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Lyrisch mit sehr viel Action

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Die musikalische Legende „Palestrina“ ist ein Hauptwerk des Musiktheaters des zwanzigsten Jahrhunderts, das von der Uraufführung 1917 bis heute präsent geblieben ist. Das nächste Jahr wird zwei Neuinszenierungen dieses Werkes von Hans Pfitzner (1869—1949) in deutschen Theatern bringen. Aufführungen der anderen vier Bühnenwerke Pfitzners sind deutlich seltener. „Die Rose vom Liebesgarten“ ist seit Kriegsende nicht mehr gegeben worden, bis vor zehn Jahren der Züricher Oper eine beachtete Aufführung gelang. Eine geplante CD-Edition kam damals jedoch nicht zustande. Nun führt die Chemnitzer Oper in der besten Theaterzeit, wo auch die großen Häuser mit Dauerbrennern und Ballett ohne Risiko die Säle zu füllen pflegen, die Romantische Oper in zwei Akten mit Vorspiel und Nachspiel auf. Die Aufführung bietet gegenüber der vorigen zwei Vorzüge: eine ungekürzten Wiedergabe des Werkes und eine zumindest nicht herabsetzend gemeinten Inszenierung. Dennoch ist diese zum Haupthindernis für das Verständnis der musikalischen Entwicklung des Stückes geworden. Im Beiheft berichtet Erin Caves, der Sänger des Siegnot, von den Schwierigkeiten, die lyrische Musik mit „sehr viel Action“ auf der Bühne zusammenzubringen. Der über Absicht und Inhalt des Werkes unterrichtete Besucher, der mit Spannung die Musik erwartete, sah sich im Vorspiel schon mit einem esoterischen Nonsens-Ballett konfrontiert. Und es ist schwer festzustellen, ob es dem Zutagetreten einer Programmatik oder nur dem Abklingen des erlittenen Inszenierungs­traumas geschuldet ist, daß es im Verlauf des Abends leichter wurde, der musikalischen Handlung zu folgen. Die Gestaltungsstrategien des Regisseurs und Bühnenbildners Jürgen R. Weber wie die seines Kostümbildners Sven Bindseil sind wohl eher für die Fernsehproduktion geeignet, womit beide in der Vergangenheit auch ausgiebig beschäftigt waren (Seifenopern, Kinderserien, Reklamefilmchen). Daß diese Erfahrungen nicht unbedingt einer Bühnenarbeit abträglich sind, hat kürzlich eine „Freischütz“-Inszenierung von Philipp Stölzl in Meiningen gezeigt, dessen Filmkunst-Anleihe die Qualitäten des Werkes unterstrich und zu Recht eine Auszeichnung als beste Inszenierung der Saison erhielt. Aber Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ und das wilde Heer in Carl Maria von Webers Oper stammen noch aus einer (romantischen) Familie. Hollywoods Sternenkrieger lassen sich von dem Winterwächter und dem Sternenkind vom Liebesgarten nur als Bastarde ableiten. Es mag an sich beeindrucken, was auf der Bühne für Anblicke entstehen. Aber Pfitzners Oper sieht eigentlich lebende Bilder, statische Wirkungen, stumme Personen vor. Davon sollten sich die kurzen wirklich dramatischen Begebenheiten kräftig abheben und die Musik während des ganzen Verlaufs ihre unbedingte Vorherrschaft entfalten. In der Chemnitzer Aufführung stiften Varieté-Zauber und Ballett eine Nervosität, durch die das Pulsieren der Klänge ungünstig imitiert und gestört wird. Es kommt zu Interferenzen von Bild und Klang, in denen die Aufmerksamkeit erlischt. Der Regie geht es wie der Mutter im Märchen „Der süße Brei“: Aus dem Töpfchen quellen die Schaueffekte. Unter den laxen Kommentaren, die auf Fahnen rechts und links der Bühne projiziert werden, befindet sich kein „Töpfchen Steh!“ Der Musikfreund muß sich nicht durchessen, um zur Musik zu gelangen, er braucht nur die Augen zu schließen. Aber geht man dafür in die Oper? Um zur Kenntnis dieser einzigartigen Musik zu gelangen, ist es freilich nötig. Und die musikalische Leitung, Orchester, Chor und Solisten, sind bei der Sache. Die stimmkräftige Astrid Weber (Minneleide) ist beeindruckend in den Gefühls­ausbrüchen des zweiten Akts, die feineren, lauernden Stellen im ersten überzeugen noch nicht gleichermaßen. Daß wohl doch in erster Linie die Eigenarten des Werkes häufigere Aufführungen verhindern, deutete schon 1981 der Komponist Wolfgang Rihm an: „Pfitzner ist nicht aktuell … Wir finden nicht auf den ersten Blick das gebrochene Heutige in seinem Werk, aber auch nicht das ungebrochen Gestrige. Wir finden beides — also keines, und dies läßt uns stocken. Pfitzner ist heute noch querständig.“ Der Biograph Johann Peter Vogel führte den Gedanken weiter: „… seine Musik irritiert, erschreckt den Hörer, aber nicht, indem sie offensichtlich mit neuen Mitteln spricht, sondern indem neue Mittel traditionell verwandt, auch die traditionellen Mittel neu erscheinen lassen.“ „Die Rose vom Liebesgarten“ wurde 1901 in Elberfeld uraufgeführt und setzte sich richtig durch mit der Wiener Aufführung von Bruno Walter, der Dinge darin hörte, „die zum Schönsten gehören, was je geschrieben worden ist“. Nachdem Gustav Mahler den ersten Akt hörte, rief er aus: „Seit der Walküre, erster Akt, ist etwas ähnlich Großartiges nicht geschrieben worden.“ Und wirklich ist die Musik heute noch so bestürzend schön, daß das erste vollständige Hören des Stücks die Sehnsucht weckt nach Wiederholung und tieferem Eindringen in dieses Kunstwerk. Die nächsten Aufführungen in der Chemnitzer Oper, Theaterplatz, finden statt am 13. Dezember sowie am 8. und 13. Januar jeweils um 19.30 Uhr. Telefon: 03 71 / 69 69-5 Den Mitschnitt der Premiere sendet der Deutschlandsender Kultur am 13. Dezember ab 19.05 Uhr. Foto: Waffenmeister (K. Räsänen), Siegnot (E. Caves): Eigentlich sieht die Oper stumme Personen vor

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