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Auffällige akademische Unauffälligkeit

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Auffällige akademische Unauffälligkeit

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Mit ihrem Gründungsdatum 1419 darf die Universität Rostock für sich beanspruchen, die älteste Hohe Schule des Ostseeraums und Nordeuropas zu sein. Im gesamten deutschen Kulturraum sind nur Prag, Heidelberg, Leipzig und Köln älter als die Alma mater rostochiensis. Diese ehrwürdige Tradition hat die mecklenburgische Landesuniversität allerdings nicht davor bewahrt, schon in der Frühen Neuzeit von jüngeren Konkurrentinnen überflügelt zu werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rangierte sie unter den Hochschulen des Kaiserreichs, gemessen an Dozenten- und Studentenzahl, an der finanziellen Ausstattung der Institute und Kliniken, an letzter Stelle. Vielleicht hängt es mit dieser relativen Bedeutungslosigkeit zusammen, daß Rostock ein Stiefkind wissenschaftshistorischer Forschung geblieben ist. Vielleicht ist es auch der Mangel an Prägnanz, der solche Schattenexistenz bedingte. Denn Rostocks Tradition läßt sich nicht personifizieren und im Gedächtnis verankern, wie die Berlins durch Hegel, die Jenas oder Königsbergs durch Fichte und Kant. Gefragt, welchen von „unseren Besten“ (ZDF) es je nach Rostock verschlagen, wer sich dort einen Namen gemacht hätte, müßte auch ein gewiefter Kenner der Universitätshistorie passen. Insofern ist soviel Unauffälligkeit schon wieder auffällig, denn es gibt sonst keine deutsche Universität, die sich nicht auf Anhieb mit den Namen von ein paar wissenschaftlichen „Größen“ verknüpfen ließe. Aber Sterne erster Ordnung gab es an der Warnow nun einmal nicht. Und auch Pascual Jordan (Physik), Otto Körner (Otologie) oder Paul Walden (Chemie), denen Michael Buddrus, Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, und Sigrid Fritzlar, Archivarin am Landeshauptarchiv in Schwerin, diesen Rang in ihrem Lexikon über die Rostocker Professorenschaft in der NS-Zeit zusprechen, hätten ihn für sich selbst kaum reklamiert. Von einiger, obschon nicht in fachlicher Bedeutung begründeter Prominenz darf man allein bei Walter Hallstein, von 1930 bis 1941 Zivilrecht in Rostock lehrend, und bei Karl Schiller ausgehen, der dort im Mai 1944 Professor für Volkswirtschaftslehre wurde, ohne sein Lehramt noch antreten zu können. Denn der Erfinder der „Hallstein-Doktrin“ sowie der „Superminister“ des Bundeskanzlers Brandt gehören eher in die politische Zeit- als in die Wissenschaftsgeschichte Rostocks.   Buddrus und Fritzlar haben noch eine andere, bislang unbeachtete Besonderheit ausgemacht und wähnen Rostock deswegen gar in einer „Pioniersituation“ der „Wissenschaftspolitik des 20. Jahrhunderts“: Die Universität lag seit Juli 1932 in einem Land, das ein halbes Jahr vor Hitlers Berufung zum Reichskanzler von einer nationalsozialistischen Alleinregierung geführt wurde. Mehr als dieses Faktum vermögen die Autoren jedoch nicht festzuhalten. Die naheliegende Frage, ob sich denn schon vor 1933 in Rostock eine „Gleichschaltung“ oder sich selbst gleichschaltende „Nazifizierung“ anbahnte, stellen sie nicht. Diese Enthaltsamkeit ist durchaus konsequent. Wollen sie doch mit ihrem Lexikon nur das biographische Material für eine künftige Rostocker Universitätsgeschichte zur Verfügung stellen. So bieten sie denn, alphabetisch, nicht fachlich sortiert, zu allen Professoren dieser „dunklen Zeit“ die Lebensdaten mit Schwerpunkt auf dem politischen Engagement nach 1933. Insoweit werden hier also schlicht die Rostocker und Schweriner Personalakten abgeschrieben — Kürschners Gelehrtenkalender in Langfassung! Wer darüber hinaus etwas über Positionen im wissenschaftlichen Feld erahnen will, muß sich jeweils mit einer knappen Auswahlbibliographie begnügen. Mitunter geben die Autoren ihre asketisch-buchhalterische Zurückhaltung zwar auf, aber dann ist zu spüren, wie gerade Buddrus dem Geist der bis 1990 so genannten „Wilhelm-Pieck-Universität“ Tribut zollt. So etwa, wenn er sich ausgerechnet bei dem Bismarck-Forscher Wilhelm Schüßler einmal die Mühe macht, die angegebene Literatur auch zu lesen. Indes: allein zu dem Zweck, um die Kurzbiographie mit einem knalligen Zitat von 1941 über die „‚jüdisch-bolschewistische‘“ Gestalt der Sowjetunion denunzierend zu „bereichern“. Hier wie bei einigen anderen politischen Gelegenheiten läßt das „Braunbuch“ der verflossenen DDR unfreundlich grüßen. Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich. Ein biographisches Lexikon. K. G. Saur Verlag, München 2007, gebunden, 503 Seiten, Abbildungen, 98 Euro Foto: Hauptgebäude und Siegel der Universität Rostock: Sterne erster wissenschaftlicher Ordnung gab es an der Warnow nun einmal nicht

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