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Die spektakuläre Rückgabe des Bildes „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner an eine Nachfahrin des jüdischen Kunstsammlers Alfred Hess im vergangenen Monat hat nicht bloß scharfe Kritik provoziert, sondern denjenigen einen heilsamen Schock versetzt, die jahrelang das Abwandern von Kunst verschliefen. Tatsächlich handeln die Museen meist diskret, lautlos, informieren zuletzt nur knapp über den Aderlaß ihrer Sammlung. Was halbwegs „störungsfrei“ verläuft – solange keine prominenten Namen im Spiel sind. Ebendies liegt beim aktuellen Kirchner-Streit vor. Das 1913 entstandene Bild, Ikone des deutschen Expressionismus und seit dem Erwerb durch einen Mäzen 1980 Glanzstück des Brücke-Museums, gilt als Berliner Attraktion und Kleinod unseres Kulturerbes. Klamm und heimlich hat Kultursenator Thomas Flierl (PDS) an allen einschlägigen Gremien vorbei den Deal ausgeführt und derart willfährig die Erbansprüche erfüllt, daß ihn jetzt desto massivere Vorwürfe treffen. So wertet der Museumsfachmann und frühere Berliner Kultursenator Christoph Stölzl (CDU) den Vorgang als „Präzedenzfall von größter Gefährlichkeit“. Werde „dieser Dilettantismus zur Norm“, gingen die deutschen Museen einer „fatalen Zukunft entgegen“. Tatsächlich hat die Erbin noch eine große „Wunschliste“ offen, und was das Potential von Privatisierungsansprüchen allein bei diesem Maler angeht, so nennt das Kirchner-Archiv in Bern 80 bis 100 gefährdete Werke in deutschen Museen. Unmöglich, die Kostbarkeiten so zu schützen. Öffentliche Häuser haben minimale Etats, die Erben maximale Preisvorstellungen, die nur ein aufgeblähter Markt hergibt. So forderte man für die „Straßenszene“ 15 Millionen Euro, die das Land nicht hat. Christie’s New York reibt sich die Hände: Am 8. November wird dort das Bild im Schätzwert 18 bis 25 Millionen US-Dollar versteigert. Vollends zum Spekulationsobjekt verkam 2005 der kostbare Menzel in Dresden („Nachmittag im Tuileriengarten“). Der „idealistische“ Sammler entpuppte sich als Zwischenkäufer, der das impressionistische Schlüsselwerk mit sattem Gewinn der Londoner National Gallery für 4,7 Millionen Euro verhökerte. Ungeschminkt nennt Martin Roth, Chef der Staatlichen Sammlungen Dresden, die Rückgabepraxis „destruktiv“. Anwälte, Sammler, Galeristen „kochten“ Museen und Politik „so lange weich“, bis sie regelmäßig „einknickten“. All das sei „strategisch geplant“, es gehe rein um „Spekulation und Geld“ – um „pure Besitzverwertung“ (Stölzl) eben. Kunstschätze verkommen zu Spekulationsobjekten Deutschland ist nicht allein betroffen: Anfang 2006 sah sich Holland gezwungen, den Erben des 1940 auf der Flucht nach London gestorbenen Kunsthändlers Jacques Goudstikker 202 Bilder zu geben – was diese nur bedingt befriedigte, war ihre „Wunschliste“ doch weit länger. Trotzdem rühmten sie den Erfolg als Würdigung des kunstsinnigen Vorfahren, so daß die Frage nach der Zukunft dieser Schätze nahelag. „Wir halten uns alle Optionen offen“, lautete die Antwort. Die Anwälte waren schon unterwegs zu neuen Ufern. Mindestens 1.000 weitere Kunstobjekte habe man gesichtet, die nun auf der Agenda stünden. Um wuchernde Begehrlichkeiten effektiv zu forcieren, müssen diverse Akteure am Strang ziehen. „Antifaschistische“ Medien sind willige Helfer und „investigativ“ dabei. So brachte ein Pieter Hollander 1998 mit seinen „Enthüllungen“ die Kläger erst auf den Geschmack. Gleichzeitig startete der Wiener Czernin-Verlag eine „Bibliothek des Raubs“ mit polemischen Dossiers zu jüdischem Kunstbesitz vor 1938. Der „Anti-Heimat-Verlag“ Czernin, der 1986 mit der „Affäre Waldheim“ als „Schlüsseljahr“ rühmt, „splittert in seinen Büchern das Kontinuum österreichischer Identität in Widersprüche auf“ (Neue Zürcher Zeitung). Der Verleger aggressiv sekundiert in dem spektakulären Rückgabefall schlechthin, dem Fall Bloch-Bauer. Der hat seit 1999 die Alpenrepublik erschüttert und international Komplikationen provoziert. Anfang 2006 war endlich Schluß: Fünf Bilder Gustav Klimts, Prunkstücke des Wiener Belvedere, gingen ab nach New York und machten Schlagzeilen mit der „goldenen Adele“, die dort allein 135 Millionen US-Dollar erzielte. Nach schlechtem Start in Österreich war die Klage amerikanisch umgesteuert und dort bestätigt worden. Die Immunitätsaufhebung des beklagten Lands schockierte, verdeutlichte indes erneut die Tendenz der USA, weltweite Zuständigkeit in Rechtsfragen an sich zu ziehen. Anwalt E. Randol Schoenberg half aus Los Angeles mit Kampagnen nach, griff Wiens Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) an („Sie geht mit Nazis ins Bett“), entwarf ein „politisches antisemitisches Szenario“ und diffamierte Gehrer kurzerhand als „Holocaust-Leugnerin“. Der Erfolg der „Causa Bloch-Bauer“ zieht weitere Kläger nach. Das Schiedsgericht habe erfreulicherweise nicht dem Rückstellungsgesetz von 1998 entsprochen, vielmehr „politisch-moralisch“ geurteilt und „rechtsschöpferisch“ den „lebensfremden Formalismus“ des Gesetzgebers entsorgt, so Alfred Noll als Anwalt der Erbengruppe. In diese Richtung weist auch der deutsche Weg. Die „Berliner Erklärung“ 1999 und die „Handreichung“ 2001 legten, bis hin zur sogenannten „Limbach-Kommission“ 2003, die Washingtoner Prinzipien von 1998 so extensiv aus, daß Museen Ansprüche kaum noch abweisen können. Via Beweislastumkehr soll die Galerie Herkunft und Besitzverlauf ihrer Objekte lückenlos bezeugen, Vorgänge gar, an denen sie nicht beteiligt, exakt fixieren. Das entschied das Schicksal des Kirchner-Bilds negativ: Verkauf, Preis, Zahlung von 1935 sind bekannt, der Betragsempfang durch die Witwe des 1931 verstorbenen Hess nicht mehr belegbar. Voraus ging die Holocaust-Konferenz 1998 über (jüdische) Vermögensverluste der NS-Zeit und eine spezielle Kunstgut-Erklärung von 44 Staaten: wichtiges Datum der neuen Wiedergutmachungswelle nach 1990. Seit 1995 sind davon neben Deutschland und Österreich auch die Schweiz und zunehmend Osteuropa betroffen. Endete die erste Großphase von Rückerstattungen 1965, so hat nach dem Kalten Krieg die soziale Umwälzung im Osten eine Pandorenbüchse geöffnet. Die Anspruchswelle nimmt teil am Holocaust-Diskurs. Auf dessen „Amerikanisierung“ folgt seine „Europäisierung“. Geschichtstheologisch universell wird er zum Horizont allen Geschehens. Juristisch, politisch, medial transformieren die USA die „negative deutsche Identität“ nun auf europäische Ebene (Constantin Goschler). Begehrlichkeitsentgrenzung wird zur Globalisierungsstrategie. Perfide beim aktuellen Poker ums dicke Geld erscheint nach dem Zusammenbruch des Sozialismus die obszöne Hypertrophie persönlicher Gier: enthemmtes Privatisierungsstreben, das Eigentum sozial entpflichtet und demokratische Verantwortung abschafft. Der Griff aber nach unseren Kunstschätzen ist schlicht illegitim. Bild: Adolf Menzel, „Nachmittag im Tuileriengarten“ (Öl auf Leinwand, 1867): Für 4,7 Millionen Euro nach London verhökert

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