Wer sein Trauma nicht verarbeitet, der reicht es weiter: an die Nachkommen. So auch jene Lehrerschaft, wie Herbert Achternbusch später beklagt, die „uns in unserer Kindheit Millionen toter ausgemergelter Juden mit der Planierraupe auf die Schulbank schob. Werdet fertig damit, ihr Milchgesichter! Wir Lehrer haben unseren Teil getan“ („Die Stunde des Todes“, 1975). Aber Achternbusch wurde nicht damit fertig. Das Trauma verfolgt ihn. In seinem Film „Das letzte Loch“ (1981) sucht der Held deshalb sogar den Arzt auf. Der empfiehlt ihm eine Alkoholtherapie: Je 2 cl sollen einen ermordeten Juden vergessen machen. Der hier schwarze Verzweiflungskomik treibt, kam am 23. November 1938 in München zur Welt. Der als Herbert Schild unehelich geborene Knabe wurde erst spät von seinem Vater adoptiert, so daß er dessen Nachnamen — Achternbusch — erst ab dem 21. Lebensjahr trug. Dafür vermittelte der lebens- und trinkfrohe Vater ihm die Kraft des Gelächters. Der Titel einer späten Erzählung Achternbuschs, „Mein Vater heißt Dionysos“ (2003), wird daran erinnern. Dieses dionysische Potential führte auch den jungen Achternbusch auf den Weg zum Anarcho-Komiker. Wie Charlie Chaplin und Woody Allen waten seine Filmfiguren stoisch durch die irdische Hölle, die bei Achternbusch vor allem eine bayerische ist. Bei aller Gesellschaftskarikatur hat sich der CSU-Hasser um Realpolitik nie geschert, was ihm manche Freunde übelnahmen. Achternbusch kämpft ganz in eigener Sache. „Ich schrei, bis ich mein Gesicht auf einer Briefmarke seh“, soll er gesagt haben. Und aus diesem narzißtisch-gequälten Schreien machte er seine ganz persönliche Kunstrevolte. So besteht sein Roman „Die Alexanderschlacht“ (1971) aus radikal subjektivem Assoziieren, während die Filme durch lange, statische Einstellungen Sehkonventionen provozierten. Wurde Achternbusch auch von Leuten wie Martin Walser, Hans Erich Nossack oder Heinrich Böll geschätzt und gefördert, zum Kassenschlager reichte es nie, weder als Autor noch als Maler oder als Regisseur. Die low budget-Filme des Einzelgängers landen regelmäßig im Programmkino. Deren Helden sind Außenseiter, die in München oder der bayerischen Provinz an der Grobheit der Einheimischen scheitern. So spielte Achternbusch einen wirren Indianer („Der Komantsche“, 1979), einen versoffenen Dichter („Servus Bayern“, 1978), einen falschen Polizisten („Bierkampf“, 1977) oder — Jesus Christus („Das Gespenst“, 1982). Mit diesem Film erregte Achternbusch einen bundesweiten Skandal, in den sich sogar der damalige Bundes-innenminister Friedrich Zimmermann einmischte. In Bayern fand wegen des „blasphemischen“ Gespensts eine Bußwallfahrt statt, in Österreich wurde der Film verboten. Nur der evangelische Filmdienst konstatierte, daß der Streifen keineswegs eine Blasphemie intendierte: Nein, der clownesk-hilflose Christus, den Achternbusch durchs heutige München irren ließ, gebe dem Heiland jene Würde zurück, die jahrhundertelanger Kirchenprunk zugeschüttet habe. Eigentlich hätte man annehmen müssen, daß Achternbusch mit Stolz auf seinen Skandalerfolg reagierte. Das Gegenteil traf zu. 1985 drehte er in China den Acht-Millimeter-Film „Die blaue Blume“. Darin erklärt er pathetisch: „Indem man mir meine Arbeit verbot und mich zwang, mit roten Haaren umherzugehen, damit ein jeder mit dem Finger auf mich zeigen kann, schien ich am Ende zu sein. Wie ein verwundetes Tier schleppte ich mich hin und her, auf der Suche nach einem dunklen Verließ, um wenigstens ungesehen verenden zu können.“ Im drauffolgenden Jahr versuchte Achternbusch einen filmischen Exorzismus der deutschen Vergangenheit. Titel: „Heilt Hitler“ (1986). Während der Schlacht um Stalingrad erkennt der Soldat Herbert, wie eine Mumie in Wundverband gewickelt, die Hand zum Hitlergruß erhoben: „Wir sind das Herz des Führers, und ohne uns kann Adolf Hitler nicht leben, ohne uns ist er krank und tot! Nur mein deutsches Soldatenherz kann ihn heilen. Kameraden! Heilt Hitler!“ Ohne uns kann Hitler nicht leben … Diese Verbundenheit hatte bereits Hans-Jürgen Syberberg in seinem „Hitler — Ein Film aus Deutschland“ (1977) gesucht — nicht den historischen Hitler, sondern „den Hitler in uns“. Für Achternbusch heißt das: weg mit der Befehlsausführungs- und Mitläufermentalität. Ein Jahr nach dem Mauerfall lieferte Achternbusch das erste Theaterstück zur deutschen Einheit: „Auf verlorenen Posten“, uraufgeführt von Dieter Dorn an den Münchner Kammerspielen. Ossis fahren mit Trabbis in den Westen, wo man sie mit Bananen bewirft. Zuletzt tritt „Das Glück“ als Allegorie auf und weint. In den letzten Jahren wurde es still um Herbert Achternbusch. Der jedoch arbeitet weiter, zurückgezogen im ehemaligen Wirtshaus der Ortschaft Buchendorf (bei München). Die Hofer Filmtage 2008 brachten Andi Niessners Dokumentarfilm „Achternbusch“ zur Premiere. In einer Szene liegt der alte Künstler tot auf dem Schoß seiner 14jährigen Tochter Naomi. Nach ihrer Trauerrede erhebt sich der Vater zur Auferstehung. Das Pietà-Zitat ist unverkennbar. Dabei ist der alte Wüterich keineswegs religiös, auch wenn Filme wie „Ab nach Tibet“ (1994) oder „Das Klatschen der einen Hand“ (2002) eine Sympathie mit dem Buddhismus erahnen lassen. Foto: Herbert Achternbusch: Letztlich doch harmoniesüchtig
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