Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck hat die Öffentlichkeit mit der Enthüllung überrascht, daß es in der Bundesrepublik Deutschland so etwas wie eine „Unterschicht“ gibt. Bislang ging man, hier noch ganz der Denkungsart der einstigen Sozialen Marktwirtschaft verhaftet, von einer anderen Gliederung der Gesellschaft aus: Man wußte um das Phänomen einer kleinen Oberschicht und siedelte sozusagen den Rest der Bevölkerung in einer ganz, ganz breiten Mittelschicht an, die man allenfalls zur besseren Übersichtlichkeit noch in obere, mittlere und untere Mittelschicht unterteilte. Unterhalb dieser gesellschaftlichen Formation gab es nach dieser Vorstellung lediglich das Randphänomen gestrauchelter Existenzen – Drogenabhängige, Obdachlose und Vergleichbares. Folgt man der Studie „Gesellschaft im Reformprozeß“ der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung, muß jedoch heute zur Kenntnis genommen werden, daß in den letzten Jahren eine neue Unterschicht entstanden ist, der bereits acht Prozent der Bevölkerung zuzurechnen sind. Ökonomisch lassen sich diese Menschen dadurch beschreiben, daß sie in finanzieller Unsicherheit leben, nur über ein geringes Einkommen verfügen, so gut wie kein Vermögen im Hintergrund haben und dafür um so mehr verschuldet sind. Politisch stehen sie im Verdacht, eine fragwürdige Stimmabgabe nicht ausschließen zu wollen, um auf ihre Misere hinzuweisen. Folglich können sie auch nicht einfach ignoriert werden. Da sich die SPD immer noch irgendwie für Sozialpolitik zuständig fühlt, steigt nun sie in die Niederungen der Gesellschaft hinab, um sich der dortigen Probleme anzunehmen. Sie unterläßt dabei den Fehler, die schon sehr weit gediehenen Anbiederungsversuche der Linkspartei oder der NPD kopieren oder gar noch übertrumpfen zu wollen. Statt dessen redet sie den Betroffenen ins Gewissen: Wer in der sozialen Schichtung ganz unten gelandet ist, hat es wohl an dem nötigen Aufstiegswillen mangeln lassen und die Chancen, die sich jedem hier irgendwann einmal bieten, nicht genutzt. Nicht ganz zu Unrecht trifft ihn nun das Schicksal materieller Armut, da er ja auch kulturell und seelisch verarmt ist. Wer etwas an seinem Los ändern will, muß also zunächst an sich selbst hart arbeiten und darf nicht immer nur auf den Beistand der Allgemeinheit bauen. Der Sozialstaat hat dennoch nicht ausgedient: Ihm gehen zwar allmählich die Mittel zur finanziellen Unterstützung aus. Er kann aber immer noch den Rat zur Selbsthilfe erteilen.