind für immer vernichtet. Das Erdbeben hat kaum ein Gebäude verschont. Viele Kirchen sind ihrer Kuppeln beraubt, breite Risse klaffen im Mauerwerk und die meisten Glockentürme sind eingestürzt, durch die Mauernreste sieht man den Himmel.

Doch ein leichtes Aufatmen geht durch die internationale Kunstwelt: Denn im Gegensatz zu den mit Billigzement errichteten Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden, deren Gerüste wie Streichhölzer zusammenknickten und alles unter sich begruben, haben die verfugten Steinmauern der alten Kirchen und Klöster dem Erdbeben vergleichsweise gut standgehalten.

So weist die markante Fassade der Basilika Santa Maria di Collemaggio, die zum Weltkulturerbe gehört, zwar erhebliche Risse auf, und auch  ein Teil der Altarnische ist eingestürzt, doch sie steht noch. Erst vor wenigen Jahren wurde sie restauriert. Auch der Sarg des Papstes blieb unbeschädigt.

 Eingestürzt ist hingegen die Kuppel der Kirche delle Anime Sante sowie der Turm der Franziskanerkirche des Titularheiligen San Bernardino von Siena, des berühmten Predigers, der hier in L’Aqila starb. Schwerst beschädigt ist auch die Kuppelkirche Santa Maria a Paganica. Doch die fragile Madonna-Statue, die über allem zwischen den Glockentürmen im Freien thronte, ist heil geblieben. Einen ganzen Vormittag haben Feuerwehrleute gebraucht, um sie zu bergen. Schon sprechen die Alten von einem „Wunder“.

Auch der Domschatz von San Massimo konnte jetzt in Sicherheit nach Rom gebracht werden. All die Kelche, Tabernakel, rubingeschmückten Prozessionkreuze, kostbaren Liturgiegewänder aus den Jahrhunderten – allesamt unwiederbringliche Schätze – konnten heil geborgen werden.

Fast alle Orte rund um L’Aquila, in der Nähe des Epizentrums, weisen schwere und schwerste Schäden auf. So ist zum Beispiel in dem malerisch verwinkelten Santo Stefano di Sessanio der sogenannte „medicäische Turm“ seit dem Beben nur noch ein Schutthaufen. Er war das Kennzeichen der Stadt. Für die Klosterkirche Santa Maria ad Cryptas bei Fossa wurde höchste Alarmstufe ausgegeben, denn die romanischen Fresken im Innern des Gotteshauses weisen schwere Risse auf, zudem ist die Kirche an einem Tuffsteinhang gelegen. Die noch immer auftretenden kleinen Nachbeben könnten alles ins Rutschen bringen. In Loreto Aprutino mit seinen weltberühmten Fresken des Jüngsten Gerichts fiel der Campanile in sich zusammen. In Chieti mußte die Franziskanerkirche und in Atri der romanische Dom, der nach Jahren der Renovierung in diesem Frühjahr wiedereröffnet werden sollte, wegen der Bauschäden geschlossen werden.

Die internationalen Hilfsangebote sind geradezu überwältigend; sie reichen von US-Präsident Barack Obama bis zur Pop-Sängerin Madonna. Der Megastar, mit bürgerlichem Namen Madonna Louise Ciccone, spendete bereits 500.000 Dollar der Gemeinde Pacentro, sechzig Kilometer von L’Aquila. Denn aus diesem Abruzzendorf stammen ihre Großeltern väterlicherseits , die 1919 in die USA auswanderten. Noch immer leben Verwandte in dem Ort. Madonna selber ist dort Ehrenbürgerin.         

Foto:  Feuerwehrleute bergen die Madonna-Statue von der Fassade der Santa Maria a Paganica: Von einem „Wunder“ ist die Rede

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.