Stehende Ovationen gab es auf dem diesjährigen Wave- & Gotiktreffen für die Genueser Gruppe Ianva, die im Leipziger Schauspielhaus vor einem randvollen Saal spielte. Obwohl die vielköpfige Formation immer noch vor allem innerhalb der Gothic- und Neofolk-Szene rezipiert wird, hat sie Qualitäten, die ihren derzeitigen Nischenkontext bei weitem sprengen. Keine Band in Europa klingt heute so wie Ianva; zu den Inspirationen und Anknüpfungspunkten zählt der epische Sound eines Ennio Morricone ebenso wie der poetische Geist eines Fabrizio de André.
Vor allem aber gibt es zur Zeit weit und breit keine Band, die ihre Themen so auswählt und so behandelt wie Ianva. Seit dem glamourös-nostalgischen Debütalbum „Disobbedisco!“ sind inzwischen drei Jahre vergangen, die nur von dem Intermezzo der Mini-CD „L’Occidente“ (JF 50/07) unterbrochen wurden. Anfang Juni ist nun das heißersehnte zweite Vollzeitalbum erschienen – und hat die hochgespannten Erwartungen noch übertroffen. „Italia: Ultimo Atto“ („Italien: Der letzte Akt“) spannt seinen thematischen Bogen über sechzig Jahre italienische Geschichte. 70 Minuten Laufzeit, 13 Songs und ein 30 Seiten starkes Beiheft mit Texten und Illustrationen machen aus dem Album ein komplexes Kunstwerk, das dem Zuhörer viel Aufmerksamkeit abverlangt.
Die Stationen der Reise sind unter anderem der Bürgerkrieg der Jahre 1943–45 („Negli Occhi d’un Ribelle“), die Ermordung der gefeierten Diva der vierziger Jahre Luisa Ferida durch antifaschistische Partisanen, die istrischen und dalmatischen „Foibe“-Massaker an der italienischen Minderheit („Bora“), die Sex- und Drogenskandale der fünfziger Jahre („In Compagnia dei Lupi“) und die „bleiernen Jahre“ des schwarzen und roten Terrorismus („Pasionaria“). „Italia: Ultimo Atto“ will nach Auskunft der Gruppe um Songschreiber und Sänger Mercy die „moralische und geistige Auflösung einer Nation“ und ihre jüngere Geschichte „durch die Augen der ewigen Verlierer zeigen: der bescheidenen, idealistischen, ehrlichen Menschen“, die stets von den Opportunisten und Korrumpierten aller Zeiten überrannt werden.
Eingeleitet wird das Album mit apokalyptischen Prophezeiungen aus Pier Paolo Pasolinis „Lutherbriefen“, rezitiert von dem in seiner Heimat sehr bekannten Schauspieler und Ex-MTV-Moderator Enrico Silvestrin. Kein Wunder, daß ein Album, das so beginnt, mit einem pessimistischen Ausblick endet, in dem Italien als die Vorhut des Westens auf dem Blindflug in die Finsternis erscheint. Der nonkonformistische Blick Ianvas ist dabei ebenso poetisch wie polemisch, aus einer Perspektive, die versucht, das politisch-kulturelle Schicksal der Nation jenseits der Kategorien von „Links“ und „Rechts“ zu erfassen.
Auch musikalisch ist das phantasievoll orchestrierte und abgemischte Album überaus anspruchsvoll. Seine volle Raffinesse und Kraft erschließt sich erst nach mehrfachem Hören – dann aber läßt es einen nicht mehr los. Wie immer bei Ianva mangelt es jedoch auch nicht an Ohrwürmern: besonders die von der charismatischen Frontfrau Stefania d’Alterio gesungene Hymne „Luisa Ferida“ hat das Zeug zum Klassiker.
Foto: CD: Ianva, Italia: Ultimo Atto, Label: Antica Fonografia. In Deutschland ist das Album beim Dresdner Label Eislicht (www.neofolk.de) erhältlich.