Welcher Kabarettist war es doch gleich, der einst so gut gelaunt über das "gesehene Nichts" schwadronierte? "Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, sehen Sie hier nichts. Und war-um Sie nichts sehen, das werden Sie gleich sehen …" Es muß in der Zeit des Existentialismus bald nach dem Krieg gewesen sein. Jetzt gab es in Frankfurt am Main in der Kunsthalle Schirn eine Neuauflage, nur war es diesmal kein Spaß, sondern Ernst, und es waren keine Kabarettisten, die schwadronierten, sondern ein hochmögender, stabil verbeamtete Ausstel-lungsdirektor nebst seiner Kuratorin. Die beiden eröffneten eine "Schau" namens "Nichts – Nothing".
Nun kann man natürlich durchaus eine Schau zum Thema "Nichts" aufbauen, aber in der Schirn will man das gerade nicht. Sondern man will das Nichts "zeigen", d.h. man will nichts zeigen, und genau so sieht die Ausstellung aus. Die Besucher blicken in leere Räume, auf nackte weiße Wände. Und der Direktor sagte dazu bei der Eröffnung: "Meine Damen und Herren, diese Ausstellung ist ein bewußter Drahtseilakt. Sie müssen sich einlassen auf die Auslassung. Angesichts der überbordenden Bildfülle unserer Gesellschaft kommt diesem Erfahrungsmoment aber auch kathartische Wirkung zu. An die Stelle der tagtäglichen Reizüberflutung tritt die punktuelle Sensibilisierung."
Aha, die Bildfülle! Und die tagtägliche Reizüberflutung! Daß es neben der Bilderfülle auch eine Phrasenfülle gibt und daß wir tagtäglich nicht nur mit Bildern, sondern auch und vor allem mit Geschwätz überflutet werden, kommt dem Herrn Direktor nicht in den Sinn. Im Gegenteil, sage und schreibe siebenundvierzig junge Künstler hat er damit beauftragt, einen "Audio-Guide" anzufertigen, der nun den Besuchern ans Ohr gedrückt wird und in dem sie "virtuelle Kunstwerke" nahegebracht kriegen, die sie sich in ihrem Kopf vorstellen sollen. "Die Verantwortung wird vom Künstler auf den Betrachter delegiert", sagte dazu die Kuratorin.
Sich Verantwortung vom Halse zu schaffen, sie mittels Geschwätz zu "delegieren", ist zur Lieblingsbeschäftigung unserer Diskurs-Gesellschaft geworden. Die bildende Kunst hat dazu schon früh ihren Beitrag geleistet, vor vierzig Jahren schon, als die sogenannten Konzept- bzw. Minimalkünstler hervortraten, welche – statt vollständiger Werke – nur noch Gesten, Andeutungen, "Zeichen für" ablieferten. Inzwischen war es glücklicherweise ziemlich still um diese Richtungen geworden, man hatte in Künstlerkreisen wieder angefangen, richtig zu arbeiten – bis jetzt in der Schirn plötzlich alle Konzeptualisten und Minimalisten zurück sind und groß als Gralshüter des Nichts gefeiert werden.
Irgendetwas muß man ja auch in einer Ausstellung, die "das Nichts zeigen" will, vorzeigen. Also zeigt man Martin Creed, Joseph Kossuth, Karin Sander. Man zeigt Imi Knoebels leeren Rahmen von 1968; von Spencer Finch ist sein "Vergrabener Schatz. Unsichtbare Tinte auf Papier" (nicht) zu sehen, von John Baldessari eine Leinwand mit der Aufschrift "Aus diesem Gemälde wurde alles entfernt außer der Kunst, keine Ideen zu haben". Es trieft in Frankfurt gewissermaßen vor "köstlicher Ironie", worauf der Direktor in seiner Eröffnungsrede extra hinwies.
Mit der bekannten Sottise Bismarcks ließe sich erwidern: "Wer nichts zu bieten hat, der kann leicht geistreich sein." Doch das wäre schon zu viel der Ehre. In der Schirn ist buchstäblich nichts geistreich, und auf verborgene Ironien muß man eigens behördlich aufmerksam gemacht werden. Eine bildende Kunst, die sich weigert zu bilden, Gestalten und Farbspiele zu erschaffen, eine solche Kunst ist weder geistreich noch ironisch, sie ist einfach blödsinnig. Und eine Ausstellung, die einer solchen "Kunst" huldigt, ist ebenfalls blödsinnig.
Es gibt Kulturen und Kulturperioden, die aus metaphysischen oder religiösen Gründen ausdrücklich auf das Bild als Medium der Kommunikation verzichten, die es hassen und als Sünde empfinden. Ihre ikonoklastischen Rasereien, die Bilderstürme oder polizistischen Bilderverbote, sind oft abstoßend, aber es wohnt ihnen doch Würde inne, Glaubensernst und die Überzeugung, einem Höheren zu dienen. Der abendländischen Konzept- und Minimalkunst hingegen, wie sie in der Schirn aufgewärmt wird, wohnt nichts inne. Sie ist nicht einmal nihilistisch, betet das Nichts nicht an, verehrt es nicht, benutzt es lediglich als Dampframme, um die eigene Zunft wegzuräumen.
Aus der Philosophie wissen wir von den gewaltigen schöpferischen Kräften, die dem Bewußtsein des Nichts, der Verneinung oder der Sehnsucht nach dem Noch-nicht, innewohnen können. Und die frühe christliche Kunst zeigt Werke sowohl von den chaotischen Energien des Nichts, aus denen Jahwe die Welt entstehen läßt (creatio ex nihilo), als auch von den großen Sündern, die von den Engeln nach langwierigen Kämpfen ins Nichts "hinabgestoßen" werden. Wie gesagt, das Nichts läßt sich künstlerisch sehr wohl thematisieren, es läßt sich nur nicht in seiner Nichtigkeit banal abbilden.
Indem die Schirn ausgerechnet das versucht, fällt sie selber in die Banalität. Der Wortschwall, den sie an Stelle der fehlenden Sichtbarkeiten anbietet, ist nur eine Karikatur jener Kunstgespräche, wie sie üblicherweise vor sichtbaren Ausstellungsobjekten entstehen. Es gibt eine "Installation", die das mit schöner Selbstkritik ausdrückt: Martin Creeds "Work Nr. 406", eine Lausprecherbox, aus der in endloser Wiederholung der Laut "Pffft" ertönt.
Auch die Einladung zur Ausstellungseröffnung war nicht ohne Witz. Man zog da ein Blatt aus dem Postumschlag, das offenbar völlig leer war, nicht die Spur einer Mitteilung enthielt. Erst als man das Papier zufällig gegen eine Lichtquelle hielt, bemerkte man einen Text, welcher dann mit zunehmender Lichteinwirkung an Kontur gewann und schließlich lesbar wurde. Das hatte fast etwas Plotinisches, Goethesches. "Wär nicht das Auge sonnenhaft, wie könnt‘ es Nichtiges erblicken".