Leichen pflastern seinen Weg: Als er ein kleiner Junge ist, sterben innerhalb weniger Monate sein Vater und eine Schwester. In seiner Privatschullaufbahn hat er entsetzlich unter älteren Schülern und einem sadistischen Schulleiter zu leiden. Er verliert 1940 bei einem Flugzeugabsturz in der Libyschen Wüste buchstäblich sein Gesicht. Seine Tochter Olivia stirbt an Masern. Seine Frau erleidet in der Schwangerschaft mit der jüngsten Tochter Lucy drei Schlaganfälle, und sein Sohn Theo bleibt ein Leben lang geistig behindert, nachdem ein Taxifahrer in New York den Kinderwagen rammt. Zu guter letzt läßt er sich nach 30 Jahren Ehe scheiden und heiratet eine gute Freundin der Familie. Ist das der Stoff, aus dem Kinderbuchautoren gestrickt sind? Eigentlich begann Roald Dahls Karriere als Literat damit, daß ein anderer berühmter Autor unfähig war, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Dahl war wegen schwerer Kopf- und Rückverletzungen aus der Royal Air Force ausgeschieden und arbeitete als „Assistant air Attaché“ in Washington, als ihn C.S. Forester zum Essen einlud. Forester hatte den Auftrag, möglichst aufregende Kriegsgeschichten aus erster Hand zu sammeln. Da er aber nicht gleichzeitig essen und sich Notizen machen konnte, bot ihm Dahl an, die Geschichte selbst zu Papier zu bringen. Unter dem unverfänglichen Titel „A Piece of Cake“ (Ein Stück Kuchen) berichtet er von dem Vergnügen, als schlecht ausgebildeter Pilot in einem klapprigen Doppeldecker auf einen Flug zu einem nicht existierenden Flughafen in der Wüste geschickt zu werden. Dahl landete dabei auf der Nase. Die Saturday Evening Post glättete diese Geschichte ein wenig, zahlte tausend Dollar und engagierte Dahl als Autor. Ob er sich tatsächlich zum Propagandisten eignete, bleibt fraglich. Natürlich zweifelte er nie daran, daß die Engländer die Guten sind. Er beschreibt die Leiden der Zivilbevölkerung und erzählt von bewegenden Luftkämpfen. Aber es gibt auch lebensmüde Piloten oder die beiden Flieger Stag und Stuffy, die während des Fronturlaubs in Kairo eine Puffmutter übers Ohr hauen und in einem Handstreich alle Liebesdienerinnen befreien („Madame Rosette“). Sein erstes Buch „The Gremlins“ (1943) war ein durchaus gemischter Erfolg. Die schlimmsten Feinde der Royal Air Force sind nämlich nicht die Messerschmitts, sondern Gremlins, kleine Kobolde, die, ihrer Waldheimat durch eine Flugzeugfabrik beraubt, geschworen haben, alle Maschinen zu sabotieren. So bohren sie während des Luftkampfs wahlweise Löcher in die Tragflächen oder schneiden Benzinleitungen durch. Auch bei Notlandungen kann es passieren, daß sie einfach das Rollfeld wegtragen. Der Flieger Gus entdeckt diese Kreaturen durch Zufall, sichert sich ihre Achtung und versucht sie zum Wohle der Luftwaffe zu erziehen. Moral von der Geschichte: Wehe dem Piloten, der nicht an Gremlins glaubt! Walt Disney sicherte sich sofort die Rechte an dem Stoff, wußte dann aber nichts damit anzufangen; das Buch wurde nicht wieder aufgelegt. Nach dem Krieg schrieb Dahl weiter seine Kurzgeschichten, die bis heute nichts von ihrem Reiz verloren haben. Dahl als Meister der überraschenden Wendung zu bezeichnen, ist zu kurz gegriffen: Er ist Meister darin, seine Leser bis zum letzten Satz im Ungewissen zu lassen. Seine 60 Kurzgeschichten spielen in allen Kreisen, an allen Orten der Welt, mit den verrücktesten und normalsten Menschen. Sie handeln von so wichtigen Dingen wie Geburt, Tod und Erotik oder der Herkunft eines bestimmten Rotweins. Oft versteht man den Titel erst am Ende der Geschichte. Häufig gewinnen die Schwachen und Betrogenen, aber auch das muß nicht sein. Auffällig ist die Unaufdringlichkeit der Sprache, das Talent, die Handelnden nur über ihr Sprechen zu entlarven. Dahl ist der Meister ohne Masche. Nach dem Krieg pendelte er zwischen New York und England, war ein wegen seiner flinken Zunge beliebter und gefürchteter Partygast und heiratete 1953 die Schauspielerin Patricia Neal. Für seine sechs Kinder wurde er zum Kinderbuchautoren. Im Gegensatz zu seinen Kurzgeschichten sind seine Kinderbücher voller abschreckender und schrecklicher Eltern und Pädagogen („Mathilda“ 1988) oder anderer Erwachsene, die ihre Machtposition weidlich ausnützen („James und der Riesenpfirsich“, 1961, „Die Zwicks stehen Kopf“, 1980; „Hexen hexen“ 1983). Ihre Gewalt ist holzhammerartig, grotesk und allgegenwärtig. Allein einem guten Menschenkind ist es gegeben, diese Menschen zu besiegen. Die Kinderliteratur beginnt nicht mit Harry Potter Was die Bücher einzigartig macht, ist der Sprachwitz. Am schönsten ist dies in „Pastor von Nibbleswick“ (1991) nachzulesen, der selbst in seiner deutschen Übersetzung ein Lesegenuß ist, oder in „Sophiechen und der Riese“ (1982). Dahl ist nicht nur ein Meister der sprachlichen Doppeldeutigkeit, wo es geht, versucht er die falsche Moral zu durchleuchten. Ganz ohne brachiale Gewalt gelingt ihm das in „Danny oder die Fasanenjagd“ (1975). Dort muß der redliche Danny erleben, daß alle Bewohner seines Dorfes dem Laster der Wilderei frönen. Dahl löst sich dabei von der bis dahin tradierten Kinderliteratur Britanniens. Galt das Kind bis dahin als ein zu schützendes Wesen, wird es bei Dahl mit der Verlogenheit der Erwachsenenwelt konfrontiert. Die Leser oder ihre Eltern dankten es ihm, indem sie ihn für zwei Jahrzehnte in die Bestsellerlisten katapultieren. Erst für Harry Potter mußte er schließlich den Thron räumen. Der verfügt bekanntlich über den Glauben an das Gute im Menschen … Foto: Roald Dahl mit seiner Familie (undatierte Aufnahme): Der Schriftsteller und Kinderbuchautor wurde am 13. September 1916 im walisischen Llandaff bei Cardiff geboren; seine Eltern waren norwegischer Herkunft. Von 1953 bis 1983 war er mit der Hollywood-Schauspielerin Patricia Neal verheiratet; der Ehe entstammen fünf Kinder. Dahl starb am 23. November 1990.
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