Am vorvergangenen Mittwoch eröffnete der Filmemacher Hans Jürgen Syberberg in der Berliner Akademie der Künste die Finissage zur Ausstellung „Einar Schleef Kontaktbögen“, die den fotografischen Nachlaß des Theaterregisseurs Einar Schleef (1944-2001) präsentierte. Für jene, die bislang nur mit dessen Bühnenwerk vertraut waren, bot sich eine Überraschung. Denn anders als Schleefs monumentale, streng choreographierte und stilisierte Inszenierungen sind die Fotos, wie auch sein literarisches und filmisches Schaffen, einem ungeschminkten Alltagsrealismus verpflichtet, zeigen Wolken, einen Baum, seine Heimatstadt Sangershausen, die Skyline von New York, seine sterbende Mutter, Selbstporträts, Peepshows und Werbeflächen. Viele der Bilder strahlen eine geradezu aggressive Tristesse aus oder entlocken dem – oft armseligen – Objekt unverfälschten Ausdruck, verleihen ihm somit Würde und Pathos. Mit Syberberg als Redner kam nicht nur ein Kenner von Schleefs Werk, sondern auch ein Freund, ein Begleiter der letzten Jahre zu Wort. Zu Beginn verglich er die Fotografie des Verstorbenen mit dem Medium Film, produzierte der doch ganze Bildserien von einem Motiv. Zumal er die Fotos nicht abziehen, sondern als Kontaktbögen publizieren wollte, was ihnen große Ähnlichkeit mit einem Filmstreifen verleiht. Solche unfertig wirkenden, „optischen Skizzen“ lassen sich natürlich kaum vermarkten. Sie trotzdem anzufertigen, berührt für Syberberg das Wesen des Künstlers: Das Werk bringt ihm (meistens) nichts ein, weder Geld noch Erfolg, aber beides ist auch nicht Grund und Ziel seiner Tätigkeit. Der kreative Motor eines Menschen bleibt irrational und verborgen. Daß diese Interpretation auch einen Großteil Selbstauslegung enthält, mindert nicht ihre Treffsicherheit. Tatsächlich waren die Kontaktbögen für Schleef keine Unfertigkeit, sondern ein Stilmittel, ein Verfremdungseffekt, der die Bilder zu einer späten Form von „künstlerischem Brüllen“ (Syberberg) werden ließ – darin doch wieder den schreienden Chören seiner Bühneninszenierungen verbunden. Zellforscher, Staatsorakel, den Franzosen war er „too much“ Nach dem Vortrag gelangten einige von Schleefs Super 8-Filmarbeiten erstmalig zur öffentlichen Aufführung. Waren die Fotos filmisch, so wirkten die Filme umgekehrt allzu fotografisch. Eine meist statische, ab und an zoomende Kamera, gerichtet auf Häuser, Parks, Flüsse, Straßen. Ein Andy Warhol aus Deutschland, dessen Filme – wie die Kontaktabzüge – als „Fotobiographien“ durchgehen können. Denn Schleef dokumentierte sein Leben nicht nur in den – nach und nach post mortem publizierten – Tagebüchern, sondern auch im visuellen Konservieren seines alltäglichen Umfelds, das mit ihm alterte. Berlin, Sangershausen oder das geteilte Deutschland, alles wird ihm zum Spiegel, zu seinem Doppelgänger. Der dritte und letzte Teil des Abends bestand aus einer Podiumsdiskussion mit höchst origineller Besetzung: Hans Jürgen Syberberg, der Aktionskünstler Christoph Schlingensief und der Bildende Künstler Jonathan Meese. Was sie untereinander und mit dem verstorbenen Einar Schleef verbindet, ist der Hang zum grenzüberschreitenden Gesamtkunstwerk. Und sie alle haben Wagners „Parsifal“ inszeniert, Syberberg als Opern-Film, Schlingensief in Bayreuth und Jonathan Meese als Performance im Depot der Berliner Staatsoper. Einar Schleef konnte seinen Stuttgarter „Parsifal“ nicht realisieren. Aber das detailliert ausgearbeitete Konzept dazu läßt sich in „Droge, Faust, Parsifal“ nachlesen. Die Moderation des Abends versäumte leider, auf dieses Thema zu insistieren. Man wäre leichter und direkter zur Verbindung der drei mit dem Verstorbenen gekommen. So mußte man es sich marginal aus deren Monologen zusammenklauben: Für Jonathan Meese, der alle Macht für den Künstler-Tyrannen fordert, ist Schleef ein „Staatskünstler“, dessen Inszenierungen eine Absage an den privaten „Befindlichkeits- und Meinungsterror“ darstellen, und der in eine Reihe mit Caligula, Nero, Saint-Just, Wagner und andere „Staatsorakel“ gehöre. Für Schlingensief dagegen ist Schleef ein „Zellforscher“, der die nie zuheilende deutsche Wunde analysiert habe. So wie Schlingensief selbst, der Deutschland nach 1945 als zusammengestückelte „Voodoo-Gesellschaft“ versteht, deren befreiender Exorzismus in der Erkenntnis liegen könne, daß es gerade keine „Erlösung“ von der Vergangenheit gibt. Syberberg sah in der Schleefschen Kombination von extremer Intensität und strenger Form, kurz Apollinisch-Dionysisch, eine Eigenschaft des deutschen Künstlers schlechthin. Catherine David von den Pariser Musées Nationaux, die vierte Person der illustren Runde, bestätigte dies. Für Franzosen, erklärte sie amüsiert, sei Schleef eindeutig too much gewesen. Die Teilnehmer lösten mit ihren Verbal-Inszenierungen den Titel des Abends, „Ich bin ein Künstler“, voll ein. Alle drei sind Exorzisten des deutschen Traumas, sind Parsifals, die mit ihren Werken die deutsche Amfortas-Wunde heilen wollen, an der auch Einar Schleef gelitten hat. Mag die Vorstellung, wie diese Heilung aussieht, auch noch so verschieden sein.
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