Über Tote soll man nicht schlecht reden. Nun ist Placido Domingo zwar noch quicklebendig, einer Rolle scheint der 65jährige Tenor aber zwischenzeitlich gestorben. Einer Entzündung der Luftröhre wegen mußte Domingo im Dezember vorigen Jahres nicht nur eine Parsifal-Vorstellung abbrechen, sondern obendrein eine dreimonatige Zwangspause einlegen. Richard Wagners „Parsifal“ will der Sänger künftig ganz entsagen – wahrscheinlich zum Herzeleide jenes Teils der Wagner-Gemeinde, die sich von der Verschmelzung italienischer Gesangstradition und deutschen Musikdramas in der baritonal timbrierten Stimme Domingos gerne entzücken läßt. So betrachtet mag es beinahe als wundersame Fügung gelten, daß Domingos Parsifal kurz vor dem tenoralen Rücktritt nochmals umfassend dokumentiert ist: Aus drei Wiener Galavorstellungen, die vor einem Jahr über die Bühne gingen, schnitt die Deutsche Grammophon eine Neueinspielung zusammen, die nebst Domingo in der Titelrolle mit Waltraud Meier als Kundry und mit Falk Struckmann als Amfortas aufwartet. Christian Thielemann leitet das Orchester der Wiener Staatsoper, wie sich bekanntlich die Wiener Philharmoniker nennen, wenn sie in den Operngraben rutschen. Dirigent samt Orchester sind denn auch die ersten und die besten Gründe, die zu dieser Aufnahme raten lassen. Vielleicht war auch der Tonmeister dieser Ansicht, der bei der Balance zwischen Ensemble und Orchester den Regler gerne einen Deut kräftiger zugunsten der Instrumentalisten verschoben hat – stellenweise bleiben vokale Aktionen seltsam hintergründig, was angesichts heutiger Technik selbst bei Bühnenmitschnitten eher unüblich ist. Während somit einerseits das Verhältnis zwischen Sängern und Graben bei dieser Aufnahme hie und da gewöhnungsbedürftig ist (was einschließt, daß man sich daran gewöhnen kann), läßt sich andererseits trefflich abhören, mit welcher Bravour sich Thielemann durch Wagners „Bühnenweihfestspiel“ schlägt. Die Tempi sind nicht ungestüm, aber wo es die Partitur nahelegt, greift Thielemann recht forsch zu, etwa im Vorspiel zum zweiten Akt. In ihren besten Augenblicken ist die Aufnahme zudem ungemein imaginativ – wenn etwa Parsifal und Gurnemanz im ersten Akt zur Gralsburg aufbrechen, fährt der marschartige Rhythmus der Musik auch dem Hörer im bequemen Sessel unmittelbar in die Glieder: Zum Raum wird hier die Zeit. Und das Ensemble auf der Bühne? Entspricht jenem Niveau, das man in solchen Fällen von der Wiener Staatsoper erwarten darf. Gewiß, der Mitschnitt gibt „Galavorstellungen“ wieder – was aber nicht zwingend bedeutet, daß solche Abende Wegmarken in Sachen Wagner-Interpretation setzen. Mit Domingo und Meier setzte man auf zugkräftige Namen. Beide zählen nicht mehr zu den stimmfrischesten Vertretern ihrer Fächer, und im Zweifelsfall lauscht man Meiers Kundry doch eher in der Studioaufnahme unter Barenboim, als die Mezzosopranistin noch subtiler mit dem Pfund ihres verführerischen Timbres wuchern konnte. Doch auch das ist 15 Jahre her. Weil ohnehin kein Glück vollkommen ist, mußte man unter Barenboim einen tontechnisch gleichfalls „unterdrückten“ Siegfried Jerusalem in der Titelrolle „mithören“ – dann doch lieber Domingo, selbst wenn der in manchen Passagen ein weinerlich anmutendes Altherren-Vibrato nicht ganz unterdrücken kann und bei allem Streben nach ordentlicher Artikulation mit der deutschen Sprache auch nach langer Sängerkarriere noch auf Kriegsfuß steht. Alles in allem: Die Thielemann-Gemeinde kommt bei diesem „Parsifal“ voll auf ihre Kosten, passionierte Domingo-Verehrer auch, Meier-Freunde sowieso – und dem Rest mag’s zufrieden sein.
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